Arbeit&Wirtschaft: Die Regierung hat ein Programm beschlossen, mit dem Österreich zu einer Start-up-Nation werden soll. Ist das Arbeitsrecht dafür ausreichend vorbereitet?
Martin Risak: Wir müssen uns zuerst fragen, was überhaupt ein Start-up ist. Sind das etwa selbstständige Kräfte in der Pflegebranche, die mittlerweile die schnellstwachsende Selbstständigengruppe sind? In Wahrheit sind sie gesetzlich legitimierte Scheinselbstständige und keine Start-ups. Wir müssen also definieren, was wir in Österreich entwickeln wollen: eine Start-up-, eine Selbstständigen- oder eine GründerInnenkultur. Das, wovon beispielsweise Bundeskanzler Christian Kern immer wieder spricht, ist eine innovative GründerInnenkultur à la Silicon Valley. Nun stellt sich die Frage: Wie sollen wir diese Kultur fördern? Soll etwa der Staat viel Geld zuschießen und das Risiko von Geschäftsgründungen auf sich nehmen? Damit hätten wir lediglich Staatsangestellte, die kreativ sind. Für mich ist das ein absurdes Modell: Der Staat soll alles investieren, aber keine Gewinne davon erzielen.
Bei einer ordentlichen Start-up-Diskussion müssen wir uns in erster Linie darum kümmern, dass es einerseits genug Sicherheit für Start-up-GründerInnen gibt, andererseits soll das ganze Risiko nicht auf den Staat abgewälzt werden.
In Österreich gibt es mittlerweile etliche bekannte plattformbasierte Arbeitsmodelle. Ihre Bilanz aus arbeitsrechtlicher Sicht?
Plattformbasierte Modelle funktionieren in der Regel mit Selbstständigen, oft Scheinselbstständigen unter Umgehung aller staatlichen Regulierungen: Das kann zum Beispiel das Arbeitsrecht, der Mindestlohn oder wie im Fall Uber die TaxifahrerInnenlizenz sein. Uber ist technologisch innovativ und als solches viel mehr als ein Taxivermittlungsdienst, es ist vielmehr eine komplette Transportdienstleistung. Auf manchen Märkten trug Uber sogar zu einer Regulierung bei: mit fixen Preisen, Ratings, Zahlungsabwicklung usw.
Für KundInnen sind das alles Benefits. Aber Uber ist gleichzeitig billiger als herkömmliche Taxidienste, um etwa MitbewerberInnen auf dem Markt zu verdrängen oder neue KundInnengruppen, insbesondere Jugendliche, zu gewinnen. Gleichzeitig bekommen Uber-FahrerInnen aufgrund niedrigerer Preise auch weniger Geld und haben dementsprechend keinen Mindestlohn. Das ist ein Problem.
Es ist keine Seltenheit, dass ein Uber-Fahrer sechs Tage die Woche bis zu zwölf Stunden fahren muss, um auf ein Entgelt von 1.500 Euro zu kommen. Der zweite Kritikpunkt ist: Uber versteuert nicht in Österreich, sondern in den Niederlanden.
Wie ist die Situation bei Foodora?
Bei Foodora gibt es eine Schichtarbeit, bei der sich die „Rider“ selbst zu den Schichten einteilen können. Aufgrund der Art der Arbeit in Schichten haben aber FahrerInnen während der Schicht praktisch kein Selbstbestimmungsrecht. Während Foodora-ZustellerInnen in Deutschland in der Regel angestellt sind, sind es in Österreich nur diejenigen, die seit längerer Zeit dabei sind. Die anderen werden als freie DienstnehmerInnen eingestuft, wobei einiges dafür spricht, dass diese Einordnung nicht korrekt ist. Nun haben sich diese selbst organisiert und einen Betriebsrat gegründet. Daher dürfen wir jetzt gespannt sein und schauen, wie sich die Situation bei Foodora arbeitsrechtlich weiterentwickeln wird.
Stichwort Betriebsrat: Was können Instrumente der Selbstorganisation bei atypischen Arbeitsverhältnissen bewirken?
Wenn man Teilzeit oder befristet arbeitet, ist man bereits normal beschäftigt und in der Regel durch den Betriebsrat repräsentiert. Problematisch wird es bei den bereits erwähnten Kleinselbstständigen, die vom Gesetz her keine ArbeitnehmerInnen sind. Nun haben wir eine interessante Entwicklung wie bei Foodora, dass ein Teil der Beschäftigten dort – nämlich die ArbeitnehmerInnen – einen Betriebsrat gegründet haben. Es ist nun anzunehmen, dass der Betriebsrat pragmatische Lösungen ausarbeiten wird, die nicht nur für die ArbeitnehmerInnen, sondern auch für die Kleinselbstständigen in dieser Unternehmensstruktur gelten. Schließlich haben sie alle letztlich dieselben Interessen.
Gleichzeitig gibt es immer mehr CrowdworkerInnen, die von zu Hause aus arbeiten. Wie können sie denn ihre Interessen durchsetzen?
Man darf diese Leute keinesfalls unterschätzen. Mittlerweile wurden in den USA von den CrowdworkerInnen selbst Mechanismen entwickelt, die eine Verbesserung für sie bedeuten, zum Beispiel ein Rating für die AuftraggeberInnen. Der nächste Schritt ist die Selbstorganisation. Ein Beispiel haben wir bei Uber-FahrerInnen in London gesehen, die Uber gemeinsam geklagt und so ihre Rechte durchgesetzt haben.
Die Antwort heißt also Vernetzung und eine gemeinsame Durchsetzung von Arbeitsrechten?
Ja! Das, was man bereits vor 150 Jahren in Fabriken gemacht hat, gilt auch heute. Zusammenschluss und gemeinsames Auftreten, unterstützt durch einen gemeinsamen gesetzlichen Rahmen, könnten hier tatsächlich eine arbeitsrechtliche Absicherung bringen. Wir plädieren in unserem Buch für eine durchaus realistische Lösung: Wenn jemand für eine Plattform wie Uber oder Foodora arbeitet, dann soll diese Plattform bis zum Beweis des Gegenteils als Arbeitgeberin fungieren. Denn wenn man für so eine Plattform arbeitet, erfüllt man bereits wesentliche Kriterien eines Dienstverhältnisses.
Wie wird sich die Gig-Economy in Zukunft entwickeln?
Abgesehen von der Selbstständigkeit sehen wir durch die neuen Technologien eine weitere Entgrenzung der Arbeitsverhältnisse: ArbeitnehmerInnen sind auf ihren Handys rund um die Uhr erreichbar, sie verrichten ihre Arbeit nicht nur im Büro. Wir haben also sowohl eine zeitliche als auch eine räumliche Entgrenzung.
Dabei muss das Arbeitsrecht eine Sicherung für die ArbeitnehmerInnen bieten, darf aber Leute gleichzeitig nicht bevormunden. Konkret gesagt: Wir brauchen Sicherungsmechanismen innerhalb der Flexibilität. Unser Arbeitsrecht kennt zum Beispiel immer noch keine einzige Regelung zum Homeoffice. Wir müssen auf Realitäten eingehen und diese abbilden. Der zweite Schritt ist der Schutz für Kleinselbstständige. Da gibt es in erster Linie die Möglichkeit, dass sie kollektiv auftreten, sich zusammenschließen und Verhandlungen mit AuftraggeberInnen führen. Die einen Geschäftsmodelle bringen viel Innovation mit sich, die anderen, wie viele Ein-Personen-Unternehmen, führen ins Prekariat. Diese zwei Phänomene müssen wir getrennt betrachten und entsprechende Lösungen bieten.
Immer mehr Arbeitsverhältnisse in Österreich sind atypisch. Wie ist es überhaupt zu diesem Trend gekommen?
Es ist vorerst wichtig zu erklären, was atypische Arbeitsverhältnisse überhaupt sind. Einerseits haben wir Normalarbeitsverhältnisse, die nicht deshalb normal sind, weil sie alle Berufstätigen ausüben, sondern weil das eine Zielgröße ist. Aus arbeitsrechtlicher Sicht denken wir, dass normale, das heißt geregelte Arbeitsverhältnisse von den meisten Berufstätigen ausgeübt werden sollen, weil sie auch ein geregeltes Einkommen und eine Sicherheit im Leben bieten. Andererseits bedeutet Atypizität bei Arbeitsverhältnissen, dass man keine Vollzeitanstellung, keinen unbefristeten Vertrag hat und auch über kein Einkommen verfügt, von dem man ganz gut leben kann. Dazu kommt noch oft, dass Drittpersonen involviert sind, Stichwort Arbeitskräfteüberlassung.
Seit wann haben atypische Arbeitsverhältnisse in Österreich zugenommen und mit welchen makroökonomischen Faktoren ist das verbunden?
Diese Entwicklung erfolgte in Phasen. Wenn wir uns die Teilzeitbeschäftigung anschauen, hat sie zwei typische Ursachen: Die erste war ein verstärktes Kommen von Frauen auf den Arbeitsmarkt und das Fehlen von ausreichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Dadurch hatten viele Frauen nur die Teilzeitbeschäftigung als Möglichkeit, zum Familieneinkommen bei-zutragen. Die zweite Ursache war, dass es immer schwieriger wurde, von einem Gehalt die ganze Familie finanziell zu erhalten. Als Resultat hatten wir zwar mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt, aber sie sind immer noch überproportional teilzeitbeschäftigt. In späteren Phasen wurden immer mehr befristete Verträge angeboten, weil es den Arbeitgebern wichtig war, Flexibilität zu gewinnen. Um die Flexibilität geht es auch bei modernen Formen der atypischen Arbeitsverhältnisse wie dem Crowdworking.
Was bedeutet hier konkret die Flexibilität?
Im Großen und Ganzen wollen die Arbeitgeber nur dann zahlen, wenn die Arbeit verrichtet ist. Es geht schlicht und einfach darum, unproduktive Arbeitszeiten so stark wie nur möglich zu reduzieren.
Welche Rolle spielten die Globalisierung und das Internet?
Sie haben einen ordentlichen Druck auf die Arbeitsmärkte ausgeübt, insbesondere was Arbeitskosten betrifft. Dies nutzten insbesondere die Arbeitgeber, die in diesem Zusammenhang immer Wettbewerbsfähigkeit und steigende Lohnnebenkosten als Argumente vorbrachten. Um wieder auf die Frage der Flexibilität zurückzukommen: Für den Arbeitgeber ist besonders schlimm, für die Zeit zu zahlen, in der die ArbeitnehmerInnen nicht arbeiten. Jede Form von Flexibilisierung versucht also die Präsenz der Arbeitskraft mit dem Arbeitsbedarf zu koppeln. So funktionieren bereits aktuelle flexible Arbeitszeitmodelle: Der Zeitausgleich erfolgt 1:1 über möglichst kurze Zeiträume und ohne Überstunden. Kurz gesagt: Arbeitgeber haben einen geradezu unstillbaren Hunger nach Flexibilität, und das bedeutet, Arbeitskosten werden gesenkt, weil ich ArbeitnehmerInnen nur dann bezahle, wenn ich sie wirklich brauche.
Vor welche Herausforderungen stellen diese Umstände das österreichische Arbeitsrecht?
Das Arbeitsrecht ist zur Zeit der Industrialisierung entstanden, in der die Arbeit vorwiegend männlich, ortsgebunden und von gleicher Identität geprägt war. Heutzutage sehen sich Leute unterschiedlich: Wir haben keine einheitliche ArbeiterInnenkultur mehr. In dieser Situation ist das Arbeitsrecht auch schwierig zu gestalten. Der heutige Diskurs verläuft zum Beispiel auch auf der Linie: Das Arbeitsrecht verbietet Menschen zu arbeiten, wann sie wollen. Oder: Es nimmt ihnen jeglichen unternehmerischen Geist weg.
Wir sollen also ArbeitnehmerInnen Freiheiten geben, damit sie sich angeblich entfalten können. Hatten wir früher eine klar ausgesprochene Forderung nach der Beschränkung der Arbeitszeit, ist der gesellschaftliche Diskurs heute eher darauf ausgerichtet, jede freie Minute entsprechend zu verwerten.
Was bedeutet das für die ArbeitnehmerInnen?
Für sie stellt sich die Frage: Vertraue ich in den Arbeitsmarkt und glaube ich, dass ich besser bin als meine MitbewerberInnen? Dann bietet mir diese Freiheit viele Chancen. Für viele Berufe ist das nur eine Übergangslösung, in der sich insbesondere viele junge ArbeitnehmerInnen befinden. Dazu gibt es eine andere Gruppe, die immer mehr feststellt, dass sie sich kollektiv organisieren muss: Was die Kollektivverträge für normale Arbeitsverhältnisse sind, sollten ähnliche „Preiskartelle“ für viele Kleinstselbstständige oder atypisch Beschäftigte sein. Das bedeutet: Man definiert für seine Branche Minimalpreise, unter denen man nicht arbeitet. Ein gutes Beispiel dafür ist der Journalismus: Im Mediengesetz ist es mittlerweile auch für freiberufliche JournalistInnen möglich, sogenannte Gesamtverträge abzuschließen, in denen es Mindestsätze gibt, die von den AuftraggeberInnen zu bezahlen sind.
In welchen Punkten muss bei atypischen Arbeitsverhältnissen der Gesetzgeber einspringen?
Das Wichtigste ist sicherlich das Geld: Wie hoch muss der Preis für die geleistete Arbeit sein, damit Menschen davon vernünftig leben können? Wir können dabei die Preisgestaltung vollkommen dem Markt überlassen oder wir regulieren es gesetzlich bzw. durch Kollektivvertragsparteien. Unser Arbeitsrecht ist kollektivvertraglich reguliert und weist eine relativ hohe Abdeckung von über 90 Prozent auf. Dort, wo wir derzeit echte Probleme haben, sind kleine Selbstständige mit wenig VertragspartnerInnen. Denen geht es teilweise wirklich schlecht. Da ist durchaus zu überlegen, ob man einen Preisregulierungsmechanismus einführen soll. Um das aber durchzusetzen, brauchen wir Ausnahmeregelungen vom Wettbewerbsrecht, und zwar auf EU-Ebene.
Ein oft besprochenes Thema ist die Sozialversicherung: Inwieweit sind die ArbeitnehmerInnen in atypischen Arbeitsverhältnissen in diesem Segment benachteiligt?
Österreich hat 1997 die Versicherungspflicht für alle Formen der Erwerbstätigkeit eingeführt. Damit haben wir eine soziale Absicherung für alle, auch für die atypisch Beschäftigten. Hier ist es wichtig zu sagen: Menschen, die in die Selbstständigkeit gehen, müssen wissen, worauf sie sich einlassen.
Und wissen sie das? Bzw. machen sie sich immer freiwillig selbstständig?
Es gibt etwa Ein-Personen-Unternehmer, die nur für eine/n AuftraggeberIn arbeiten. Sie sind nicht freiwillig selbstständig und wollen nicht expandieren bzw. ihr Geschäftsmodell weiterentwickeln. Die zweite Gruppe sind Berufe, in denen ArbeitnehmerInnen zu teuer für eine Anstellung sind. Das sind insbesondere RechtsanwältInnen oder DolmetscherInnen, die verhältnismäßig gut verdienen.
Nenad Memic
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/17.
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