Teuerung: Inflationäre Fehlentscheidungen

Eine volle Einkaufstüte. Davor hält eine Person eine Geldtasche in der Hand sowie einen 100-Euro-Schein. Symbolbild für die Teuerung.
Wenn der Lebensmitteleinkauf zum Luxus wird: Österreichs Preise sind im letzten Jahr in die Höhe geschnellt. Höhere Löhne können dem Einhalt bieten. | © Adobestock/Superingo
Während die grassierende Teuerung von der Regierung „scharf beobachtet“ wird, wächst die Zahl der Inflations-Verlierer:innen stetig an. Das beste Mittel dagegen wären faire Löhne. So lässt sich auch die milde Rezession beenden.

Wenn schon nicht in den Taschen der Beschäftigten, dann muss es doch irgendwo anders sein, das Geld – auch in Zeiten enormer Teuerung. Tatsächlich gibt es eine breite Palette an Gewinner:innen in der Inflation. Die Mehrheit der Bevölkerung gehört allerdings nicht dazu. Genau das könnte zu einem großen Problem für den Wirtschaftsstandort Österreich werden. Denn der steuert gerade in eine milde Rezession, die sich zu einer veritablen Wirtschaftskrise auswachsen könnte, wenn die Zahl der Verlierer:innen nicht sinkt – zum Beispiel durch faire Lohnabschlüsse.

Das Geld ging ins Ausland

Der Frankfurter Kaufmann und Bankier Mayer Amschel Rothschild (1744–1812) ist so etwas wie der Oscar Wilde für Neoliberale. Ihm wird eine Reihe spitzer Zitate zugeschrieben, darunter der Klassiker „Ihr Geld ist nicht weg, mein Freund, es ist nur woanders“. Zu Beginn der Inflationskrise war leicht zu erkennen, wohin das Geld ging. „Anfangs trieb eine Verteuerung der Importpreise die Inflation – Energie wurde massiv teurer“, erklärt David Mum, Ökonom und in der Bundesgeschäftsführung der Gewerkschaft GPA. Das Geld ging also ins Ausland.

Doch so einfach blieb es nicht, weiß Mum. „Weil die Regierung nur zugeschaut, nicht in die Preispolitik eingegriffen und vor allem auf Einmalzahlungen gesetzt hat, hat sich die Inflation durch die gesamte Preiswirtschaft gefressen.“ Strom, Gas und Benzin benötigt jedes Unternehmen und machten damit alles teurer: Lebensmittel und Dienstleistungen, Papier und der Restaurantbesuch. Da in Österreich viele Mieten an die Inflation gekoppelt sind, erhöhten die Immobilienbesitzer:innen auch gleich noch die Mieten.

Eine Illustration von einer Banane, die ein Schild mit drei Euro-Zeichen trägt, sowie eines 100-Euro-Scheins. Symbolbild für die Teuerung.
„Ihr Geld ist nicht weg, mein Freund, es ist nur woanders“: Um die Finanzen der Unternehmen steht es besser denn je. Ganz anders sieht es bei den Beschäftigten aus. | © Miriam Mone

Wer von der Inflation profitiert

Um gegen die Teuerung vorzugehen, erhöhte die Europäische Zentralbank den Leitzins, was die Kreditkosten verteuerte. Weil in Österreich der Anteil an Krediten mit variablem Zinssatz im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hoch ist, kam es auch hier zu einer enormen Verteuerung für die Verbraucher:innen. Ob diese Maßnahme die Inflation wirklich eingegrenzt hat, ist unter Ökonom:innen derweil umstritten.

Die grassierende Teuerung hat vielen Unternehmen auch als Schleier gedient, hinter dem sie ihre Preise weit stärker erhöhen konnten, als es aufgrund der Inflation nötig gewesen wäre. „In einem Umfeld allgemeiner Preissteigerungen ist es einfach, die Preise zu erhöhen. Da gibt es viele Trittbrettfahrer:innen im Teuerungssog, die ihre Margen erhöht haben. Die Preissteigerungen lagen über der Kostenerhöhung“, führt Mum aus. Eine Gewinn-Preis-Spirale (oder Gierflation) nennen das Ökonom:innen. „Laut der Oesterreichischen Nationalbank war die Inflation 2022 zu fast zwei Dritteln gewinngetrieben“, rechnet Helene Schuberth, Chefökonomin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, im Interview mit Arbeit&Wirtschaft vor.

Auf den Schultern der Beschäftigten

Weil das Geld, das hier in Gewinne fließt, aber irgendwoher kommen muss, gibt es zwingend auch Verlierer:innen in der Inflation. Dazu gehören diejenigen, die Miete zahlen, alle, die einen Kredit mit variablem Zins aufgedrückt bekommen haben, sowie jene, deren Sozialleistungen nicht im gleichen Ausmaß gestiegen sind wie die Preise auf Lebensmittel oder Schulsachen.

Und natürlich verlieren alle, die von ihrer Arbeit leben und nicht von ihrem Kapital. Denn, so Schuberth: „Die Arbeitnehmer:innen haben letztes Jahr Lohnerhöhungen unter der aktuellen Inflationsrate geschultert.“ Das ist nur logisch. Denn die Gewerkschaften verhandeln Lohnerhöhungen auf Basis der rollierenden Inflation. Das ist die Teuerung der vergangenen zwölf Monate. Nimmt die Teuerung gerade zu – so wie im vergangenen Jahr – fallen die rollierende Inflation und damit die Lohnerhöhungen geringer aus als die aktuelle Inflation. Das führt zu Reallohnverlusten. „Jetzt, da die Inflationsraten wieder langsam sinken, liegt die rollierende Inflation eine Zeit lang über der aktuellen monatlichen Inflationsrate, wodurch die Reallohnverluste wieder ausgeglichen werden“, so Schuberth.

Die wahren Verlierer:innen der Teuerung

Karl Dürtscher kämpfte bis zum Lohnabschluss der Metaller dafür, dass das auch passiert. Er ist Bundesgeschäftsführer der GPA und einer der Chefverhandler in der Herbstlohnrunde. Für ihn ist klar: „Die Frage, wer die Verlierer:innen sind, kann man nicht auf die Beschäftigten reduzieren. Das sind auch jene Menschen, die Sozialleistungen beziehen, bei denen es keine faire Anhebung gab. Die Zahl der Verlierer:innen ist hoch.“

Auch die Gesamtwirtschaft versuchte traditionell, sich in die Schlange der Verlierer:innen einzureihen. So mahnte Wolfgang Hesoun, Obmann der Vereinigung der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI), die Gewerkschaften zur Mäßigung ob der angespannten wirtschaftlichen Lage. Wenige Augenblicke später präsentierte Geschäftsführerin Marion Mitsch dann „signifikante Zuwächse in allen Sparten“ und fasste das abgelaufene Geschäftsjahr zusammen: „Ausgehend von einer bereits steigenden Produktion (+17,1 Prozent) im Vergleichszeitraum 2021, schloss die abgesetzte Produktion 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum mit einem Wert von 23,34 Milliarden Euro, was eine erneute Steigerung von 15,7 Prozent bedeutet“ – ein Widerspruch, den Dürtscher kennt. „Vergleicht man die Aussagen der Arbeitgeber:innen während der Lohnverhandlungen und die Angaben, die auf den Homepages der Fachverbände gemacht werden, sieht man einen eklatanten Gegensatz.“

„Weil die Regierung nicht in die Preispolitik eingegriffen hat, hat sich die Inflation durch die gesamte Preiswirtschaft gefressen“, kritisiert der Ökonom David Mum. | © Markus Zahradnik

Wie ein fairer Lohn die Teuerung beendet

Tatsächlich prognostizieren die relevanten Ökonom:innen in Österreich eine milde Rezession. Sie liegt also vor uns, nicht hinter uns. David Mum erklärt deutlich: „Die Arbeitgeber:innen sagen, dass die Vergangenheit gut war, aber die Zukunft schwierig wird. Wir verhandeln nicht über die Erwartungen, sondern über die erzielten Ergebnisse. Deswegen orientieren wir uns an der zurückliegenden Inflation und den bereits erzielten Gewinnen.“

Damit ist die Gewerkschaftsseite nicht allein. Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) stellte im Morgenjournal des ORF klar, dass zwar eine milde Rezession komme, die aber schnell überwunden werden könnte, wenn der private Konsum gut laufe. Denn die Ursachen haben sich gewandelt. Das aktuelle Produktionshemmnis der Unternehmen sind nicht die mangelnde Kapazität, die hohe Nachfrage an Arbeitskräften oder gestörte Lieferketten, sondern das Hauptproblem ist schlicht und ergreifend ein Mangel an Nachfrage – eben weil die Zahl der Verlierer:innen so hoch ist. Ein Reallohnverlust – und das merken Unternehmen gerade – bedeutet eben, dass den Menschen weniger Geld zum Ausgeben bleibt. So einfach kann es sein.

Das gleiche Ziel

Um von den guten Ergebnissen zu profitieren, braucht es die Herbstlohnrunde. Hier kämpfen die Gewerkschaften darum, aus Reallohnverlusten ein Kaufkraftplus zu machen – nicht nur im Sinne der Beschäftigten, sondern auch, um mittelfristig die Rezession zu verhindern. Das sehen die Arbeitgeber:innen nicht so: „Wenn Betriebe aufgrund zu hoher Personalkosten schließen, sind die Arbeitsplätze für immer weg, das sollte bei den Verhandlungen berücksichtigt werden“, erklärte Andreas Lahner, einer der Verhandlungsleiter für die Metallindustrie.

„Die Zahl der Verlierer:innen ist hoch“, bringt es Karl Dürtscher, GPA-Chefverhandler in der Herbstlohnrunde, auf den Punkt. | © Markus Zahradnik

Ein Argument, das auch in dieser Herbstlohnrunde auf Kritik stieß. „Die Industrie ist ein kapitalintensiver Sektor. Der Personalaufwand beträgt 15,4 Prozent in Relation zum Umsatz. Man sieht, dass eine Lohnerhöhung nicht der Punkt ist, der ein Unternehmen aus dem Markt drängt. Wenn man die Kosten der Lohnerhöhung mit den Gewinnausschüttungen in Relation setzt, erkennt man, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird“, rechnet Mum vor.

Lohnerhöhungen steigern die Nachfrage im Inland und verhindern einen wirtschaftlichen Abschwung. Gewerkschaften und Arbeitgeber:innen haben also genau genommen das gleiche Ziel. Das betont – obwohl der Ton der Verhandlungen oft rau ist – auch Dürtscher. Zwar gebe es stark unterschiedliche Interessen bei Lohn und Gehalt, doch die Sozialpartnerschaft funktioniere. Denn darüber hinaus gebe es viele Überschneidungen – etwa wenn es um die Frage der Attraktivität und des Erhalts des Wirtschafts- und Industriestandortes Österreich gehe, oder auch bei der Frage der Kinderbetreuung, beim Wunsch nach beschleunigten Behördenverfahren oder bei Investitionen in die Infrastruktur. Vielleicht müssen die Arbeitgeber:innen nur daran erinnert werden.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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