Inwieweit gelingt es Wien, auf sozial Schwächere Rücksicht zu nehmen?
Man kann sagen, dass es sehr wohl die Intention der Stadt ist, für einkommensschwächere Gruppen aktiv Wohnraum zu schaffen. Es gibt mehrere Probleme, eines ist, dass bestehende arme Gruppen damit teilweise nicht erreicht werden. Vielleicht das größere Problem mittelfristig ist, dass die neu hinzukommenden Bevölkerungsgruppen so rasch nicht hineinkommen. Neuerdings muss man zwei Jahre kontinuierlich an einem Wohnsitz in Wien hauptgemeldet sein. Das ist schon eine relativ strikte Regel.
Jetzt kann man sagen: Jene, die höhere Einkommen und qualifizierte Berufe haben, finden eh immer eine Wohnung. Aber es ist unter denen, die zuziehen, doch ein gewisser Anteil an Niedrigverdienenden, weil die natürlich die Wirtschaft auch braucht. Das betrifft auch Pendelarbeitskräfte und Menschen aus den Bundesländern. Da bahnt sich sicher eine Wohnkrise an.
Stadtplanung oder Wohnbau sind außerdem immer in einem Spannungsfeld von Statik und Dynamik. Man baut Wohnungen und wünscht sich Bewohner und Bewohnerinnen, die längerfristig da sind. Aber es nimmt der Anteil jener zu, die temporäre Formen des Wohnens suchen, ob erzwungenermaßen oder freiwillig. Das können Studierende sein, die nach Wien ziehen. Das können auch Leute sein, die nach Wien pendeln, oder die nach Wien ziehen und nicht wissen, wie lange sie dableiben werden. Es können aber auch Leute sein in Lebensphasen des Übergangs: Ausziehen von zu Hause, Scheidung, Weiterziehen.
Für diese Wohnformen hatte man früher Kategorien wie das Wohnheim, das Studentenheim, vielleicht die Notunterkunft, die Startwohnung und Ähnliches. Heute finden diese Menschen schwer Wohnraum. Man muss sich überlegen, wie man auf die veränderten Wohnbedürfnisse eingeht, die mit veränderten Lebensformen zu tun haben – und wie man diesen Menschen den Zugang zu sozial gefördertem Wohnraum ermöglicht.
Warum sind sozial Schwache davon derzeit ausgeschlossen?
Weil die damit verbundenen Kosten hoch sind. Wenn Sie in einen geförderten Wohnbau gehen, müssen Sie Baukostenzuschüsse zahlen. Im Gemeindebau kommen vielleicht Alleinerzieherinnen oder geschiedene Frauen mit Kindern unter. Aber der Ehemann hat’s da schon schwerer, um nur ein Beispiel zu nennen.
Der Anteil der Armutsgefährdeten im Gemeindebau ist deutlich höher als im privaten Sektor. Ist das ein Problem oder erfüllt er damit seinen Zweck?
Der Anteil der ärmeren Gruppen nimmt zu, in Wien rechnet man mit bis zu zehn Prozent der Bevölkerung, die in Armut lebt. Und die Frage ist: Wie kommt diese Gruppe in den geförderten Wohnbau? Da gibt es derzeit die Tendenz, dass diese Menschen am ehesten in den Gemeindebau kommen. Diese steht aber im Widerspruch zur klassischen Funktion des Gemeindebaus, und die war ja nicht die Armutsversorgung. In der Zwischenkriegszeit war es die Emanzipation der Arbeiterschicht, in der Nachkriegszeit war es soziale Mobilität hinauf. In den Gemeindebau ging man, um weiterzugehen – man selbst oder die Kinder. Das ist ja passiert, es gibt ja sehr viel an Mobilität.
Jetzt aber tritt ein Prinzip von Versorgung ein, das es vorher nicht gab. Gut, im Sinne des Klientelismus gab es das schon: Parteimitglieder oder Gemeindebedienstete wurden versorgt, das ist richtig, aber mehr im Sinne Versorgung mit gutem Wohnraum, wo letztlich die Aspiration war, weiterzugehen. Die Zuweisung, die es jetzt teilweise gibt, führt dazu, dass in wachsendem Maße sozial unter Belastung stehende Bevölkerungsgruppen in die Gemeindebauten ziehen.
Das können Menschen sein, die keine Chance mehr haben, am Arbeitsmarkt unterzukommen, extrem Armutsgefährdete oder Menschen mit multiplen
Belastungsfaktoren wie Alkoholismus, psychischen Problemen etc. Das kann zu einer Differenzierung führen: Bestimmte Segmente im Gemeindebau sind für diese sehr armen Gruppen da, andere für etwas besser Gestellte, für die migrantischen Gruppen, die sich aufwärts bewegen. Der sozial geförderte Wohnbau wiederum ist für die Mittelschichten da und so weiter. Das sind längerfristig nicht unproblematische Entwicklungen.
Studie zu Armut:
tinyurl.com/zxf3sbs
Sonja Fercher
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/17.
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