Interviewfoto von Hans Trenner
„Der Hauptpunkt der Diskussion rund um den 12-Stunden-Tag ist die Freiwilligkeit und die daraus resultierende Konsequenz, dass man eine allfällige Auflösung des Arbeitsverhältnisses anfechten kann.“ Trenner kennt die Tücken des neuen Gesetzes.
Fotos (C) David Kleinl

„Freiwilligkeit ist eine Schimäre“ – Hans Trenner im Interview

Inhalt

  1. Seite 1 - Hauptpunkt der Diskussion ist die Freiwilligkeit
  2. Seite 2 - Die Schierigkeit, Auflösung eines Dienstverhältnisses anzufechten
  3. Seite 3 - 4-Tage-Woche nicht im Gesetz
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Die neuen Arbeitszeitregelungen werfen für ArbeitnehmerInnen viele Fragen auf. Hans Trenner, Bereichsleiter für Beratung der Arbeiterkammer Wien, erklärt im Gespräch die wichtigsten Fallstricke.
Seit 1. September 2018 sind die in der Öffentlichkeit heiß debattierten neuen Regelungen zur Arbeitszeit in Kraft. Anfragen an die Arbeiterkammer Wien dazu landen auf dem Tisch von Hans Trenner und seinem Team. Trenner ist seit 1985 für die AK tätig und seit 2009 Leiter des Bereiches Beratung. Im Interview klärt Trenner über die häufigsten Anfragen der ArbeitnehmerInnen zu den neuen Regelungen auf. Er erklärt, wieso es für Betroffene schwierig sein wird, Kündigungen aufgrund des 12-Stunden-Tages anzufechten, wieso es mit der viel zitierten Freiwilligkeit seiner Meinung nach nicht weit her ist und welche Mehrbelastungen auf ArbeitnhmerInnen zukommen können. 

Zur Person
Hans Trenner, geboren 1958, ist promovierter Jurist und seit seit 1985 in der AK-Wien tätig. Zuerst war er Referent für Arbeitsrecht, ab 1992 leitete er die Abteilung Rechtsschutz. 2009 wurde er zum Leiter des Bereiches Beratung bestellt.

Seit 1. September 2018 ist das neue Arbeitszeitgesetz in Kraft. Spielt das eine Rolle bei den Beratungen bisher?

Konkret sanktionierbare Effekte gibt es noch nicht sehr viele. Ich kann sagen, was es für ArbeitnehmerInnen bedeuten wird: Der Hauptpunkt der Diskussion rund um den 12-Stunden-Tag ist die Freiwilligkeit und die daraus resultierende Konsequenz, dass man eine allfällige Auflösung des Arbeitsverhältnisses anfechten kann. Dieses Anfechten ist für die Betroffenen nicht so luxuriös ausgestaltet, dass sie sich um das Anfechten raufen.

Warum ist es als ArbeitnehmerIn schwierig, eine Auflösung des Dienstverhältnisses aufgrund des 12-Stunden-Tages anzufechten?

Der Grundgedanke des Arbeitsrechts ist: Der Arbeitnehmer muss als Schwächerer geschützt werden. 

Freiwilligkeit besteht nur dort, wo ich wirklich frei in meiner Willensentscheidung bin. Diese „Freiwilligkeit“ ist, da die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht auf Augenhöhe basiert, eine Schimäre. Der Grundgedanke des Arbeitsrechts ist: Der Arbeitnehmer muss als Schwächerer geschützt werden. Dem Schwächeren zu sagen, es gibt ein Recht abzulehnen, aber gleichzeitig hat der Arbeitgeber das Recht, Mehrarbeit anzuordnen, das passt nicht zusammen.

 

„Ein Beispiel aus dem Gastgewerbe: Der Arbeitnehmer lehnt nach der 10. Stunde die Mehrarbeit ab. Der Chef akzeptiert das scheinbar, zwei Wochen später folgt die Kündigung.“ Trenner über die Schwachpunkte des neuen Arbeitszeitgesetzes.

Was sind die Schwachpunkte in Bezug auf Anfechtungen?

Das Benachteiligungsverbot muss ich zuerst einmal durchsetzen. In der Vergangenheit war es so, wenn der Arbeitnehmer ab der 10. Stunden gesagt hat, ich höre jetzt auf, hat er Recht gehabt. Nun kann der Arbeitgeber mit Recht ab der 10. Stunde auch mehr verlangen. In Zukunft wird es so sein, dass ein Arbeitnehmer, der sich auf das Ablehnungsrecht der 11. und 12. Stunde beruft und seinen Job verliert, dem Gericht glaubhaft machen muss, dass die Ablehnung der Mehrarbeit der Grund für den Hinauswurf war. Ein Beispiel aus dem Gastgewerbe: Der Arbeitnehmer lehnt nach der 10. Stunde die Mehrarbeit ab. Der Chef akzeptiert das scheinbar, zwei Wochen später folgt die Kündigung. Der Arbeitnehmer ficht an, er hätte das Recht gehabt, die verlangte Überstunde nach 10 Stunden Tagesarbeitszeit abzulehnen.

Vor Gericht gibt der Chef aber einen anderen Kündigungsgrund an: Es hätten sich drei Kunden beschwert, weil die Pizza verbrannt war. Wem wird der Richter glauben? Er könnte sagen, ich verstehe, dass sie deshalb den Pizzakoch nicht weiter beschäftigen wollen. Das Anfechtungsrecht garantiert die Freiwilligkeit keineswegs.

Das bedeutet, in Österreich trägt der Arbeitnehmer die Beweislast, wie ist das etwa in Deutschland?

In Deutschland ist das Kündigungsschutzrecht umgedreht. Hier muss zuallererst der Arbeitgeber nachweisen, warum er jemand gekündigt hat. 

In Deutschland ist das Kündigungsschutzrecht umgedreht. Hier muss zuallererst der Arbeitgeber nachweisen, warum er jemand gekündigt hat. Dieser Kündigungsgrund ist im Vorverfahren zu fixieren und kann nicht im Verfahren beliebig erweitert werden. In unserem Verfahrensrecht ist es so, dass der Arbeitgeber bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, und das kann sehr lange dauern, jeden Grund nachliefern kann, etwa wenn er sagt, ich bin draufgekommen, dass der Arbeitnehmer regelmäßig zwei übriggebliebene Semmeln mit nach Hause genommen hat.

Haben Sie das Gefühl, dass sich Anfragen mehren zum 12-Stunden-Tag?

Das Gesetz ist seit knapp zwei Monaten in Kraft. Tendenziell haben wir das Gefühl, dass es die Mitglieder sehr interessiert, wie sie hier stehen. Betroffene vertreten wir und informieren sie, wie das Verfahren funktioniert. Das ist ein mühevoller Prozess. Vor einem Gericht zu stehen und zu sagen: „Ich bin zu Unrecht aus dem Arbeitsverhältnis hinausgedrängt worden“, aber gleichzeitig in der Erwartungshaltung zu sein: Der Arbeitgeber wird jetzt anfangen, Schmutzwäsche zu waschen – das ist nicht jedermanns Sache. Viele suchen sich lieber einen neuen Job, ohne einen Konflikt mit dem Arbeitgeber ausgetragen zu haben.

Interviewfoto von Hans Trenner
„Es heißt: Gearbeitet soll dann werden, wenn die Arbeit da ist. Diese Flexibilisierung ist eine Flexibilisierung zugunsten des Arbeitgebers,“ so Trenner.

War der 12-Stunden-Tag nicht schon bisher möglich?

Es ist ja nicht so, dass es in der Vergangenheit keinen 12-Stunden-Tag gab, er war nur unter sehr engen Kriterien zulässig. Es musste entweder der Betriebsrat oder ein Arbeitsmediziner zustimmen. Jetzt unterliegt es schlicht und einfach der Bestimmung des Arbeitgebers, das abzuverlangen. Man sagt zwar, der Arbeitnehmer kann es freiwillig machen, aber die Freiwilligkeit hat ihre Grenzen, weil der Arbeitnehmer unter dem Druck des Arbeitgebers steht. Das Prinzip des Arbeitsrechts ist, dass der Arbeitnehmer geschützt werden muss, weil er der Schwächere ist. Diesen Grundsatz missachtet jedoch das Gesetz.

Was sagen Sie zu dem Argument, flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen mehr Wahlfreiheit, etwa eine 4-Tage-Woche?

Wenn es so wäre, dass die Arbeitnehmer das Recht hätten, selbstbestimmt ihren Arbeitstag zu planen, dann bräuchte man keine gravierenden Änderungen dazu. 

Abgesehen davon, dass eine 4-Tage-Woche jetzt schon möglich gewesen wäre, halte ich eine Flexibilisierungsdebatte, die dem Betroffenen nicht vollkommene Flexibilität ermöglicht, für eine Scheindebatte. Wenn es so wäre, dass die Arbeitnehmer das Recht hätten, selbstbestimmt ihren Arbeitstag zu planen, dann bräuchte man keine gravierenden Änderungen dazu. Doch bereits im alten Regime wurden der Flexibilisierung enge Grenzen gesetzt. Flexibilisierung kann auch ohne dezidierte Arbeitsanweisung des Arbeitgebers unterbunden werden.

Die Arbeitsmenge steuert schlicht und einfach den Arbeitseinsatz. Wenn mir der Chef jeden Tag einen Stoß Akten auf den Schreibtisch knallt, habe ich scheinbar „das Vergnügen“, es mir selbst einzuteilen, und dass ich so lange arbeiten muss, bis die Aufträge erledigt sind. Wenn der Arbeitgeber am nächsten Tag den Stoß erneuert und dadurch den Packen steuert, den ich abarbeiten muss, ist die „Flexibilisierung“ entlarvt. Es heißt: Gearbeitet soll dann werden, wenn die Arbeit da ist. Diese Flexibilisierung ist eine Flexibilisierung zugunsten des Arbeitgebers. Eine Flexibilisierung für Arbeitnehmer wäre es dann, wenn diese sich die Zeit unabhängig von der noch zu erledigenden Arbeitsmenge einteilen könnten.

Was erleben Sie so bei Prozessen?

Viele Arbeitgeber nehmen die Leistung entgegen, die wird deshalb erbracht, weil die Aufforderung nicht ausdrücklich, aber stillschweigend erfolgt. Aber wenn es darum geht, die Überstunden auch zu zahlen, sagen viele: „Ich habe ja nicht gesagt, dass du so viel arbeiten sollst. Ich habe dir das nicht angeschafft.“ Ich habe vor kurzem ein Urteil gelesen, wo ein Gastronom gesagt hat, dass die Arbeitszeit der Mitarbeiter den Öffnungszeiten des Lokals entspricht. Der Richter hat ins Urteil geschrieben, dass er es noch nie erlebt hat, dass in einem Restaurant die Arbeit erst mit dem Aufsperren beginnt. Der erste Gast, der hineinkommt, würde dann nur ein kaltes Essen bekommen. Man versucht, den Arbeitnehmern den schwarzen Peter für die Überstunden zuzuschieben. Das heftige Problem: Die Arbeitgeber zahlen nur den Grundvertrag, die Mehrleistung nicht. Wenn Arbeitnehmer diese einfordern, müssen sie das vor Gericht tun.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Sandra Knopp ist freie Journalistin für verschiedene Radio und Printmedien, und hat die Themen Arbeitsmarkt, Soziales und Gesellschaftspolitik als Schwerpunkte. Udo Seelhofer war früher Lehrer und arbeitet seit 2012 als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, soziale Themen und Religion. Im Team wurden sie beim Journalismuspreis „Von unten“ 2017 für ihre Arbeit&Wirtschaft Reportage „Im Schatten der Armut“ ausgezeichnet.

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