Von welchen Bedingungen sprechen Sie hier?
Damit meine ich den zweiten wichtigen Bereich für junge Menschen. Das ist neben der Arbeit das Wohnen. Es wäre unglaublich dringend notwendig, den gemeinnützigen Wohnbau massiv zu fördern, egal ob in Form von sozialem Wohnbau der Gemeinden oder in Form von Wohnungsgenossenschaften. Denn anders können wir den Anstieg der Mieten nicht in Grenzen halten. Wien war und ist im internationalen Vergleich deshalb noch immer eine relativ günstige Stadt zum Wohnen, weil der Anteil der Gemeindewohnungen in keiner europäischen Großstadt größer ist als in Wien.
Aber statt den gemeinnützigen Wohnbau zu fördern, hat die Regierung bisher nur einen einzigen Akt gesetzt, den ich tatsächlich als Bosheits-Akt bezeichnen würde: Der Finanzminister hat erklärt, eine Haftung des Bundes für 500 Millionen Euro an Wohnbaukrediten nicht mehr zu geben, also zurückzuziehen. Dabei hätte das den Bund überhaupt nichts gekostet. Das geht in die Richtung – und das ist die Gefahr, die ich sehe –, dass die private Immobilienwirtschaft zulasten des gemeinnützigen Wohnbaus begünstigt wird. Und das wiederum steht vermutlich und bedauerlicherweise in Zusammenhang mit der Liste der Spender für den Wahlkampf von Sebastian Kurz.
Diese Ungleichheit, die Sie angesprochen haben, hat die ein Geschlecht?
Die Ungleichheit hat ganz viele verschiedene Dimensionen: Inländer, Ausländer, Ungleichheit in unterschiedlichen Berufsgruppen, Stichwort Landwirte, Besitzer von Kapitalgesellschaften, und eine ganz wichtige Dimension ist natürlich die des Geschlechts. Es ist ja unbestritten, dass wir in der Bezahlung zwischen Männern und Frauen keine Gleichheit haben. Frauen verdienen für die gleiche Arbeit deutlich weniger als Männer. Es gibt einen Bereich, wo das nicht ausgeprägt ist, das ist der öffentliche Dienst. Aber auch da soll eher eingespart werden, statt in die Sozialarbeit, die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund, in Kindergärten, Volksschulen, das mittlere und höhere Bildungssystem zu investieren. In all diesen Bereichen werden keine expansiven Maßnahmen gesetzt, obwohl sie gerade dort besonders wichtig wären. Das wird natürlich indirekt und langfristig auch die Ungleichheit erhöhen.
Gibt es ein Instrument, das der Ungleichheit entgegenwirken könnte? Was würden Vermögenssteuern bringen?
Das liegt in der Natur der Sache, dass eine Vermögenssteuer die Ungleichheit verringern würde. Ideologisch ist das bei dieser Regierung natürlich nicht zu erwarten. Zu den faszinierendsten Dingen, die meiner Ansicht nach noch viel zu wenig beachtet werden, gehört, dass die FPÖ, also die Partei, die sich immer als jene im Dienste der kleinen Leute versteht, sich schon seit Jahren an den Empfehlungen des österreichischen Nobelpreisträgers Friedrich August von Hayek orientiert. Der wiederum ist einer der Vordenker des Neoliberalismus gewesen. Ich bin immer verblüfft, dass die Präsidentin des Hayek-Instituts, Frau Dr. Barbara Kolm, von der freiheitlichen Partei für alle möglichen Funktionen von der Rechnungshofpräsidentin bis zur Gutachterin in Sachen Budget herangezogen oder jedenfalls vorgeschlagen wird.
Die neoliberale Ausrichtung zeigt sich natürlich auch bei ganz konkreten Vorschlägen wie jenen einer Vermögenssteuer, gegen die die Partei der kleinen Leute immer schon eingetreten ist, obwohl sie ganz offensichtlich den kleinen Leuten nützen würde. Denn man würde sich alle möglichen Einsparungen im Sozialbereich ersparen, wenn die wirklich Vermögenden einen nennenswert höheren Beitrag zum Gemeinwesen leisten würden.
Welche Rolle spielt der Sozialstaat? Spielt er überhaupt noch eine Rolle?
Der Sozialstaat ist vielleicht das beste Beispiel für diese sehr geschickte Strategie, die ich anfangs angesprochen habe: das Marketing, die Werbung, in der die Verpackung ganz anders gestaltet wird als der Inhalt. Das war schon beim Wahlprogramm des Sebastian Kurz so, aber auch bei den Freiheitlichen. Dort wird geradezu ein hohes Lob auf den Sozialstaat gesungen und man bekennt sich zum Sozialstaat, aber die konkreten Maßnahmen bis hin zur drohenden Auflösung der AUVA weisen genau in die Gegenrichtung. Denn was ist Sozialstaatlichkeit anderes als institutionalisierte Solidarität? Ich möchte daran erinnern, dass der Begriff der Krankenkasse aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt. Warum? Weil die Krankenkasse eine Kassa war. Das war eine Schachtel, wo jeder Arbeiter im Unternehmen jede Woche ein paar Pfennige oder Heller eingezahlt hat. Sie haben sich also selber organisiert, damit für den Fall, dass einer von ihnen krank wird, er daraus eine kleine Unterstützung bekommen kann. Das ist der Ursprung von Sozialstaatlichkeit.
Ab den 1880er-Jahren hat man diesen Grundgedanken institutionalisiert und die allgemeine Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Pensionsversicherung etc. geschaffen. Und es gibt nichts, was dem neoliberalen Denken unangenehmer wäre als der Sozialstaat. Aber hier sehen wir, wenn man so will, das Schlaue der Regierung, dass sie auf der Ebene der Propaganda, der Werbung eben nicht zur Praxis ihrer Politik steht. Fürs Schaufenster hält sie immer gute Worte für den Sozialstaat bereit, aber in den konkreten Maßnahmen möchte sie den Sozialstaat schwächen.
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/18.
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