Arbeit&Wirtschaft: „In der Wirtschaft der Zukunft sitzen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einem Boot“: Das meint der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer. Teilen Sie diese Auffassung?
Barbara Teiber: Nein, diese Auffassung teile ich nicht. Was den Wirtschaftsstandort betrifft, gibt es durchaus manches, was man ähnlich sehen kann. Klar ist aber: Es gibt nach wie vor einen Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Arbeitgebern. Deshalb haben beide Gruppen ja auch unterschiedliche Interessenvertretungen.
Ein Beispiel: Die Wirtschaft lobbyiert für niedrigere Unternehmenssteuern, niedrigere Gewinnsteuern. Bei der von Türkis-Blau geplanten Steuerreform konnte man sehr gut sehen, dass man den Wünschen der Industriellen entsprechen wollte. Diese wären nämlich über Gebühr entlastet worden. Wir sind dafür – wenn überhaupt –, die Gewinnsteuern nur für jene zu senken, die investieren und Arbeitsplätze schaffen.
Wir sind dafür – wenn überhaupt –, die Gewinnsteuern nur für jene zu senken, die investieren und Arbeitsplätze schaffen.
Sehr bedenklich finde ich, dass gerade Herr Neumayer fordert, die Arbeiterkammerumlage zu senken. In Wahrheit ist das einer der stärksten und besten Gründe dafür, warum es eine starke AK und starke Gewerkschaften braucht – gerade bei einer Regierung, die einseitig die Interessen der Arbeitgeber vertritt, wie es bei Türkis-Blau der Fall war. In dieser Situation wäre es der Industriellenvereinigung offenbar besonders recht gewesen, uns zu schwächen. Und noch ein Satz zum sachlichen Diskurs: Für den sind wir jederzeit zu haben. Aber die Industrie will einseitig alles diktieren, und dafür stehen wir nicht zur Verfügung.
Neumayer argumentiert, die Senkung der AK-Umlage wäre sozial und im Sinne von GeringverdienerInnen. Auch in der Wirtschaft würden die Großen mehr zahlen als Kleine. Ist der Vergleich zulässig?
In der Wirtschaftskammer zahlen auch die Kleinen wesentlich mehr als gering verdienende ArbeitnehmerInnen für ihre Interessenvertretung. Das sieht man auch daran, dass die Wirtschaftskammer ein doppelt so hohes Budget hat wie die Arbeiterkammer, obwohl sie viel weniger Mitglieder zu vertreten hat. Es ist eine Chuzpe und Überheblichkeit von Arbeitgebervertretern und Industrie, sich herauszunehmen, hier überhaupt mitreden zu wollen. Nur die AK-Mitglieder können über die Zukunft der Arbeiterkammer entscheiden.
Im Vertrauensindex schneidet die Arbeiterkammer so gut ab wie kaum eine andere Institution. Dass die Wirtschaft uns ausrichtet, wie wir zu agieren haben, ist offen gesagt eine Frechheit.
Wir wissen von sämtlichen Befragungen, dass die Mitglieder zu ihrer Arbeiterkammer stehen. Im Vertrauensindex schneidet die Arbeiterkammer so gut ab wie kaum eine andere Institution. Dass die Wirtschaft uns ausrichtet, wie wir zu agieren haben, ist offen gesagt eine Frechheit.
Die AK hat in vielen Lebensbereichen große Bedeutung, allen voran in der Arbeitswelt. Was würde die Kürzung der finanziellen Mittel konkret bedeuten?
Das würde weniger Service und Beratung bedeuten: in der klassischen Arbeitsrechtsberatung, aber auch im Bereich des Konsumentenschutzes, der Konsumentenschutzpolitik und -beratung. Da ist klar, dass sich die Wirtschaft eine schwache Arbeiterkammer wünscht.
Die türkis-blaue Ex-Regierung hat von der AK – von anderen Sozialpartnern auch – ein Sparprogramm verlangt, und die AK hat ein Zukunftspaket vorgelegt. Wurde darüber jemals gesprochen, ist die AK eingeladen worden, gab es dazu einen Dialog?
Wir wollen unseren Mitgliedern noch mehr Service anbieten. Das Zukunftspaket, das wir beschlossen haben, sieht neue Leistungsschwerpunkte in den Schlüsselbereichen Bildung, Pflege und Wohnen vor. Außerdem investieren wir 150 Millionen Euro in eine Digitalisierungsoffensive. Die Regierung hat darauf nicht einmal reagiert.
Was die Politikgestaltung betrifft, hat es noch nie eine Regierung gegeben, die die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen derart gering geschätzt hat wie Türkis-Blau.
Auch das zeigt, dass die türkis-blaue Regierung den Dialog mit der AK und mit den Gewerkschaften generell verweigert hat und unsere Expertise nicht nutzen wollte. Was die Politikgestaltung betrifft, hat es noch nie eine Regierung gegeben, die die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen derart gering geschätzt hat wie Türkis-Blau. Das ist ein Unterschied zu Schwarz-Blau 1, da gab es zumindest Dialogrunden, zu denen alle Sozialpartner eingeladen wurden. Ich appelliere daher jetzt schon dringend an die kommende Regierung, auf den Weg des Dialogs zurückzukehren.
Die GPA-djp verhandelt jährlich rund 170 Kollektivverträge für Hunderttausende Beschäftigte, ist da das neue Klima auch spürbar? Hatten die Arbeitgeber auch in den Branchen Rückenwind durch die bisherige Regierungslinie, die Interessen der ArbeitnehmerInnen zurückzudrängen?
Unverschämte Arbeitgeber sind zum Teil noch unverschämter geworden. Das hat dazu geführt, dass es auch von unserer Seite rauer und schärfer geworden ist, was die Forderungen und Konflikte betrifft. Als die Regierung das Arbeitszeitverlängerungsgesetz inklusive 60-Stunden-Woche beschlossen hat, haben wir angekündigt, Branche für Branche für Gerechtigkeit zu sorgen.
Unverschämte Arbeitgeber sind zum Teil noch unverschämter geworden.
Unser Punkt war und ist: Wenn sich Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung aus der Sozialpartnerschaft bzw. dem Dialog verabschieden, weil sie ohnehin von der Regierung alles erfüllt bekommen, was sie bestellen, dann werden sie ja wohl nicht glauben, dass die Beschäftigten sich das so gefallen lassen. Die Antwort ist, dass die KV-Verhandlungen härter geführt werden, und das ist auch passiert: Wir haben so viele Betriebsversammlungen, Proteste, Aktionen auf der Straße, in den Betrieben, Warnstreiks, Streikandrohungen gemacht wie schon viele Jahre nicht mehr. Wir waren damit auch erfolgreich: Wir haben hohe KV-Abschlüsse erreicht und durchaus einiges im Bereich der Arbeitszeit.
Stichwort 1,50-Euro-Jobs für AsylwerberInnen, die Herbert Kickl vor seinem Ausscheiden als Innenminister noch auf den Weg gebracht hat: Sehen Sie die Gefahr eines Niedriglohnsektors, ein Vorantreiben der Spaltung von ArbeitnehmerInnen-Gruppen?
Absolut, und es ist gut, dass diese Regelung vom Interims-Innenminister wieder zurückgenommen wurde. Einerseits ist es sehr erfreulich, dass wir es inzwischen in fast allen Branchen geschafft haben, 1.500 Euro Mindestgehalt umzusetzen. In ganz vielen Branchen sind wir schon über 1.700 Euro Einstiegsgehalt. Andererseits sehen wir, dass die Regierung versucht hat, auf die Beschäftigten – und auch auf jene, die aktuell nicht im Erwerbsleben stehen – den Druck zu erhöhen, wirklich unter allen Bedingungen Jobs anzunehmen beziehungsweise zu behalten. Stichwort Lohndumping – dafür sehe ich mehrere Indizien. Das eine ist die Verschlechterung der Mindestsicherung – ein Gesetz, das wir damals miterkämpft haben und das dazu geführt hat, dass erstmals die Zahl der von Armut betroffenen Menschen zurückgegangen ist; ein Gesetz, das es geschafft hat, Armut zu bekämpfen und nicht Arme.
Aber auch die Neuregelung der Rot-Weiß-Rot-Card ist ein Indiz dafür: Dadurch ist es ab jetzt möglich, dass Beschäftigte aus Nicht-EU-Ländern als Schlüsselarbeitskräfte ins Land geholt werden, die um über 500 Euro weniger verdienen sollen als ansässige Arbeitskräfte – das ist Lohndumping, das wird den Druck auf die Beschäftigten weiter erhöhen. Ich finde es hier besonders perfide, dass die FPÖ das mitgetragen hat, deren politische Inhalte eigentlich nur aus Ausländerhetze und Flüchtlingshetze bestehen; dass mit der FPÖ ein Gesetz beschlossen wurde, mit dem ausländische Arbeitskräfte ins Land kommen können und ein Niedriglohnsektor geschaffen wird, ganz wie es sich die Wirtschaftseliten wünschen.
Beim Umbau der Sozialversicherung sind die Kräfteverhältnisse völlig auf den Kopf gestellt. IV-Neumayer findet es gerechtfertigt, Parität in den Gremien herzustellen, weil die Arbeitgeber gleich viel zahlen wie die Arbeitnehmer. Klingt doch aufs Erste nicht unlogisch?
Das ist schlichtweg falsch. Die Unternehmer zahlen weniger als ein Drittel der Einnahmen der Krankenversicherung. Es stellt sich außerdem die Frage, von wem der sogenannte Arbeitgeberanteil überhaupt erwirtschaftet wird. Das Wesentliche ist, dass Arbeitgeber gar nicht in der neuen Österreichischen Gesundheitskasse versichert sind und trotzdem bestimmen sollen, welche Leistungen geboten und welche nicht geboten werden. Das ist eine Verhöhnung der Mitbestimmung in der Selbstverwaltung.
Die ArbeitnehmerInnen werden entmachtet, die Verhältnisse werden umgekehrt. Welche konkreten Verschlechterungen befürchten Sie?
Die Zwangsfusion der Krankenkassen ist ein Milliardengrab. Dem Gesundheitssystem wird wahnsinnig viel Geld entzogen, das dann bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten fehlen wird. Auch bei der angekündigten Steuerreform würde ohne Gegenfinanzierung durch die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge zusätzlich Geld fehlen. Wir befürchten, dass die Folge Leistungskürzungen sein werden. Das kann zum Beispiel konkret heißen, dass sich die Versicherten auf längere Wartezeiten einstellen müssen, da es weniger Vertragsärzte geben wird. Auch Selbstbehalte sind nicht auszuschließen, dann muss man beim Arztbesuch zusätzlich zur e-card das Geldbörsel oder die Kreditkarte mitnehmen.
Die Zwangsfusion der Krankenkassen ist ein Milliardengrab.
Früher oder später werden dann die ersten Stimmen aufkommen, die eine Auslagerung und Privatisierung der eigenen Einrichtungen der Sozialversicherung fordern. Weil die Regierung die Vertretung der ArbeitnehmerInnen in der Selbstverwaltung jetzt entmachtet hat, können wir das dann nicht mehr verhindern.
Die Einzigen, die über die Sozialversicherungsreform jubeln, sind die Wirtschaft und die Industrie – nicht verwunderlich, denn Gesundheit ist ein Milliardengeschäft. Besonders Privatversicherungen freuen sich schon auf neue Kundinnen und Kunden, die mit dem öffentlichen Gesundheitssystem dann nicht mehr zufrieden sind. Mein Fazit ist: Offenbar waren der Regierung die Interessen der Privatversicherungen wichtiger als die Interessen der Menschen.
Bei der noch von Türkis-Blau präsentierten Steuerreform, Stichwort Senkung der Körperschaftsteuer, wären auch die Unternehmen die Gewinner gewesen.
Die Parteispenden hätten sich hier für manche mehr als ausgezahlt. Durch die generelle Körperschaftsteuer-Senkung würde für sie das Geld vielfach zurückkommen. Österreich wäre damit beim Thema Steuerdumping Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. 80 Prozent der Körperschaftsteuer-Senkung würden an nur 5 Prozent der größten Unternehmen gehen. Mit solchen Maßnahmen würde die Entwicklung, die wir ohnehin schon haben, verstärkt: nämlich, dass die, die haben, immer mehr bekommen, dass die Reichen reicher werden und dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander geht.
Bei allen Entlastungswünschen – ein gewisses Steueraufkommen ist ganz wichtig, gerade für ArbeitnehmerInnen. Denn damit werden wichtige Leistungen wie Kindergärten, Bildung, Gesundheit, Pensionen, Verkehrsinfrastruktur finanziert.
Bei allen Entlastungswünschen – ein gewisses Steueraufkommen ist ganz wichtig, gerade für ArbeitnehmerInnen. Denn damit werden wichtige Leistungen wie Kindergärten, Bildung, Gesundheit, Pensionen, Verkehrsinfrastruktur finanziert. Je mehr man Steuern für die Unternehmen senkt, umso weniger leisten sie einen Beitrag für eine moderne Infrastruktur und einen gut ausgebauten Sozialstaat. Die Beschäftigten zahlen 80 Prozent des Steueraufkommens, wären mit der vorgelegten Reform aber nicht einmal zu 60 Prozent entlastet worden. Die Arbeitgeber wiederum wären über Gebühr entlastet worden – das ist nicht fair. Diese Vorgangsweise würde dazu führen, dass sich die Beschäftigten diese Steuerreform im Endeffekt selbst bezahlen.
Zur AK-Wahl: Die Beteiligung ist gestiegen, das spricht für hohe Zustimmung zur Arbeit der AK, genau wie die Mitgliederbefragungen. Was wird die AK aus dieser erfreulichen Entwicklung machen?
Jede Regierung sollte ein solches Ergebnis ernst nehmen. Es zeigt, dass die Beschäftigten hinter ihrer Arbeiterkammer stehen. Das Ergebnis zeigt auch, dass sie sich eine starke Interessenvertretung wünschen, gerade in Zeiten, in denen die Regierung einseitig Politik für Arbeitgeber macht – oder besser gesagt: gemacht hat.
Die bisherigen Regierungsparteien, Wirtschaft und Industrie wären also gut beraten, sich genau zu überlegen, wen sie hier attackieren. Auch das in den Raum gestellte Verändern des Wahlprozederes – dass man die Betriebssprengel infrage stellt – ist absurd. Genau dort ist die Beteiligung am höchsten. Wenn sich ÖVP und FPÖ Sorgen um die Wahlbeteiligung machen, sollten sie sich besser mit der Wirtschaftskammerwahl auseinandersetzen, da ist die Beteiligung geringer. Die Arbeiterkammer wird jedenfalls weiterhin mit voller Kraft für ihre Mitglieder da sein. Die Beschäftigten können sich sicher sein, dass AK und Gewerkschaften hinter ihnen stehen.
Die ehemalige Regierung hat eine Reihe von weiteren Maßnahmen beschlossen, die Verschlechterungen in vielen Bereichen bringen, wie Sozialhilfe, Familienbonus oder Streichung der Aktion 20.000. Was kann man dem entgegensetzen?
Was mich sehr positiv stimmt, ist, dass die Beschäftigten ihre Interessenvertretungen stärken: Wir haben starke Ergebnisse bei den AK-Wahlen, und wir haben im ÖGB Mitgliederzuwächse wie schon lange nicht. Wir wachsen, das gibt Kraft und Zuversicht für die Zukunft. Diese Stärke hilft uns dabei, Dinge durchzusetzen, zum Beispiel Karenzzeitenanrechnung oder Papamonat in Kollektivverträgen. Wir werden mehr und stärker, wir sind gut gewappnet für zukünftige Konflikte.
Nani Kauer
Freie Journalistin und Autorin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/19.
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