Aufprallschutz: Was bei einer Insolvenz zu tun ist

Schild mit der Aufschrift geschlossen am Schaufenster eines Geschäfts
Eine Insolvenz geht an die Substanz: Wir zeigen, was Betriebsräte und Beschäftigte wissen müssen. | © Adobe Stock/Heiko Küverling
Insolvenzen gehören zur DNA einer Marktwirtschaft ebenso dazu wie Firmengründungen. Doch die Zahlungsunfähigkeit eines Betriebs ist stets eine heikle Belastung für Arbeitnehmer:innen.
Es war ein Freitagnachmittag im Jahr 2020, eine halbe Stunde vor Feierabend, als man im niederösterreichischen Ebreichsdorf auf Gold stieß. „Spektakuläres wird zumeist nebenbei entdeckt“, erzählt der Archäologe Dominik Bochatz. Bei Aushubarbeiten für die Erweiterung der Zuglinie von Wien nach Pottendorf entdeckte die Novetus GmbH den sogenannten „Goldschatz von Ebreichsdorf“. Die fünfteilige Pracht aus der Spätbronzezeit, darunter eine Goldschale, ist seit Kurzem im Naturhistorischen Museum zu sehen. „Als archäologischer Dienstleister können wir solche Funde fachgerecht bergen“, weiß Bochatz. Insolvenz? Weit entfernt.

Seit dem Jahr 2023 hat er die Aufgaben des Betriebsrats bei der Novetus GmbH in Wien inne. Auf die goldenen Jahre folgten für den Betrieb karge. Die regelmäßigen Besprechungen mit der Geschäftsführung, die Bochatz in seiner Funktion führte, zeigten bald: Für die Firma wurde es eng. Im Mai 2024 meldete sie Insolvenz an – und ist damit bei Weitem kein Einzelfall. Der Kreditschutzverband 1870 vermerkte bis Ende September 2024 um ein Viertel mehr Insolvenzen in Österreich als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, wozu auch die Rekordpleiten des Firmenkonstrukts Signa beigetragen haben. Aber was bedeutet eine Insolvenz in der Praxis? Wie kann sie für Arbeitnehmer:innen glimpflich abgewickelt werden? Und was macht der Betriebsrat?

Insolvenz: Wissen, wenn’s brennt

Oft würden Unternehmen der Belegschaft keine Details über ihre wirtschaftliche Lage verraten, deshalb sei es „für einfache Mitarbeiter:innen schwer zu erkennen, wie es der Firma wirklich geht“, erklärt Martin Müller. Er ist Leiter des Referats Rechts- und Kollektivvertragspolitik im ÖGB. Allerdings gebe es Indizien: „Wenn Lieferant:innen zunehmend ungehalten werden und nur mehr gegen Barzahlung ihre Ware liefern, könnte das ein Anzeichen für höhere Schulden sein“, sagt er. Andererseits halten manche Firmen ihre Lieferant:innen aus taktischen Überlegungen hin.

Portrait Dominik Bochatz Betriebsratsmitglied bei der Firma Novetus im Interview über Insolvenz.
„Wir sind vorsichtig optimistisch“, sagt Dominik Bochatz. Das
Betriebsratsmitglied hat bei der Firma Novetus gerade eine Insolvenz miterlebt, der Betrieb kann jedoch weitergeführt werden. | © Markus Zahradnik

Auf jeden Fall ist das Betriebsratsgremium gefragt, relevante Daten und Informationen einzuholen. Im Gegensatz zu „einfachen Mitarbeiter:innen“ hat es wirtschaftliche Mitbestimmungsrechte, muss über die Geschäftsentwicklung informiert werden und kann den Jahresabschluss einsehen. Ebenso kann der Betriebsrat betriebliche Kennzahlen daraus von der Arbeiterkammer (AK) oder den Gewerkschaften analysieren lassen.

Bei Insolvenz bleiben Arbeitsverträge gültig

Arbeitsverträge bleiben jedenfalls auch im Insolvenzfall aufrecht, und die Arbeitnehmer:innen haben noch immer die gleichen Pflichten. Die Funktion des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin übernimmt der:die Insolvenzverwalter:in: Urlaube, Krankenstände, Kündigungen etc. fallen in seine:ihre Zuständigkeit. In der Regel ist eine Insolvenz sehr belastend für Mitarbeiter:innen, denn ab der Insolvenzeröffnung darf das Unternehmen keine Löhne mehr ausbezahlen. Im Unterschied zu anderen Gläubiger:innen, die sich mit einer Quote begnügen müssen, sind Arbeitnehmer:innen bei der Rückforderung ihres Geldes aber weitgehend abgesichert.

„Um diese Absicherung in Anspruch nehmen zu können, müssen Arbeitnehmer:innen ihre Forderungen auch im gerichtlichen Insolvenzverfahren anmelden“, erklärt Karin Ristic. Sie ist Leiterin der AK-Wien-Abteilung Insolvenzschutz. Die AK berät und bietet eine kostenlose Vertretung durch den Insolvenzschutzverband für Arbeitnehmer:innen (ISA) im Verfahren an. Ist es erfolgreich, wird das Geld vom Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF) überwiesen. Dieser wurde 1978 geschaffen. Arbeitgeber:innen zahlen einen Zuschlag zum Arbeitslosenversicherungsbeitrag in den Fonds ein, der IEF kommt dann im Rahmen der gesetzlichen Grenzen für die Löhne und Gehälter auf.

Bei einer Insolvenz kommt es oft auf Details an

Über die ausständigen Forderungen entscheidet die IEF-Service GmbH im Zuge eines Verwaltungsverfahrens mit Bescheid. „Bei Betrieben mit korrekten Lohnabrechnungen gibt es die ersten Zahlungen oft schon wenige Wochen nach Antragstellung“, sagt AK-Expertin Ristic. „Problematisch wird es, wenn es keine Lohnunterlagen gibt oder die Arbeitgeber:innen das System missbrauchen.“ Etwa, wenn es zu einem Betriebsübergang komme und die Arbeitnehmer:innen darüber nicht informiert würden.Infografik: In Österreich gehen pro Tag 18 Unternehmen in die Insolvenz.

Ein Negativ-Beispiel: Ein Café wird von einer neuen Firma übernommen, die Belegschaft ohne ihr Wissen umgemeldet, und der alte Betrieb geht in die Insolvenz. Daraufhin erhalten die Mitarbeiter:innen keine Gehaltszahlungen mehr. Im Verfahren müsste dann erst überprüft werden, ob ein Betriebsübergang stattgefunden hat und ob die neue Firma für die Ansprüche haftet. „Die Arbeitnehmer:innen müssen arbeitsrechtlich parallel gegen die vermeintliche Übernahmefirma vorgehen. Bis es zu einem Ergebnis kommt, warten sie oft lange auf ihre Ansprüche“, weiß Philipp Plasser von der AK-Wien-Abteilung Insolvenzschutz.

Besondere Situation im Baugewerbe

Besonders Arbeitnehmer:innen, die ihren Lohn bar auf die Hand bekommen, zählen bei einer Firmenpleite meist zu den Verlierer:innen. Im Baugewerbe werden Löhne oft nur mündlich versprochen. Ein paar Monate lang wird bar ausbezahlt, ohne dass Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden. Dann geht das Bauunternehmen – oft eine von zahllosen Scheinfirmen – pleite. Bei Scheinunternehmen storniert die Gebietskrankenkasse allerdings die Versicherungszeiten von Arbeitnehmer:innen – auch rückwirkend. Damit verlieren sie, obwohl sie auf den Baustellen gearbeitet haben, Ansprüche auf Krankengeld, Arbeitslosengeld und Pensionszeiten, die sie bei einem regulären Arbeitsverhältnis hätten.

Leider ist die Gründung von Scheinunternehmen vor Weihnachten auch eine bekannte Taktik im Kleintransportgewerbe. „Sie dienen als Subunternehmen für bekannte Versandfirmen“, sagt Philipp Plasser. „Die Mitarbeiter:innen arbeiten in der Vorweihnachtszeit über ihre Belastungsgrenzen hinaus und schauen dann durch die Finger.“ Schon lange fordere die AK deshalb eine Auftraggeber:innen-Haftung. Damit wären die Großunternehmen für die sozialen Verstöße ihrer Subfirmen haftbar.

Bedeutung des Betriebsrats bei einer Insolvenz

Gerät eine Firma in die Insolvenz, ist der Betriebsrat in jedem Fall in höchstem Maße gefordert. „Die Arbeit intensiviert sich“, weiß Dominik Bochatz aus leidiger Erfahrung. Besonders schwierig hätten sich die Monate vom Durchsickern hartnäckiger Pleite-Gerüchte bis zur Auszahlung der ersten Löhne in der Insolvenz gestaltet. Das Positive im Ärgernis: „Die Geschäftsführung hat mit uns kooperiert, und wir haben intensiv mit der Gewerkschaft für Privatangestellte und der AK zusammengearbeitet.“

Einen gewichtigen Teil der Betriebsratsarbeit sieht Bochatz im „offenen Ohr“ für alle Mitarbeiter:innen. Die Organisation von Mietaufschüben, Schuldnerberatung, Mietkostenberatung der Stadt Wien und schlicht moralische Unterstützung sind das, was das Betriebsratsteam in solchen Zeiten leisten muss. Trotz aller Unterstützung bleibt eine Insolvenz stets ein tiefer Einschnitt in das Leben von Arbeitnehmer:innen. „Wir haben einen hohen Anteil an Teilzeitmitarbeiter:innen“, sagt Bochatz. „Das heißt, die Leute haben zumeist nicht so viel Geld in der Tasche.“ Im Laufe des Verfahrens wurden auch Kündigungen ausgesprochen. Da sei es wichtig, Betroffene auch an Beratungsstellen weiterzuleiten oder mit der Geschäftsführung noch einmal über gewisse Punkte zu verhandeln.

Nach 40 Jahren hat das ehemalige Opel-Werk in Wien-Aspern endgültig die Tore geschlossen. Davon betroffen ist auch Wolfgang Prochazka. Fast die Hälfte seines Lebens hat er hier als Produktionsarbeiter verbracht. Und doch sagt er: „Ich bin trotz der Schließung gut versorgt.“

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— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 27. November 2024 um 08:34

Das Novetus-Team arbeitet nun weiter, jedoch mit radikal verknapptem Personal. Die bisher 70-köpfige Belegschaft ist auf die Hälfte geschrumpft. „Bei dieser Zahl an Mitarbeiter:innen kennen einander die meisten ziemlich gut“, sagt Bochatz. „Die Kündigungen haben die Stimmung getrübt, schließlich sind es Menschen, mit denen wir täglich zusammengearbeitet haben.“ Der Betrieb habe sich jedoch mit den Schuldner:innen auf die Abzahlung einer Quote geeinigt, und positiv sei auch, dass der gewohnte Arbeitsalltag weitergehen kann. „Wir sind vorsichtig optimistisch“, sagt Bochatz.

Fünf Fakten zum Thema Insolvenz

1 / Wer hat Anspruch auf Insolvenz-Entgelt?

Wenn ein Unternehmen zahlungsunfähig wird und keine Löhne oder Gehälter mehr ausbezahlen kann, bekommen die Beschäftigten das Insolvenz-Entgelt aus dem Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF). Anspruch darauf haben: Arbeitnehmer:innen (einschließlich Lehrlinge); freie Dienstnehmer:innen und Heimarbeiter:innen.

2 / Wer hat keinen Anspruch auf Insolvenz-Entgelt?

Werkvertragsnehmer:innen, atypisch Beschäftigte ohne Arbeitsvertrag, Arbeitnehmer:innen in einem Dienstverhältnis zum Bund, einem Bundesland, einer Gemeinde oder einem Gemeindeverband sowie Gesellschafter:innen mit beherrschendem Einfluss auf die Gesellschaft können diese Leistung nicht in Anspruch nehmen.

3 / Was umfasst das Insolvenz-Entgelt?

Das Insolvenz-Entgelt wird höchstens bis zu einem monatlichen Bruttobetrag von 12.120 Euro übernommen. Dieser Betrag ist abhängig von der jährlich festgesetzten Höchstbeitragsgrundlage zur gesetzlichen Sozialversicherung. Ebenfalls inbegriffen: laufende Entgelte (Löhne, Gehälter, Überstundenzahlungen etc.) und Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) sowie, falls es zu einer Kündigung kommt, allfällige Kündigungsentschädigung, Urlaubsersatzleistung und, wenn jemand noch darunter fällt, die Abfertigung alt.

4 / Was tun bei Unsicherheit über ein Arbeitsverhältnis?

Einen großen Versicherungsdatenauszug bei der Gesundheitskasse anfordern. Dort ist ersichtlich, bei welcher Firma der:die Versicherte gemeldet ist und über welche Zeiträume (die „Versicherungszeiten“) jemand versichert ist. Auch enthalten ist das jeweilige sozialversicherungspflichtige Einkommen inklusive Sonderzahlungen (die „Beitragsgrundlage“).

5 / Recht auf einen Dienstzettel

Da Arbeitnehmer:innen keinen Anspruch auf Ausstellung eines schriftlichen Arbeitsvertrages haben, ist der Dienstzettel besonders wichtig. Dieser enthält die wesentlichen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag.

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