STADTWERKE WIEN: Barrierefrei unterwegs
Wer ein E-Auto hat, kennt dieses Problem von früher: Man möchte den Akku aufladen, steuert die nächste Ladestation an und parkt mit der Vorder- oder Rückseite des Pkws zu besagter Station. Eigentlich müsste jetzt nur noch das Kabel angeschlossen werden. Aber: Links und rechts stehen Autos. Menschen ohne Behinderung können sich – oft auch nur mit Mühe – an einem benachbarten Wagen vorbeiquetschen und das Kabel anstecken. Für Rollstuhlfahrer:innen ist das unmöglich – ein unhaltbarer Zustand für Hans-Jürgen Groß. Er ist seit vier Jahren Beauftragter für Barrierefreiheit bei den Wiener Stadtwerken. Seit 2022 gilt für Ladestationen eine österreichweite Richtlinie, bei deren Entwicklung er federführend war. Diese müssen nun die Größe barrierefreier Parkplätze haben. „Mit der Bestimmung müssten alle Stationen – mit Spezialregelungen für große Ladeparks – frei von Barrieren sein.“
Perspektiven
Das Beispiel der E-Ladestationen zeigt: Wenn Menschen mit Behinderungen nicht von Anfang an in Entwicklungsprozesse involviert sind, wird Inklusion oft nicht bedacht. Dass Menschen mit Behinderungen im Betrieb arbeiten, hat für Groß mehrere Vorteile: „Unterschiedliche Perspektiven verbessern Produkte. So machen sich auch Kolleg:innen ohne Behinderungen Gedanken über Barrierefreiheit.“ Vor den Wiener Stadtwerken arbeitete er als Referent im Büro von Sozialstadtrat Peter Hacker. Er ist allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für barrierefreies Bauen. Diese Expertise bringt er im Unternehmen ein: „Bei Projekten ab fünf Millionen Euro bin ich operativ mit eingebunden.“
Als er mit seiner Arbeit begann, war es wichtig, Inklusion strategisch weiter in den Wiener Stadtwerken zu verankern. Eine neue Konzernrichtlinie trat 2022 in Kraft: Fortan musste es in den Unternehmen Behindertenvertrauenspersonen geben. Insgesamt seien das laut Groß 25. Zu den Betrieben der Stadtwerke gehören die Wiener Linien und Lokalbahnen, die Bestattung Wien und die Friedhöfe, Wien Energie, Wiener Netze sowie WienIT und die Immobilienbetreuung ImmOH!. 362 Personen mit Behinderungen arbeiten derzeit in den Unternehmen, was 528 Stellen für die Ermittlung der Beschäftigungspflicht entspricht. Diese Zahl ergibt sich, weil manche Gruppen, zum Beispiel blinde Menschen oder über 55-Jährige mit Einschränkungen, doppelt auf die Zahl von Menschen mit Behinderungen angerechnet werden, die laut Gesetz beschäftigt werden müssten.
International neue Standards
Ein weiteres Beispiel für inklusives Denken sind die neuen barrierefreien Notrufstellen der Wiener Linien. Früher wurde dort ein Hebel ausgelöst, am anderen Ende der Leitung ertönte eine Stimme. „Menschen mit einer Hörbehinderung oder Lernschwierigkeiten taten sich teils schwer“, so Groß. Ein Display war nötig. „Damit setzten wir international neue Standards.“ Hans-Jürgen Groß ist das Thema Inklusion auch persönlich wichtig: Er ist seit einem Unfall Rollstuhlfahrer. „Auf einmal ist alles anders. Du musst dich mit Dingen auseinandersetzen, die du vorher gar nicht bedacht hast.“ Dann erkenne man den wahren Mehrwert von Barrierefreiheit.