Sie haben ein Buch unter dem Titel „Politik der Angst“ veröffentlicht. Wie funktioniert dieses Muster?
Das Buch handelt vor allem von den Merkmalen rechtspopulistischer Parteien, ihren Ideologien, ihrer jeweiligen nationalen Entstehungsgeschichte und ihren Wurzeln, ihren typischen Argumenten, ihrer Performance und ihrer medialen Agenda. Alle rechtspopulistischen Parteien instrumentalisieren eine Art von ethnischer, religiöser, sprachlicher oder politischer Minderheit als Sündenbock für die meisten – wenn nicht alle – aktuellen Sorgen. Sie stellen die jeweilige Gruppe als gefährlich dar und als Bedrohung „für uns“, für „unsere“ Nation“. Dieses Phänomen manifestiert sich als Politik mit der Angst.
In einem nächsten Schritt verbreiten diese Parteien dann Hoffnung, indem sie versprechen, den willkürlich hegestellten Sündenbock in irgendeiner Form zu entfernen bzw. ruhigzustellen. Damit konstruieren sie sich in einem weiteren Schritt als Retter der Nation, das heißt als jene, die das Land und das Volk verteidigen und schützen. Der Topos des Retters bezieht sich auf ein einfaches Argumentationsschema wie etwa: „Wenn wegen X Gefahr zu erwarten ist und A uns früher schon gerettet hat, dann wird A uns auch diesmal wieder retten können.“
Welche Rolle spielt nun die Angst?
Alle PolitikerInnen müssen sich mit den Ängsten beschäftigen, die an sie herangetragen werden. Die Frage ist nur, ob man dafür differenzierte Lösungen anbietet und somit auch einen Beitrag dazu leistet, positive Narrative zu entwickeln, oder aber, ob man die vorhandenen Ängste verstärkt.
RechtspopulistInnen unterscheiden sich von anderen PolitikerInnen also nicht dadurch, dass sie überhaupt Ängste wahrnehmen oder ansprechen, sondern in erster Linie dadurch, dass sie systematisch mit den Ängsten der Menschen arbeiten. Es geht hier um das Gesamtmuster. Sie verstärken die Ängste, indem sie diese betonen und reproduzieren. Verschwörungen sind notwendiger Bestandteil der diskursiven Konstruktion von Angst. Genutzt werden dabei häufig traditionelle antisemitische und antielitäre Vorstellungen, die zum Teil bis ins Apokalyptische ausgedehnt werden.
In Europa gewinnen rechtspopulistische Parteien immer mehr an Einfluss. Stehen alle diese Parteien Ihrer Meinung nach auch auf einem gemeinsamen Fundament?
Es gibt – zusammenfassend gesehen – vier Dimensionen, die fast alle rechtspopulistischen Parteien in je eigener Kombination gemeinsam haben:
Erstens: Sie beziehen sich auf ein homogenes Volk, das beliebig und nach nativistischen Kriterien definiert wird. Damit in Zusammenhang legen sie Wert auf ein Kernland oder eine Heimat, die vor gefährlichen Eindringlingen geschützt werden muss. Auf diese Weise werden Bedrohungsszenarien aufgebaut.
Zweitens zeichnen sie sich durch eine Anti-Establishment- sowie Anti-Intellektualismus-Haltung aus. Sie selbst appellieren an den sogenannten gesunden Verstand, berufen sich auf einfache Erklärungen und Common-Sense-Lösungen.
Drittens treten sie für Autoritarismus und eine Law-and-Order-Politik ein. Verehrt wird ein Retter bzw. ein charismatischer Führer, der zwischen den Rollen von Robin Hood, also dem Beschützer des Sozialstaats, und strengem Vater oszilliert.
Viertens unterstützen sie ein traditionelles, christlich(-fundamental)es und/oder konservativ-reaktionäres Weltbild. Dieser Konservativismus geht oft auch mit einem Geschichtsrevisionismus einher: Der Schutz des Vaterlandes oder der Heimat impliziert den Glauben an ein gemeinsames Narrativ der Vergangenheit, in der „wir“ entweder Helden oder Opfer des Bösen waren.
Gibt es Beispiele für die unterschiedliche Ausprägung dieser Dimensionen unter den rechtspopulistischen Parteien?
Ich würde sagen, dass bei den RechtspopulistInnen in Österreich, Ungarn, Italien, Rumänien und Frankreich die geschichtsrevisionistische Komponente betont wird. Besonders deutlich sieht man das gerade an der AfD. Sie gewinnt Anhänger, indem sie ein ambivalentes Verhältnis zur deutschen Nazi-Vergangenheit zur Schau stellt.
In Griechenland, der Schweiz und Großbritannien hingegen beschränken die rechtspopulistischen Parteien ihre Propaganda häufig auf eine angebliche Gefahr für die nationale Identität durch ethnische Minderheiten und MigrantInnen. Andere konzentrieren sich vor allem auf eine angebliche Bedrohung durch den Islam. Das sehen wir deutlich in Holland, Dänemark, Polen, Deutschland, Österreich und Schweden. In den USA unterstützen rechtspopulistische Kräfte hingegen vor allem ein christlich(-fundamental)es, konservativ-reaktionäres und weißes Weltbild.
Diese Dimensionen spiegeln sich jedenfalls in den Inhalten der FPÖ wider. Durch welche diskursiven Strategien werden diese propagiert?
Im Prinzip realisiert die FPÖ seit Haiders Aufstieg nach 1989 ihre Inhalte durch dieselben diskursiven Strategien und sprachlichen Mittel. Sie bedient sich einer Rhetorik, die die Welt in Gut und Böse, in „wir“ und „sie“ teilt, indem sie einfache Dichotomien konstruiert. Zu einer solchen dichotomen Weltsicht gehören die Opfer-Täter-Umkehr – zum Beispiel Strache: „Wir sind die neuen Juden“ – und die Sündenbock-Strategie durch Schuldabschiebung.
Von großer Bedeutung sind auch die Strategien der kalkulierten Ambivalenz und der Provokation. Sie eignen sich für aggressive Kampagnen ebenso wie dafür, die Agenda der Medien zu bestimmen. Der aggressive Kampagnen-Habitus schließt auch die Verwendung von Ad-hominem-Argumenten, also persönlichen Beleidigungen, mit ein. Dazu kommen häufige Strohmann-Trugschlüsse, also gezielte Falschinformationen, gegen die man sich dann wehren kann, oder vorschnelle Generalisierungen wie „alle X sind …“. Unter Rechtfertigungsdruck kommen ambivalente, verharmlosende und unaufrichtige Entschuldigungen vor. Die FPÖ verbreitet aber auch, wie während der Flüchtlingssituation 2015 mehrfach vom ORF aufgedeckt, Lügen und Gerüchte, um „die Anderen“ zu denunzieren und zu dämonisieren – ganz nach dem Motto: „Anything goes!“
Inwieweit beeinflusst die FPÖ den politischen Diskurs in Österreich?
Zu beobachten ist momentan eine fortschreitende Normalisierung vieler FPÖ-Inhalte, oft in etwas weicherer Form. Die ÖVP Neu hat beispielsweise fast sämtliche Inhalte betreffend Migration und Flüchtlingspolitik übernommen. Solche Normalisierung war aber schon in der Ära Haider der Fall. Damals hat die Große Koalition, wenngleich mit etwas zeitlichem Abstand, viele Forderungen von Haiders „Österreich zuerst“- Volksbegehrens von 1992/93 in der Fremdengesetzgebung langsam umgesetzt. Ich denke, der Einfluss der FPÖ auf die regierenden Parteien in Österreich wird insgesamt eher unterschätzt. Viele hoffen, durch ein Rechtsüberholen rechtspopulistischer Parteien ihre Zustimmung maximieren zu können. Dies ist aber, wie die letzten 30 Jahre zeigen, nicht der Fall.
Lena Karasz
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/17.
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