Interview: Jeder hat das Recht auf Absicherung

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Die Sozialökonomin Karin Heitzmann plädiert für den Wandel vom Sozialversicherungsstaat zum Sozialstaat. Ein Gespräch über Bedürfnisse und Bedürftigkeit, über Kosten und Investitionen.

Wie kann das angesichts demografischer Veränderungen und stagnierenden Arbeitsvolumens finanziert werden?

Momentan finanzieren wir vieles über die Lohnsumme. Doch es gibt immer mehr prekäre Beschäftigung und Teilzeitjobs. Die Zahl der geringfügig Beschäftigten ist seit dem Jahr 2000 um 75 Prozent gestiegen. Wir haben zwar ein Jobwachstum, aber kein Arbeitswachstum. Was die weitere Digitalisierung bringen wird, weiß niemand so genau. Man wird sich also eine neue Art der Finanzierung überlegen müssen, bei der die Wertschöpfung miteinbezogen wird. Woher kommt das Wachstum, wer hat das Kapital? Wenn wir weiterhin so etwas wie einen Sozialstaat wollen, brauchen wir alternative Finanzierungsquellen.

Stichwort Asylberechtigte und Mindestsicherung: Wie groß ist die Belastung tatsächlich?

Die BMS-BezieherInnen werden mehr, doch das ist nicht nur auf die Asylberechtigten zurückzuführen. Allgemein ist schon länger zu bemerken, dass das erste soziale Netz immer häufiger nicht mehr ausreicht. Durch wiederholte Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung usw. sind Familieneinkommen oft so niedrig, dass das Arbeitslosengeld einfach nicht reicht oder trotz Arbeit aufgestockt werden muss. Die Mindestsicherung wird so zum ersten sozialen Netz, wofür sie nie gedacht war. Im Übrigen macht die Mindestsicherung nur rund ein Prozent der gesamten Sozialleistungen aus. Wobei nicht übersehen werden darf, dass die Belastung der Gemeinden zum Teil sehr wohl hoch ist, denn sie müssen für Menschen, die nach Österreich geflüchtet sind, Wohnraum schaffen, den Schulbesuch der Kinder organisieren etc. Doch vielleicht sollte man das alles weniger als Kosten und mehr als Investition in zukünftige, wertvolle Arbeitskräfte sehen. Häufig wird argumentiert, dass die Menschen wegen unserer Sozialleistungen nach Österreich kommen. Aber die Mindestsicherung ist eben kein Grundeinkommen, sondern an Bedingungen geknüpft. Und ähnlich wie bei der Notstandshilfe wird hier auch vermehrt kontrolliert, ob tatsächlich Bedarf besteht.

Von Asylberechtigten abgesehen: Wie viel Kontrolle ist nötig, um zu überprüfen, ob überhaupt ein Anspruch auf Mindestsicherung besteht?

Erstens: Es ist nicht so, wie oft dargestellt, dass sich Betroffene entscheiden können, ob sie Mindestsicherung beantragen oder arbeiten gehen. Tatsächlich muss ja, wer BMS bezieht und arbeitsfähig ist, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Ich denke, da kursieren viele Geschichten, und ich vermute auch, dass es für manchen BMS-Bezieher einfacher ist, für sich das Narrativ zu haben: „Ich will ja eh nicht und ich trickse die Behörden aus“, als der Realität ins Auge zu sehen. Tatsächlich haben die meisten keine Wahl. Zweitens: Kontrolle ist schwierig, obwohl wir ohnehin immer mehr zum gläsernen Menschen werden. Da die BMS als Fürsorgeleistung gedacht ist, sind meiner Meinung nach entsprechende Überprüfungen auch legitim.

Anders wäre es, wenn man in Richtung garantiertes Grundeinkommen gehen würde. Ich bin bezüglich bedingungslosen Grundeinkommens ja immer ziemlich skeptisch gewesen. Meine Bedenken sind, dass dann viele andere Sozialleistungen gestrichen werden. Man weiß aber, dass Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben. Diese sind vom Gesundheitszustand, Alter, Wohnort – Großstädte sind eben teurer –, Bildungsstand etc. abhängig. Ich bin eher dafür, darauf zu schauen, dass die Grundbedürfnisse abgedeckt sind.

Wenn jemand beispielsweise im geerbten Haus lebt, dann muss er oder sie das nicht verkaufen, kann dort wohnen und erhält eben weniger Geldleistungen?

Prinzipiell wäre ich eher für individuell abgestimmte Sachleistungen. Manche brauchen von Anfang an mehr Unterstützung, andere im Alter oder im Krankheitsfall. Dazu zählt natürlich auch der Bildungsbereich, wo Chancengleichheit anzustreben ist, also Benachteiligungen möglichst früh ausgeglichen werden sollten.
Zum Thema Erben: Vermögen sind hierzulande – und auch im internationalen Vergleich – höchst ungleich verteilt und diese Ungleichheit steigt von Generation zu Generation. Erbschaften bzw. Vermögen sollten besteuert werden, um einen Ausgleich zu ermöglichen.

Foto (C) Michael Mazohl
Allgemein ist zu bemerken, dass das erste soziale Netz immer häufiger nicht mehr ausreicht. Durch wiederholte ­Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung usw. sind Familieneinkommen oft so niedrig, dass das Arbeitslosengeld ­einfach nicht reicht oder trotz Arbeit aufgestockt werden muss.

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