Interview: „Ich möchte die Finger in Wunden legen“

Foto (C) Michael Mazohl

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Birgit Sauer, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien, über Männerkartelle in den Wissenschaften, über alternative Fakten und Angriffe auf die Demokratie.
Zur Person
Birgit Sauer ist seit 2002 Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien und damit eine der Pionierinnen unter den Professorinnen in Österreich. KollegInnen bezeichnen sie als „Titanin der Gender Studies“. Politisiert und sozialisiert in der Frauenbewegung in Deutschland, forscht Birgit Sauer vor allem zu Governance und Geschlecht, Politik und Geschlechterverhältnisse sowie Politik und Emotionen. Am 6. November 2017 hat sie den Wissenschaftspreis der Margaretha-Lupac-Stiftung für ihr wissenschaftliches Gesamtwerk und ihre Arbeit in der Geschlechterforschung erhalten.

Arbeit&Wirtschaft: Sie haben sich vor 40 Jahren der Wissenschaft verschrieben. Wie definieren Sie Ihre Aufgabe als Wissenschafterin?

Birgit Sauer: Als Wissenschafterin habe ich den Auftrag, das Wissen, das ich aus der Forschung gewinne, wieder in die Gesellschaft hineinzutragen und damit Gesellschaften in Richtung mehr Gleichheit und Gleichberechtigung voranzutreiben. Das Wissen soll also eine gewisse gesellschaftliche Wirksamkeit entfalten. Diese Wissensverbreitung erfolgt zum Beispiel über die Lehre an der Universität. Die ist ganz wichtig, weil man ganz viel Wissen aus der eigenen Forschungsarbeit an nächste Generationen weitergibt. Ich kann Wissen aber auch über Medien vermitteln. Oder es gibt viele Organisationen und NGOs, die gleichstellungsorientiertes Wissen nachfragen. Dort kann ich beispielsweise Wissen in Form von Fortbildungen vermitteln.

Das Bild von den Wissenschaften ist nach wie vor männlich, obwohl mittlerweile mehr Frauen ein Studium beginnen als Männer. Warum gehen den Wissenschaften in höheren Positionen die Frauen verloren?

Naja, es ist ein langer Weg von der Studentin zur Professorin. Beim Master- oder Diplomabschluss sind die Studierenden etwa Mitte zwanzig und dann stehen schon Lebensentscheidungen im Raum: Will ich Kinder oder nicht? Will ich mich weiterqualifizieren und eine Dissertation schreiben? Und da fängt es bereits an, dass geschlechterselektive Mechanismen greifen. Um überhaupt auf die Idee zu kommen, eine Dissertation zu schreiben, muss man ermutigt werden. Da zeigt die Forschung: Die Ermutigungsstruktur bevorzugt eher junge Männer, zu promovieren. Zudem gibt es wenige Stipendien in Österreich. Eine Promotion erfolgt also meistens über eine Praedoc-Stelle der Universitäten. Da verengt sich der Flaschenhals. Auf diesen Praedoc-Stellen sind zwar immer noch etwa 30 Prozent Frauen, das sind aber schon weniger, als Abschlüsse gemacht haben – einfach weil die Selektionsmechanismen so sind, dass Frauen nicht auf diese Stellen kommen. Um eine universitäre Position zu erreichen, auch das sagen Forschungen, braucht es ganz bestimmte informelle Netzwerke. Weil Professoren mehrheitlich männlich sind, ist es häufig so, dass diese informellen Netzwerke auch auf einer männlichen Kultur basieren.

Das berühmte „Bier danach“?

Genau. Ein Austausch beim Bier danach oder nach dem Kolloquium oder auf Tagungen. Diese Netzwerke sind tendenziell noch immer homosozial. Andererseits haben Frauen es viel schwerer aufgrund ihres ansozialisierten Habitus, der sie nicht gleich losschreien lässt: „Ich bin auch noch da! Ich bin auch toll!“ Männer machen das viel eher. Die sind einfach viel lauter und trauen sich mehr, sich in den Vordergrund zu stellen. Sie werden vor allem weniger negativ sanktioniert für ein solches Verhalten. Das sind feine Mechanismen, durch die Frauen ausgeschlossen werden oder einen schwereren Zugang haben.

Wie sehen solche Ermutigungsstrukturen aus?

Die Forschung hat gezeigt, dass zum Beispiel sehr viel über Ähnlichkeit läuft. Ein Ähnlichkeitsmerkmal ist Geschlecht, das heißt, dass männliche Professoren viel leichter Zugang finden zu jungen männlichen Wissenschaftern. Auch die „Kameraderie“ ist in männlichen Netzwerken viel einfacher. Eine wissenschaftliche Karriere ist also auch eine Frage von Role Models. Je mehr Frauen Professorinnen sind, umso mehr trauen sich Frauen zu sagen: „Vielleicht kann ich das ja auch!“

Es gibt doch Gesetze und eine Quotenregelung …

Ja, wir haben in Österreich ein Bundesgleichbehandlungsgesetz. Das Gesetz sagt: Bei gleicher Qualifikation dürfen Frauen bei Stellenbesetzungen bevorzugt werden. Durch diese Regelung ist die Anzahl von Professorinnen bereits gestiegen. Der springende Punkt ist aber: Was ist eigentlich gleiche Qualifikation? In den letzten zehn Jahren hat sich viel im Wissenschaftsbereich verändert. Es wird ganz viel auf die Quantifizierung von wissenschaftlichen Leistungen abgezielt. Das heißt: Ich veröffentliche nicht einen Artikel und der hat einen klugen Gedanken, der überall diskutiert wird und vielleicht innovativ ist. Nein, ich veröffentliche einen Artikel und der hat eine Maßzahl, den Impact-Faktor.

Obwohl man meinen kann, das ist ja ganz objektiv, zeigt sich: Da fallen Frauen raus, weil die Publikationskartelle männlich sind und Frauen eher rausdrängen – nicht, weil Frauen schlechter wären, sondern weil es wieder auf die Netzwerke ankommt. Als junge Forscherin kann ich kaum allein in ein hoch geranktes Journal reinkommen, da brauche ich einen Mentor oder eine Mentorin. Da haben wiederum männliche Jungwissenschafter eher einen Mentor.

Zieht man dies in Betracht bei Berufungsverfahren für Professuren, dann braucht es in den Berufungskommissionen Menschen mit einem „Gleichbehandlungsführerschein“, die also für geschlechterdiskriminierende Strukturen sensibilisiert sind. Man darf doch auf der Straße auch nicht einfach so rumgondeln ohne Führerschein. Warum soll man also Karrieren gefährden durch Menschen, die gar nicht für Gleichbehandlung sensibilisiert sind?

Sie selbst sind eine Pionierin, ein Role Model in den Wissenschaften. Welches Rezept haben Sie für andere Frauen?

Mein Rezept war immer: Netzwerke! Netzwerke von Frauen. Und das war total wichtig für meine eigene Biografie. In den Netzwerken kann man sich vieles geben, was man aus dem männlichen Umfeld eher nicht bekommt. Man kann sich selbst Ermutigung, Feedback und Zuspruch geben. Man kann sagen: „Das ist toll, was du da gemacht hast.“ Oder: „Bewirb dich da unbedingt!“ In weiterer Folge kann man über so ein Netzwerk selbst in eine Machtposition kommen, wo man entscheiden kann und Frauen fördern kann. Und in Netzwerken können auch Alternativen zum Wissenschaftsbetrieb entwickelt werden.

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Über den/die Autor:in

Irene Steindl

Irene Steindl studierte Publizistik mit Schwerpunkten in Politikwissenschaft und Gender Studies an der Universität Wien. Aufgewachsen in einer Umgebung von Bleilettern und Druckmaschinen sowie sozialisiert durch die Gewerkschaftsbewegung, entwickelte sie früh eine Leidenschaft für die Arbeit&Wirtschaft. Seit 2012 ist sie als freie Journalistin tätig und gibt Schreibworkshops für Unternehmen. Von 2023 bis 2024 war sie Chefin vom Dienst bei der Arbeit&Wirtschaft.

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