Aus dem Alltag eines KV-Verhandlers – Franz Georg Brantner im Interview

Interviewfoto von Handels-KV Verhandler Franz Georg Brantner
Das neue Arbeitszeitgesetz soll in den Kollektivverträgen für die ArbeitnehmerInnen tragbarer gemacht werden. „Zu Beginn der ersten Runde sagte zwar unser Verhandlungs-Vis-à-vis, also der Chefverhandler der Arbeitgeberseite, das spielt im Handel keine Rolle. Dann hat es doch eine Rolle gespielt: Die zwölf Stunden sind am Tisch“, so Brantner im Interview.
Foto (C) Michael Mazohl

Inhalt

  1. Seite 1 - Der 12-Stunden-Tag ist da
  2. Seite 2 - Ringen um jeden Abschluss
  3. Seite 3 - Kapital gegen ArbeitnehmerInnen
  4. Seite 4 - No-Gos und Erpressungsversuche
  5. Auf einer Seite lesen >
Seit mehr als 20 Jahren verhandelt Franz Georg Brantner den Handelskollektivvertrag mit, inzwischen ist er gemeinsam mit Anita Palkovich von der GPA-djp hauptverantwortlich in diesem jährlichen Reigen um höhere Gehälter und bessere Rahmenbedingungen für die Beschäftigten im Handel. Arbeit & Wirtschaft bat Brantner, ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern. Was macht einen guten Verhandler bzw. eine gute Verhandlerin aus? Wie groß ist der Druck auf das KV-VerhandlerInnen-Team?
Zur Person
Franz Georg Brantner, geb. 1960, Herba Chemosan Zentralbetriebsratsvorsitzender, Vorsitzender des Wirtschaftsbereichs Handels in der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) sowie Regionalvorsitzender der GPA-djp Wien. Er ist zudem Sprecher der „Allianz für einen freien Sonntag“. Seit mehr als 20 Jahren verhandelt er den Handels-KV mit, inzwischen ist er hauptverantwortlich.
Als wir einander zu diesem Gespräch treffen, sind die heurigen Handels-KV-Verhandlungen gerade im Laufen. In großer Runde wird von ArbeitnehmerInnen-Seite in einem Saal im ersten Stock der Wirtschaftskammer darüber beraten, was das Kernverhandlungsteam aus den eigentlichen Verhandlungen einige Stockwerke höher berichtet. Die Stimmung ist angespannt. Jeder bzw. jede spürt, dass das Damoklesschwert des neuen Arbeitszeitgesetzes über den Verhandlungen hängt. Wird es gelingen, in den KV-Verhandlungen die Verschlechterungen, welche die Arbeitszeitflexibilisierung mit sich bringt, abzufedern?

Arbeit & Wirtschaft: Sie sind gerade mitten in den Handelskollektivvertragsverhandlungen. Wie unterscheiden sich die laufenden Runden mit dem neuen Arbeitszeitgesetz als Rahmen von früheren Verhandlungen?

Wenn eine Kollegin erkrankt oder eine Pflegefreistellung notwendig wird, dann wird Notprogramm gefahren. Und dann wird gerade im Handel von den Kollegen und Kolleginnen sehr stark Flexibilität eingefordert und die ist dann nicht mehr freiwillig.

Franz Georg Brantner: Sie sind sehr stark vom – ich nenne es immer Arbeitszeitverschlechterungsgesetz – beeinflusst. Zu Beginn der ersten Runde sagte zwar unser Verhandlungs-Vis-à-vis, also der Chefverhandler der Arbeitgeberseite, das spielt im Handel keine Rolle. Dann hat es doch eine Rolle gespielt: Die zwölf Stunden sind am Tisch. Und wir bekommen das ja auch immer wieder mit. Im Handel haben wir eine sehr enge Personaldecke und meistens funktioniert die Personaldecke so lange, solange kein Sonderfall eintritt. Wenn eine Kollegin erkrankt oder eine Pflegefreistellung notwendig wird, dann wird Notprogramm gefahren. Und dann wird gerade im Handel von den Kollegen und Kolleginnen sehr stark Flexibilität eingefordert und die ist dann nicht mehr freiwillig.

Wie geht die ArbeitnehmerInnen-Seite damit in den Verhandlungen um?

Im Herbst hatten wir eine große Konferenz der KollektivvertragsverhandlerInnen und da haben wir beschlossen, dass wir mit aller Kraft versuchen, in den laufenden Kollektivvertragsverhandlungen oder in Sonder-Kollektivrunden – bei uns ist es ja so, dass wir das jetzt in unserer normalen Runde mitnehmen – so viele Punkte wie möglich, die aus unserer Sicht im Arbeitszeitgesetz schlecht sind, wieder für unsere KollegInnen wegzuverhandeln.

Sperrt sich da die ArbeitgeberInnen-Seite?

Die Arbeitgeberseite kommuniziert mir, aber ich höre es auch von anderen Verhandlerinnen und Verhandlern, wir haben ja nichts mit dem zu tun. Das ist ja von der Regierung gekommen. Wir wissen aber ganz genau, dass die Besteller die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung sind. Und teilweise wurden nur mit Copy-and-Paste Forderungen von politischen Wirtschaftsverbänden, die seit Längerem bestanden haben, ins Regierungsprogramm und in die Gesetzeswerdung übernommen.

Franz Georg Brantner im Gespräch
„Man braucht einige Zeit, bis man versteht, wie das in der Sozialpartnerschaft wirklich läuft.“

Können Sie sich an Ihre ersten Kollektivvertragsverhandlungen zurückerinnern?

Ich kann mich sehr gut erinnern. Das muss vor mittlerweile 21 Jahren gewesen sein. Da bin ich als frisch gewählter Betriebsrat eingeladen worden, dorthin zu kommen, mir das anzusehen. Und irgendwie war das für mich eine ganz komische Welt. Da waren so viele Kolleginnen und Kollegen dort und dann ist oft stundenlang nichts passiert und dann ist das hohe Verhandlungsgremium heruntergekommen, hat uns über die Verhandlungsfortschritte berichtet. Teilweise sind wir zehn, zwölf Stunden dort gesessen und es haben sich bei den Gehaltsfortschritten nur 0,1 Prozent an einem Verhandlungstag verändert. Das waren oft Rituale, die ich als sehr sehr merkwürdig empfunden habe. Man braucht einige Zeit, bis man versteht, wie das in der Sozialpartnerschaft wirklich läuft.

Seit wann gehören Sie zum Kernverhandlungsteam?

Seit dem Jahr 2000, seit damals bin ich Wiener Vorsitzender des Wirtschaftsbereichs Handel in der GPA-djp. Als stellvertretender Vorsitzender im Bund wurde ich in den Verhandlungsprozess sehr eng eingebunden und seit zehn Jahren bin ich hauptverantwortlich, gemeinsam mit der Kollegin Anita Palkovich, die gemeinsam mit mir hauptamtlich verhandelt.

Können Sie sich an einen Moment in diesen vielen Jahren erinnern, in dem Sie das Gefühl hatten, dass die Luft zum Schneiden war?

Es ist ja so, dass die Kollegen aus dem Metallbereich, die eine sehr gute und engagierte Politik machen, natürlich immer sehr hohe, bestimmende Abschlüsse machen und die Bereiche, die zeitnah verhandeln, die sind dann immer in Konkurrenz mit ihnen.

Ich würde sagen, diesen Moment hat es bei jeder Verhandlung gegeben. Es hat in meiner Erinnerung nie eine leiwande Verhandlung gegeben, wo wir nur hingegangen sind und uns etwas abgeholt haben. Wir haben eigentlich um jeden Abschluss ringen müssen und das ist das, was mich oft ein bissl betroffen macht, wir reißen uns oft wirklich den Arsch auf und hörst du von den KollegInnen, dass du nur auf einen Abschluss oder einen Prozentwert reduziert wirst, der in einem anderen Wirtschaftsbereich erzielt wurde. Ich kann es auch namentlich ansprechen. Es ist ja so, dass die Kollegen aus dem Metallbereich, die eine sehr gute und engagierte Politik machen, natürlich immer sehr hohe, bestimmende Abschlüsse machen und die Bereiche, die zeitnah verhandeln, die sind dann immer in Konkurrenz mit ihnen. Sie werden immer am Abschluss der Metaller gemessen.

Aber sind die Metaller nicht eine ganz andere Branche, wo auch eine viel höhere Streikbereitschaft da ist?

Es gibt eine andere Streikbereitschaft, es ist ein anderer Organisationsgrad, es sind auch andere Wirtschaftsbedingungen. Es sind andere Unternehmen. Wenn ich mir die Situation in einem Industrieunternehmen anschaue, wo oft hunderte Leute arbeiten, und dann die Situation in einem kleinen Handelsunternehmen, wo drei oder vier Teilzeitbeschäftigte angestellt sind. Diese Dinge kann man nicht vergleichen. Aber auch in der medialen Berichterstattung werden hier Äpfel mit Birnen verglichen.

Franz Georg Brantner im Gespräch
„Es hat in meiner Erinnerung nie eine leiwande Verhandlung gegeben, wo wir nur hingegangen sind und uns etwas abgeholt haben. Wir haben eigentlich um jeden Abschluss ringen müssen.“

Wenn man sich so die schwierigen Momente anschaut: Worum geht es da genau? Um so und so viele Prozentpunkte Erhöhung der Gehälter oder um ganz andere Dinge?

Es geht in Wirklichkeit um den permanenten Gegensatz zwischen Kapital und Arbeitnehmern. 

Es geht in Wirklichkeit um den permanenten Gegensatz zwischen Kapital und Arbeitnehmern. Und da hängt es immer von verschiedenen Rahmenbedingungen ab, was gerade die Situation beeinflusst. Wir haben im Handel die Sondersituation, dass wir über Jahre mit unseren Sozialpartnern über die Reformierung unseres fast über 45 Jahre wenig veränderten Kollektivvertrags sehr, sehr viele Gespräche geführt haben. Dabei hat sich eine gewisse Kultur der Gespräche etabliert und wenn beispielsweise im Metallbereich vier, fünf Runden benötigt werden, um die Inflationsrate außer Streit zu stellen, hat das bei uns in Wirklichkeit zehn Minuten gedauert. Das heißt aber nicht, dass es in anderen Bereichen der Verhandlungen nicht auch für uns ähnlich schwer ist wie für die Kollegen im Metallbereich. Ich glaube, jeder Kollektivvertrag hat seine eigene Kultur in den Verhandlungen entwickelt. Und das hängt natürlich sehr stark von den Menschen ab, die in diesem Bereich arbeiten und den Kollektivvertrag verhandeln.

Gibt es auf der anderen Seite auch skurrile Momente, an die Sie sich erinnern können?

Es gibt schon skurrile Momente, aber ich kann jetzt nicht sagen, welcher am stärksten in Erinnerung ist. Skurril wird es dann, wenn es schon wirklich in die späte Nacht geht, auch wenn das bei uns nicht so Tradition ist wie in anderen Bereichen. Ich habe aber auch schon Nachtverhandlungen erlebt, bis drei Uhr, vier Uhr Früh. Und dann geht man raus, steigt ins Taxi, und in den Medien wird schon das Ergebnis der Verhandlungen dargestellt und da geht es oft darum, ob meine Kollegin von der GPA-djp schneller mit der Pressemeldung draußen ist als der Kollege von der Wirtschaftskammer und wer dann das idente Ergebnis wie darstellt. Und da denkt man sich dann schon oft wirklich, war ich da eigentlich dabei.

Welche Eigenschaften braucht man als guter KV-Verhandler?

Man muss Menschen gut kennen und man muss Menschen auch mögen. Und es gehört auch dazu, dass man den einen oder anderen Fehler, der einmal passiert, etwa durch sprachliche Unschärfe, nicht gleich dazu benutzt, an die Decke zu gehen, sondern dass man vielleicht auch hin und wieder Druck herausnehmen kann. Wichtige Dinge muss man deutlich und unmissverständlich fordern und betonen. Und ich glaube schon, dass auch ein gewisses Maß an Erfahrung für Frauen und Männer dazu gehört, die das machen.

Muss man auch Druck aushalten können?

Ja, der Druck ist sehr groß. Wenn ich mir am Weg zu den Verhandlungen in der Wirtschaftskammer in einem Einzelhandelsgeschäft noch etwas kaufe, denke ich mir, die Kollegin weiß grad nicht, wen sie kassiert. Ich verhandle ihren Kollektivvertrag und ich bin verantwortlich dafür, ob sie am Ende des Monats genug oder vielleicht nicht genug Geld hat, dann hat man schon eine sehr, sehr große Verantwortung. Und das ist auch belastend. Es geht bei uns um über 400.000 Kolleginnen und Kollegen.

Gruppenfoto der VerhandlerInnen des Handels-Kollektivvertrags
Franz Georg Brantner in der Mitte seines Teams, das den Handels-Kollektivvertrag verhandelt.

Wie weit darf man sich in solchen Verhandlungen herauswagen und was ist ein absolutes No-Go?

Es gibt bei uns zwei Bereiche: Es gibt das eigentliche Verhandlungsgremium. Da sitzen sich so ungefähr 15 Arbeitgeber und 15 Arbeitnehmer-Vertreter gegenüber, das ist die offizielle Ebene. Dort ist das, was du sagst, offiziell, und das kannst du in Wirklichkeit nicht mehr vom Tisch wegnehmen. Und dann gibt es auch noch die kleinen Sechs- oder Zwölf-Augengespräche, wo man dann womöglich auch in einer verfahrenen Verhandlungssituation auf Spitzenebene versucht, in der Tradition der bisher bestehenden Sozialpartnerschaft eine tragbare Lösung für beide Seiten zu finden.

Wie sieht es mit Wutanfällen oder Erpressungsversuchen aus?

In den zwei Jahrzehnten, in denen ich jetzt Kollektivvertragsverhandlungen führe, habe ich alles schon erlebt und meistens hat das nur zu einer persönlichen Verschärfung und Verschlechterung der Gesprächsebene geführt. Aber da gibt es immer verschiedene Wahrnehmungen darüber.

Wieviele Verhandlungsrunden hat es gebraucht, bis Sie das Gefühl hatten, jetzt sind Sie in der Materie gut eingearbeitet und sattelfest?

Ich habe das Glück gehabt, ungefähr sieben, acht Jahre neben einem sehr, sehr souveränen und gewieften Kollegen die Nummer zwei sein zu dürfen, das war der Kollege Felix Hinterwirth. Er war der Zentralbetriebsrat von der Quelle, der ein hochintelligenter und sehr analytisch denkender Lehrmeister für mich war. Ich habe da jeden Termin, wo ich mit ihm mitverhandeln durfte, als lehrreich empfunden und ich habe ihn dann nicht kopiert, aber sehr viel von dem, was ich mitnehmen durfte, dann auch versucht, umzusetzen. Aber es muss da jeder seinen Weg finden. Meiner ist wahrscheinlich anders als seiner.

Welchen Rat würden Sie jungen KV-VerhandlerInnen geben? Worauf muss man achten?

Nur wenn du die gemeinsamen Anliegen klar vertrittst, bist du ein starker Anwalt für deine Kolleginnen und Kollegen. 

Erstens einmal sollten sie körperlich fit sein. Und sie müssen sich mit den Zielen, die von den Gremien vorgegeben werden, eins zu eins identifizieren können. Bei uns ist es ja so, dass eine breite Meinungsfindung vor den Kollektivvertragsverhandlungen stattfindet. Nur wenn du die gemeinsamen Anliegen klar vertrittst, bist du ein starker Anwalt für deine Kolleginnen und Kollegen.

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Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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