Kommentar: Weniger nörgeln, mehr Industriepolitik

Ein Walzwerk des Aluminium-Unternehmens AMAG.
Ein Walzwerk der AMAG – das Unternehmen geht mit Innovation voran, statt mit Jammern über die Industriepolitik hinterher. | © AMAG
Die Industriepolitik in Österreich ist stark vom Wehklagen geprägt. Dabei sind die Technologien weltweit führend und Unternehmen profitieren vom ökologischen Umbau. Ein Kommentar von Nikolaus Kowall.
Vor einigen Wochen präsentierte das Wirtschaftsforschungsinstitut eco Austria gemeinsam mit Wirtschaftsminister Martin Kocher eine bemerkenswerte Studie. Es sei der österreichischen Exportindustrie seit dem Jahr 2000 gelungen, ihre Produktpalette zu erweitern. Die Studie hält fest: „Ein Upgrade des Produktportfolios ist den meisten anderen vergleichbaren Ökonomien im Zeitverlauf nicht gelungen: Schweden, Finnland oder Frankreich haben – im Laufe der letzten zwanzig Jahre – an Komplexität eingebüßt.“ Diese Nachricht passt gar nicht zu den sonstigen Meldungen rund um die Industriepolitik. Oder besser gesagt, aus den wirtschaftlichen Interessensvertretungen, die stets dieselbe Platte von Bürokratie, Lohnnebenkosten und vermeintlicher EU-Überregulierung auflegen. Also wie ist es wirklich um die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie bestellt?

Industriepolitik: Weil Österreich es wert ist

Vor zehn Jahren habe ich im Rahmen meiner Doktorarbeit Unternehmensbefragungen durchgeführt, um die Rolle des Preises für die Industrieexporte zu eruieren. Die Ergebnisse waren faszinierend. Erstens operieren die Unternehmen überwiegend im oberen Technologiesegment. Zweitens sind die Unternehmen so hoch spezialisiert, dass sie nur wenige, manchmal überhaupt nur ein bis zwei Mitbewerber:innen haben. Weltweit wohlgemerkt. Innerhalb dieser Nischen – und Nischen sind im oberen Technologiesegment selbst am Weltmarkt eher die Regel als die Ausnahme – zählen vor allem zwei Faktoren. Zum einen die Technik, was von Qualität über Innovation bis zu Technologie reicht. Zum anderen – und das wird vollkommen unterschätzt – Kundenbeziehungen – begonnen bei Verlässlichkeit über Pünktlichkeit und Flexibilität bis hin zur langjährigen Vertrauensbeziehung. Der Preis spielt eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle. Die österreichische Industrie kann verhältnismäßig höhere Löhne zahlen, weil ihre Produkte es wert sind.

Nun sind diese Befragungen zehn Jahre alt und die Welt dreht sich schneller denn je. Aber auch neuere Befunde deuten darauf hin, dass wir es keineswegs mit einer De-Industriealisierung zu tun haben. In Westeuropa ist Deutschland das einzige Land, in dem der Beitrag der Industrie zur Wertschöpfung noch höher ist als in Österreich. Bei der Entwicklung der Industrieproduktion spielt Österreich überhaupt in einer eigenen Liga. Seit 1996 hat sich der Wert für Österreich mehr als verdoppelt. Deutschland, dessen Industrieproduktion seit Ende 2018 rückläufig ist, erreicht zwischen 1996 und 2023 einen deutlich geringeren Zuwachs.

Entwicklung der Industrieproduktion 1996 – 2023

Österreich + 138 %
Finnland + 52 %
Deutschland + 29 %
Spanien + 7 %
Frankreich + 3 %
Italien – 14 %
Norwegen – 17 %

Quelle: Eurostat, Produktion in der Industrie – vierteljährliche Daten

Österreichs Unternehmen im Spitzenfeld

Noch spannender ist die Frage, wie die österreichische Industrie für die Zukunft aufgestellt ist. Hört man dabei eher auf Stimmen aus den Unternehmen und weniger auf die ihrer Interessensvertretungen, ergibt sich ein anderes Bild. Statt zu jammern, forschen und investieren ganze Branchen, um die wichtigste Frage für ein Industrieland wie Österreich zu beantworten: Wie kann der industrielle Kern unserer Volkswirtschaft klimaneutral umgerüstet werden?

Nicht wenige österreichische Unternehmen basteln intensiv an Prozessen zu Wiederverwendung, Recycling und Abfallnutzung. Etwa der Baustoffkonzern Wienerberger – immerhin der größte Ziegelproduzent der Welt. Weil sich das Material gut wiederverwenden lässt, sind die in den vergangenen Jahren eingeführte Produkte zu über 90 Prozent recycelbar. Die AustroCel in Hallein, ein Hersteller von Zellstoff und Bioenergie, sieht sich überhaupt als Vorreiterin der Kreislaufwirtschaft. Schon der Rohstoff für ihre Produktion ist ein Abfallprodukt, nämlich Sägespäne, die in der holzverarbeitenden Industrie anfällt. Laut eigenen Angaben verfügt das Unternehmen über die weltweit größte Anlage zur Erzeugung von Bioethanol, der Energieverbrauch ist zu 99 Prozent dekarbonisiert. Obendrein kommt Austrocel dem Zero-Waste-Ziel immer näher.

Eine Frau joggt an einer Mauer aus Ziegeln der Firma Wienerberger vorbei.
Recycling wird für die Industriepolitik zu einem zentralen Thema. Wienerberger gehört mit seinen Ziegeln dabei zum Spitzenfeld. | © Wienerberger

Ein anderes Unternehmen, dass sich intensiv mit Recycling beschäftigt, ist der Aluminiumhersteller AMAG in Ranshofen (OÖ). Aluminium benötigt beim Recycling nur 5 bis 10 Prozent der Energie im Vergleich zur ersten Primärherstellung. Mit einem Schrotteinsatz (also Recycling) von bis zu 80 Prozent, liegt das Unternehmen weltweit im Spitzenfeld. Das Werk Ranshofen ist nach AMAG-Angaben der größte Aluminiumrecycler in Europa. Die OMV errichtet derzeit die größte Elektrolyseanlage Österreichs, mit dem Ziel, für hochenergieintensive Branchen wie Zement-, Keramik- oder Stahlerzeugung CO₂-neutrale Energie bereitzustellen.

Export profitiert von ökologischer Transformation

Das alles wird ergänzt durch die Resultate der zitierten Studie von Eco Austria, die die Zukunft des österreichischen Exports optimistisch einschätzt: „Zudem zeigt sich am aktuellen Rand, dass Österreich zu einem höheren Anteil in grüne Produkte (gemäß Listen der WTO und OECD) spezialisiert ist als andere EU-Länder. Im Jahr 2019 entfielen mehr als elf Prozent der Exporte Österreichs auf grüne Produkte.“ Ebenso identifiziert und clustert die Studie 250 Produkte innerhalb der technologischen Reichweite der österreichischen Exportindustrie. Unter diesen Produkten mit künftigem Potenzial befinden sich einige im Bereich des optischen Equipments und der mechanischen Maschinen(-teile), die für die ökologische Transformation als besonders relevant erachtet werden.

Aus einer Studie von Fraunhofer Austria über den Automobilsektor geht hervor, dass die Wertschöpfung in Österreich von der Elektrifizierung der Branche stärker profitieren dürfte als die globale Branche, da „viele Unternehmen im Bereich der Leistungselektronik ihre Kernkompetenzen haben.“ Davon dürften unter anderem Hersteller wie Infineon profitieren. Das Unternehmen hat vor drei Jahren eine High-Tech-Chipfabrik für Leistungselektronik am Standort Villach eröffnet. Wir dürfen obendrein mutmaßen, dass der Bahnverkehr an Bedeutung gewinnen wird, was sich auf das Streckennetz (Stahlindustrie) und die Garnituren (Bahnindustrie) auswirken wird. Österreich ist mit 15.000 Beschäftigten in der Branche der weltweit (!) viertgrößte Exporteur im Bereich der Bahnindustrie.

Industriepolitik funktioniert nur proaktiv

Ist also alles paletti? Natürlich nicht! Bürger:inneninitiativen blockieren den Lückenschluss der 220 KV-Leitung rund um den Großraum Linz, der für die Dekarbonisierung der VOEST unerlässlich ist. Genauso wie den Anschluss von 500 Haushaltern mit Ölheizung in Salzburg an die Fernwärme. Zehntausende potenzielle Arbeitskräfte werden nicht für die Anforderungen der ökologischen Transformation ausgebildet, angefangen bei Arbeitslosen über gering Qualifizierte bis zu teilzeitbeschäftigten Frauen und Migrant:innen. Zuletzt fehlt es an einer Gesamtstrategie für die politische Unterstützung der ökologischen Transformation, an finanziellen Mitteln und an klaren Regeln (Konditionen), an die sich geförderte Unternehmen halten müssen – von Arbeitsplatzgarantien über Emissionsziele bis zur Vermeidung von Steuerverschiebung. Das sind offene politische Baustellen, auf denen die Weichen für die Zukunft einer an sich gesunden österreichischen Industrie gestellt werden. Weniger Jammern, mehr Industriepolitik, lautet die Devise.

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Über den/die Autor:in

Nikolaus Kowall

Nikolaus Kowall ist Ökonom und SPÖ-Politiker. Seit 2019 unterrichtet er als Hochschullehrer für Internationale Wirtschaft an der Fachhochschule des BFI Wien.

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