Ingrid Reischl und Tom Schmid im Interview: Was uns gehört!

Inhalt

  1. Seite 1 - Wenn Arbeitgeber:innen blocken
  2. Seite 2 - Warum Leistungen verlorengehen
  3. Seite 3 - Wie zum Schaden der Versicherten abgebaut wird
  4. Seite 4 - Warum Versicherte vors Arbeits- und Sozialgericht ziehen
  5. Seite 5 - Wie Menschen bei Schicksalsschlägen geholfen wird
  6. Auf einer Seite lesen >
Was braucht eine gut funktionierende Selbstverwaltung, und wie nützt sie Arbeitnehmer:innen und Versicherten? ÖGB-Bundesgeschäftsführerin Ingrid Reischl und Sozialpolitikexperte Tom Schmid verdeutlichen, wie die Sozialversicherung wieder näher zu den Menschen rücken kann.

Ingrid Reischl und Tom Schmid im großen Interview zur Selbstverwaltung

Ingrid Reischl und Tom Schmid sprechen zum Thema Selbstverwaltung.
„Eine selbstverwaltete Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung ist heute wichtiger denn je“, meint Ingrid Reischl. | © Markus Zahradnik
Zu den Personen
Ingrid Reischl, Jahrgang 1958, trat nach dem Studium in leitender Funktion in die Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) ein und vertritt seit 1993 die Arbeitnehmer:innenseite in verschiedenen Gremien der österreichischen Sozialversicherung. Aktuell ist sie Bundesgeschäftsführerin des ÖGB, Obmann-Stellvertreterin in der AUVA und Kammerrätin der AK Wien.

Tom Schmid, Jahrgang 1955, Sozialmanager und Politikwissenschafter. Er war Geschäftsführer des Vereins „DAS BAND“ in Wien, lehrt an der Fachhochschule St. Pölten und der Universität Klagenfurt und ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen sowie Mitgesellschafter der „Zentrum für Sozialwirtschaft GmbH“.

Arbeit&Wirtschaft: Wie profitieren Beitragszahler:innen von einer selbstverwalteten Sozialversicherung?

Ingrid Reischl: Es bringt ihnen Mitbestimmung. Die Selbstverwaltung ist ein Demokratiekonzept, in dem die Beitragszahler:innen eines Systems im Rahmen der bestehenden Gesetze indirekt selbst über ihr Leistungsspektrum entscheiden. Das Grundprinzip ist einfach erklärt: In den Sozialversicherungen legen sogenannte Versichertenvertreter:innen eigenverantwortlich fest, wofür eingezahlte Gelder verwendet werden. Sie gestalten dadurch das soziale Sicherungssystem für die betroffenen Gruppen – für Versicherte, Selbstständige und Dienstgeber:innen. Der Staat hat lediglich ein Aufsichtsrecht, darf aber keine Weisungen erteilen. Eine selbstverwaltete Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung ist heute wichtiger denn je, weil sie sich nicht mit dem tagespolitischen Wind dreht, sondern eine klare Linie fährt: Sie vertritt die Interessen der Arbeitnehmer:innen.

Tom Schmid: Selbstverwaltung schafft Gestaltungsspielräume: Die Versicherten verwalten ihre Beitragsgelder über entsandte Vertreter:innen indirekt selbst und können so ihre sozialpolitischen und arbeitsrechtlichen Interessen und Anliegen eigenständig weiterentwickeln.

Über die Selbstverwaltung in der Kranken-, Unfall- und
Pensionsversicherung gestalten die Beitragszahler:innen indirekt unser
Gesundheits- und Sozialsystem mit.

Ingrid Reischl, ÖGB-Bundesgeschäftsführerin

Die Selbstverwaltung erfüllt eine wichtige Brückenfunktion zwischen den Menschen und der Verwaltung der Sozialversicherung. Wir hatten vor den 1990er-Jahren fast 3.000 Versichertenvertreter:innen, die den Beschäftigten in den Betrieben und auf Sprechtagen komplizierte Rechtsbestimmungen verständlich gemacht, Ansprüche konkretisiert und die individuellen Auswirkungen bestimmter Regelungen erklärt haben. Bereits 1993 begann eine Reduktion dieser Funktionär:innen, damals auf rund 1.000. Ein großer Fehler.

Welche Funktion haben die Versichertenvertreter:innen?

Schmid: Sie sind die Botschafter:innen der sozialen Sicherheit in den Betrieben. Die Beschäftigten wenden sich an sie, wenn sie Hilfe brauchen. Dabei geht es darum, sich im System zurechtzufinden, Fristen einzuhalten und alle notwendigen Unterlagen zu sammeln. Oft geht es um Leistungen der Sozialversicherung, die für die Lebensplanung entscheidend sein können – etwa, wo Kinder nach einer schweren Krebserkrankung Zugang zu Rehabilitation bekommen können oder welche Zuzahlungen beim Zahnersatz möglich sind. Doch es gibt aktuell nur mehr so wenige Versichertenvertreter:innen, dass diese kaum mehr Ressourcen haben, um ordentlich zu beraten. Und je schlechter die Menschen informiert sind, desto mehr Leistungen, auf die die Menschen eigentlich Anspruch haben, bleiben ungenutzt und gehen den Betroffenen verloren. Je besser aber die Selbstverwaltung als Brücke funktioniert, desto weniger zweckgewidmete und durch Beiträge finanzierte Leistungen bleiben „liegen“, weil sie niemand in Anspruch nimmt.

Arbeitgeber:innen sind bei der Gesundheitskasse nicht versichert und somit nicht betroffen. Dennoch treffen sie weitreichende Leistungsentscheidungen für die Menschen. Das sei skandalös, meint Ingrid Reischl. | © Markus Zahradnik

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  1. Seite 1 - Wenn Arbeitgeber:innen blocken
  2. Seite 2 - Warum Leistungen verlorengehen
  3. Seite 3 - Wie zum Schaden der Versicherten abgebaut wird
  4. Seite 4 - Warum Versicherte vors Arbeits- und Sozialgericht ziehen
  5. Seite 5 - Wie Menschen bei Schicksalsschlägen geholfen wird
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Über den/die Autor:in

Andrea Rogy

Andrea Rogy schreibt unter anderem für die NÖN und arbeitet als Lektorin
im Studiengang Soziale Arbeit an der Fachhochschule St. Pölten.

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