Arbeit&Wirtschaft: „Wir haben geschlossen!“, heißt es derzeit wieder in Hotels und Gastronomie: Österreich befindet sich zum Zeitpunkt unseres Gesprächs im bereits vierten Lockdown, um eine neuerliche Welle an COVID-Erkrankungen zu brechen. Wie ist die Stimmung der Beschäftigten in der Tourismusbranche aktuell?
Roman Hebenstreit: Verständlicherweise nicht sonderlich gut. Wir reden da von Menschen, die jeden Lockdown am eigenen Leib gespürt haben, weil es immer auch automatisch um die eigene Existenz, den Job und damit das Einkommen und das notwendige Auskommen gegangen ist. Gerade der Tourismus ist ja bekanntlich nicht gerade ein Hochentlohnersektor und ist auch aufgebaut auf Trinkgeld. Da hat es sehr lange gedauert, bis wir es geschafft haben – nämlich erst jetzt in der letzten Kurzarbeitsrunde – wenigstens eine teilweise Entschädigung für diese Trinkgeldbestandteile zu bekommen. Das hat am Ende für viele bedeutet, dass trotz einer vermeintlich hohen Nettoersatzrate in der Kurzarbeit trotzdem netto wenig geblieben ist.
Haben Sie das Gefühl, dass die Arbeitgeber:innenseite aus den vorangegangenen Erfahrungen gelernt hat und dieses Mal Dinge anders macht – Stichwort Kurzarbeit, oder Kündigungen?
Mir wäre spontan nichts aufgefallen. Der Tourismus ist leider für mich in vielerlei Hinsicht auch eine etwas verlorene Branche, weil es wahnsinnig schwer ist, auf der Arbeitgeber:innenseite Bewegung zu schaffen. Der Tourismus ist beispielsweise auch die einzige Branche, bei der wir keine Einigung zu den jetzt gesetzlich angepassten Kündigungsfristen auf Grund der Angleichung Arbeiter:innen und Angestellte durchbringen konnten. Da landen wir jetzt vor dem Höchstgericht. Ich würde die Branche durchwegs als eine definitiv unbelehrbare bezeichnen.
Haben Sie den Eindruck, dass es jetzt genauso viele Kündigungen gibt, wie im ersten Lockdown?
Da hat es durchwegs eine Reduktion gegeben und zwar aus einem in der Zwischenzeit absolut verständlichen Motiv, nämlich der Tatsache, dass man nun Angst hat, dass man dann überhaupt niemanden mehr findet. Und es ist schon so, dass die Erfahrung aus den ersten Lockdowns und aus den Kündigungswellen, die damit stattgefunden haben, die war, dass es immer schwieriger wird, die Menschen zurück in diese Branche zu bringen.
Im vergangenen Sommer konnte sich der Tourismus nach dem schwierigen Start ins Jahr 2021 etwas erholen. Für viele Tourismusbetriebe war es aber eben schwierig, Mitarbeiter:innen zu finden. Darüber klagte die Branche schon vor der Pandemie, inzwischen wechselten aber auch noch viele in andere Berufe. Was bedeutet das für die Arbeitsbedingungen jener, die weiter im Tourismus tätig sind?
Dass sich zum Guten bisher nichts verändert hat und langsam die Hoffnung schwindet. Es gibt den Referenzbudgetrahmen, den die Schuldnerberatung festlegt, ab welchem Nettoeinkommen ein normales Leben machbar ist. Der Medianwert im Tourismus liegt unter diesem Referenzbudgetwert, der aktuell bei etwa 1.460 Euro netto ist. Das heißt, wir haben in dieser Branche eine ziemliche Herausforderung, was die Rahmenbedingungen anbelangt. Da ist einerseits das Einkommen plus die Tatsache, dass natürlich die Beschäftigungsbedingungen auch prekärere sind. Da meine ich nicht unbedingt, dass man am Wochenende und an den Feiertagen arbeitet, das weiß man, wenn man in den Tourismus geht, und das gibt es übrigens auch in anderen Branchen. Sondern eher die Tatsache, dass etwa Planbarkeit oder Jobsicherheit mit großen Fragezeichen versehen sind.
Es gibt den Referenzbudgetrahmen, den die Schuldnerberatung festlegt, ab welchem Nettoeinkommen ein normales Leben machbar ist. Der Medianwert im Tourismus liegt unter diesem Referenzbudgetwert, der aktuell bei etwa 1.460 Euro netto ist.
Roman Hebenstreit, vida-Vorsitzender
Das heißt, wenn ich in diese Branche gehe, weiß ich in der Regel nicht, wie lange habe ich diesen Job, wie sicher habe ich ihn und da geht es nicht immer nur um den Lockdown, sondern da geht es von der einen Saison in die nächste. Und es ist auch das Thema Planungssicherheit ein großes Fragezeichen. Warum? Weil einfach auf Grund der Volatilität der Dienste und der üblichen „Du bleibst heute da, weil wir brauchen dich“-Geschichte eine Freizeit- oder eine Lebensplanung immer schwieriger geworden ist. Im Tourismus ist das wahrscheinlich eine besondere Herausforderung für viele Menschen, deshalb ist auch die Flucht entsprechend groß.
Das heißt, es wird also maximale Flexibilität eingefordert, aber diese wird nicht belohnt.
Es gibt natürlich einzelne Ausnahmen so wie überall. Und es kommen mehr und mehr Qualitätsbetriebe auch zu uns, die fragen: Was gibt es auf der Seite der Gewerkschaft für Ideen und wie können wir die Branche attraktiver gestalten? Mit denen führen wir auch durchwegs vernünftige Gespräche. Schwieriger ist es mit der Gesamtbranche und auch mit dem Arbeitgeber:innenverband, nämlich mit der Fachgruppe innerhalb der Wirtschaftskammer, hier zu einer Lösung zu kommen. Dazu kommt, dass es auf der Hotellerie-Seite ja einen Freiwilligenverband mit der ÖAV gibt, das macht es für uns nicht unbedingt einfach, hier zu branchenübergreifenden Verbesserungen zu kommen. Das letzte Beispiel: Wir haben mehrfach schon versucht, Systemveränderungen und –verbesserungen mit der Arbeitgeber:innenseite gemeinsam zu erzielen, wir sind aber immer am Streit auf der Arbeitgeber:innenseite gescheitert.
Etwas, was die Arbeitgeber:innenseite immer wieder beklagt, ist der so genannte „Fachkräftemangel“, wo aber die Gewerkschaft die Position vertritt, man muss die Arbeitsbedingungen für Tourismusbeschäftigte ändern, damit die Branche wieder attraktiver wird.
Ich sage dazu immer: Wir haben keinen Fachkräftemangel, sondern wir haben einen Bezahl- und Ausbildungsmangel. Bezeichnend ist in dieser Branche letztendlich auch, dass die Zahl der Lehrlinge um mehr als 30 Prozent rückläufig ist im letzten Jahrzehnt, das heißt, es bilden auch immer weniger Betriebe ihren Nachwuchs aus. Ich kann nicht auf der einen Seite rufen, dass uns der Nachwuchs fehlt, und auf der anderen Seite aber keine Bereitschaft besitzen, für den eigenen Nachwuchs auch ein Stückchen selbst zu sorgen.