Kritiker sagen, diese Behörde werde in der Praxis wenig gegen Lohn- und Sozialdumping ausrichten können. Was antwortest du ihnen?
Solche skeptischen Töne kann ich verstehen. Ich glaube, bis diese Behörde überhaupt operativ zu arbeiten beginnt, wird ohnehin viel Zeit vergehen. Ich gehe davon aus, dass es mehrere Jahre braucht, bis die Behörde voll funktionsfähig sein wird. Dann erwarte ich mir aber, dass sie zumindest die limitierten Kompetenzen, die sie hat, engagiert nützt. Zum Beispiel, dass sie dem nachgeht, wenn sie von österreichischen Gewerkschaften darauf aufmerksam gemacht wird, dass am österreichischen Arbeitsmarkt bei grenzüberschreitenden Entsendungen massiv Lohn- und Sozialdumping betrieben wird. Dass sie dann gemeinsame Kontrollen der betreffenden Länder anregt und – auch wenn sie keine Sanktionen setzen kann – diese Verstöße dann auch öffentlich macht. Vielleicht in einer Art Blacklist. Damit der Druck auf die betreffenden Mitgliedstaaten steigt und auch der Druck auf die Kommission, hier weitere Schritte zu setzen.
ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian hat sich dafür ausgesprochen, dass die Europäische Arbeitsbehörde ihren Sitz in Wien hat. Die österreichische Bundesregierung hat sich aber gegen die Arbeitsbehörde ausgesprochen und sich entsprechend nicht um ihren Sitz beworben. Jetzt ist die Bewerbungsfrist abgelaufen. Das heißt, der Sitz der Behörde wird nicht in Wien sein?
Ja, der Sitz der Behörde wird definitiv nicht in Wien sein. Die österreichische Bundesregierung hat damit eine große Chance vertan. Weil Österreich mit den langen Grenzen zu neuen EU-Mitgliedstaaten und mit den starken Lohnunterschieden eigentlich ein Hotspot ist. Ein Hotspot der Arbeitsmobilität, aber auch des Lohn- und Sozialdumpings. Deshalb ist Wien ja eigentlich prädestiniert gewesen. Leider hat die Bundesregierung diese Chance nicht genützt und sich stattdessen eigentlich immer nur destruktiv verhalten, wollte von Anfang an die Arbeitsbehörde gänzlich verhindern. Völlig absurd, wenn man bedenkt, dass Österreich wahrscheinlich das Land ist, das von einer starken Arbeitsbehörde am stärksten profitieren könnte.
Die Arbeitsbehörde ist eine konkrete Maßnahme zur Umsetzung der 2017 beschlossenen „Europäischen Säule Sozialer Rechte“. Die Bezeichnung ist etwas verwirrend, denn diese Säule enthält keine Rechte im Sinne von Ansprüchen, sondern ist eine reine Absichtserklärung …
Ja, die Säule setzt nur unverbindliche Prinzipien fest. Das war das Maximum, das politisch erreichbar war, vor dem Hintergrund, dass viele Mitgliedstaaten sozialpolitischen Initiativen auf europäischer Ebene sehr skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, vor allem Staaten aus Osteuropa und vor allem die konservativ und liberal regierten Länder – einschließlich Österreich.
Die „Europäische Säule Sozialer Rechte“ darf keine heiße Luft bleiben, sondern muss wirklich zu verbindlichen Regelungen führen.
Unsere Forderung, also die Forderung des ÖGB und auch des Europäischen Gewerkschaftsbundes, war und ist: Die Säule darf keine heiße Luft bleiben, sondern muss wirklich zu verbindlichen Regelungen führen, zu spürbaren Verbesserungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deswegen haben wir diese Säule auch unterstützt. Und das geht nur über verbindliche Richtlinien. Die Einsetzung der Arbeitsbehörde ist ein konkreter Schritt, um die Säule umzusetzen. Viele weitere Schritte werden aber in den nächsten Jahren noch notwendig sein. Wie die Umsetzung in der Praxis aussehen wird, wird sehr stark vom nächsten Parlament und von der nächsten Kommission abhängen.