Im Mittelpunkt die Fakten

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Die Wirtschaftswissenschaft der AK feiert ihren 60. Geburtstag. Sie liefert die Grundlage für eine faktenbasierte interessenpolitische Auseinandersetzung.
Vor den Lohnverhandlungen rauchen in den Abteilungen für Wirtschaftswissenschaft und Betriebswirtschaft der AK die Köpfe. Denn was die ExpertInnen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse austüfteln, bildet später eine der Grundlagen für die gewerkschaftlichen Positionierungen in den KV-Verhandlungen.

Analysen mit vielen Fragen

Basis ist die traditionelle Lohnleitlinie der Benya-Formel. Sie lautet: Die Löhne sollen um die Summe aus mittelfristigem Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktivität und Inflationsrate steigen.

Die ExpertInnen haben bei ihren Analysen folgende Fragen im Kopf: Wie passt diese Formel ins aktuelle Bild von Wirtschaftslage und -aussichten? Wie steigen die Löhne bei den Handelspartnern? Wie entwickelt sich die Einkommensverteilung in Österreich? Wie steht es um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Export? Welche Impulse braucht die Konsumnachfrage der Haushalte? Auf dieser Basis werden Analysen zur Gesamtwirtschaft und zur jeweiligen Branche erstellt. Diese fußen auf den Expertisen der eigenen Fachleute, dazu kommt die Expertise der Wirtschaftsforschungsinstitute.

All diese komplexen Zusammenhänge sowie die wirtschaftswissenschaftlichen Fakten müssen für die Verhandlungen freilich aufbereitet werden. Dabei macht es sich bezahlt, dass die AK-Fachleute in der Ausbildung von BetriebsrätInnen und GewerkschaftsfunktionärInnen eine wesentliche Rolle spielen und auch danach den regelmäßigen Meinungsaustausch pflegen: Gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge, internationale Vergleichszahlen und das Prinzip der Faktenbasierung als Grundlage interessenpolitischer Auseinandersetzung sind allen Beteiligten wohlvertraut.

Rolle als ÜbersetzerInnen

Auch die Arbeit&Wirtschaft trägt zur Übersetzung der Sachverhalte entscheidend bei, ebenso der A&W-Blog, der sich in den vergangenen vier Jahren als größter sozial- und wirtschaftspolitischer Blog Österreichs etabliert hat. Auf dem Blog werden laufend aktuelle Sachverhalte und wirtschaftspolitische Einschätzungen für die interessierte Öffentlichkeit publiziert.

Grundlagen für eine wirtschaftspolitische Auseinandersetzung zu schaffen, die auf Fakten basiert – dies war von Beginn an wesentlicher Eckpfeiler der Zusammenarbeit von Gewerkschaften und AK. Im Jahr 1920 bekamen die ArbeitnehmerInnen mit der Schaffung der Arbeiterkammer erstmals eine den Handelskammern gleichgestellte Stimme vor dem Gesetz. Bereits damals wurde die Erforschung der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge aus Perspektive der Beschäftigten als essenziell für eine starke gewerkschaftliche Vertretung ihrer Interessen erachtet.

Der erste Präsident der Wiener AK Franz Domes definierte die Aufgabe folgendermaßen: „die Wirtschaft zu durchleuchten, sozialpolitisch das Gestrüpp gesetzlicher Einrichtungen zu durchdringen und arbeitsrechtlich alles verteidigen zu helfen“. Dahinter stand die Idee, dass die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften steigt, wenn ihre Forderungen und Maßnahmen auf faktenbasierten Argumenten fußen.

Wohlstand für die Allgemeineit

Bald nach der Wiedereinrichtung der AK nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Tradition fortgesetzt. Den Gewerkschaften erschien es von essenzieller Bedeutung, in der Vertretung der Interessen der breiten Masse der Bevölkerung über ein gutes Verständnis der gesamtwirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu verfügen.
Mit der Gründung der Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung im Jahr 1957 kamen ExpertInnen in die AK, deren Ziel ein möglichst hoher Wohlstand für die Allgemeinheit war. Ein zentraler Gedanke bestand darin, die negativen Auswirkungen von Massenarbeitslosigkeit nicht nur in sozialer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu beleuchten. Durch aktiv steuernde Konjunkturpolitik, fundierte Investitionsplanung, fortschrittliche Bildungspolitik sowie eine ausgleichende Umverteilung durch sozial- und steuerpolitische Maßnahmen sollten ein rascher wirtschaftlicher Aufholprozess und Vollbeschäftigung angesteuert werden.

Ein prägendes Vorbild bildeten dabei die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten mit ihrer fortschrittlichen Sozial- und Wirtschaftspolitik, die eine faire Beteiligung der ArbeitnehmerInnen am gesamtwirtschaftlichen Wohlstand ermöglichte.

Für die daraus resultierende Forschung war von Beginn an auch die Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen wie etwa dem Wirtschaftsforschungsinstitut entscheidend. Dort wurde die Idee eines wirtschaftspolitisch aktiven Staates geteilt, der in Krisen aktiv gegensteuert. Erforscht wurde etwa die Wirkung von Investitionen auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Im Vordergrund standen wegen der außergewöhnlichen Herausforderungen der Nachkriegszeit (Preisregulierung, Versorgungsproblematiken und staatliche Planung) zunächst sehr praktische Überlegungen der Wirtschaftspolitik. Wichtig war es, belastbares Datenmaterial für fundierte Analysen und wirtschaftspolitische Entscheidungen aufzubereiten.

Bis heute ist eine tragfähige Gesprächsbasis zwischen Kammer und Österreichischem Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) entscheidend, um Detailinformationen, qualitative Einschätzungen und Erwartungen austauschen zu können.

Reger Austausch

Nicht nur mit der Konjunkturforschung pflegt die Wirtschaftswissenschaft der AK bis heute regelmäßigen Austausch, sondern auch mit den Universitäten. Wissenschaft in einer Interessenvertretung zu betreiben hat dabei einige Besonderheiten: Prägend sind ein klares emanzipatorisches Weltbild und ein besonderes Augenmerk auf strategisch wichtige Bereiche wie die Verteilungsforschung, die Budget- und Beschäftigungspolitik oder die Arbeitsbeziehungen.

Vor allem in diesen Forschungsgebieten findet eine Vernetzung mit den Universitäten statt, und das stets auf Augenhöhe. Denn den AK-Fachleuten geht es nicht um Ökonomie als l’art pour l’art oder als akademische Fliegenbeinzählerei. Für sie steht relevante Ökonomie im Mittelpunkt: Wirtschaftswissenschaft mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen.

Besonderes Augenmerk gilt dabei dem wissenschaftlichen Nachwuchs. Die AK-Fachleute lehren an den Universitäten und Fachhochschulen, Studierende mit besonders relevanten Masterarbeitsthemen wirken als ForschungsassistentInnen in der AK mit, die jährliche Young Economists Conference, bei der der renommierte Eduard-März- Preis – benannt nach dem ersten Leiter der Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung – vergeben wird, hat inzwischen Tradition. Die jungen österreichischen Ökonomie-Studierenden profitieren dabei auch von den guten internationalen Kontakten der AK.

Die TopökonomInnen der Welt stellen ihre Forschungsergebnisse im Rahmen gutbesuchter AK-Veranstaltungen vor. In der Verteilungsforschung reicht die Liste der Vortragenden von Thomas Piketty bis Gabriel Zucman, in der gesamtwirtschaftlichen Analyse von Gustav Horn bis Özlem Onaran. So finden die neuesten internationalen wissenschaftlichen Erkenntnisse Eingang in die öffentliche und politische Debatte in Österreich.

Fakten und Kooperation

Österreichs Gewerkschaftsbewegung ist beim Erkämpfen von Arbeitsstandards und Sozialstaat auch deshalb so erfolgreich, weil sie ihre Politik stets auf Fakten basiert und immer offen für eine Kooperation mit der Wissenschaft ist.

Der Wirtschaftswissenschaftlichen Grundsatzabteilung in der AK kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu. Sie führt eigene Forschungsarbeiten durch, beteiligt sich intensiv an der wissenschaftlichen und politischen Debatte und pflegt den Austausch mit internationalen ForscherInnen. Das Ziel ist, den gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt für die ArbeitnehmerInnen nutzbar zu machen.

Homepage Wirtschaftswissenschaften/Arbeiterkammer Wien:
tinyurl.com/y9lvjk3w

Von
Romana Brait und Markus Marterbauer

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/17.

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