Hype um Heimat

Foto (C) ÖGB-Verlag/Michael Mazohl
Die erste romantische Vereinnahmung erfuhr der Begriff Heimat Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Je mehr Menschen durch die Industrialisierung von ihrem Geburtsort wegzogen, umso inten­siver wurde Heimat zur sentimental besungenen Idylle.

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Den Begriff "Heimat" gibt es (fast) nur auf Deutsch. Und selbst im deutschen Sprachraum weiß niemand, was genau sie ist. Umso heftiger wird sie umworben.
So sehr Heimat auf Orte bezogen ist, auf Geburts- und Kindheitsorte, Orte des Glücks, an denen man lebt, wohnt, arbeitet, Familie und Freunde hat – letztlich hat sie weder einen Ort, noch ist sie einer“, meinte der deutsche Jurist und Schriftsteller Bernhard Schlink im Jahr 1999 in seiner Rede „The Place of Heimat“. Heimat sei ein Nicht-Ort, eine Utopie, die am intensivsten erlebt werde, wenn sie fehlt. Ganz falsch interpretiert werde der Begriff, wenn eine bestimmte Gestalt von Heimat verlangt und durchgesetzt wird. „Wenn Erinnerung und Sehnsucht nicht aushalten, bloß Erinnerung und Sehnsucht zu sein, sondern Ideologie werden müssen. Wenn die Heimatideologie politische und rechtliche Gestalt annimmt.“

Richtig verstanden und alles andere als Ideologie, so Schlink, sei das Recht auf Heimat, will heißen: das Recht auf einen Ort, an dem man lebt, mit allem, was dazu wesentlich ist. Erst die rechtliche Anerkennung der Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft, „die vor Staatenlosigkeit, zielloser Flucht und Vertreibung (…) schützt“, mache einen Ort zur Heimat.

Recht auf Heimat

„Man muss Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben“, schrieb der aus Österreich vertriebene Schriftsteller und KZ-Überlebende Jean Améry in seinem Essay „Wie viel Heimat braucht der Mensch?“ (1966).

Damit entgegnete er der damaligen „revoltierenden Jugend“, die „Heimat“ verächtlich als „Domäne der Rechten“ geißelte und ihn damit dieser auch für ihre Zwecke überließ.

Buchtipp: Robert Menasse: Heimat ist die schönste Utopie. Reden (wir) über Europa

Kampfvokabel

Die erste romantische Vereinnahmung hatte der Begriff Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts erfahren. Je mehr Menschen durch die Industrialisierung von ihrem Geburtsort wegzogen, umso intensiver wurde Heimat zur sentimental besungenen Idylle. Die entstehenden Nationalstaaten boten diesem Gefühl eine neue, abstraktere Heimat, eine „imagined community“, gestärkt durch das Beschwören einer gemeinsamen Geschichte und Kultur. Der Heimatbegriff hat offenbar zu Krisenzeiten Konjunktur. „Genauer betrachtet war der Heimatbegriff schon damals v. a. das Kennzeichen einer kollektiven Abwehrhaltung“, meint Daniel Schreiber, Essayist und Kunstkritiker. Der Erfolg nationalistischer PopulistInnen auch in heutiger Zeit: Sie evozieren eine Welt, ein perfektes Haus der Zugehörigkeit, in dem nichts fremd ist – das es aber nie gegeben hat und niemals geben wird.

Spätestens mit der großen Flucht- und Migrationsbewegung dieses Jahrhunderts wurde der Heimatbegriff wieder Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Aktuell werde er zunehmend aggressiver gebraucht, gleichsam als Kampfbegriff, der sich das Gefühl zunutze macht, „dass irgend jemand die Heimat bedroht“, konstatiert der Historiker Helmut Konrad. Heimat als Ort, den es zu schützen gilt – vor angeblicher Überfremdung, vor dem Islam, vor der Globalisierung oder ganz allgemein vor allem Neuen.

Im November 2015 hatten sich die österreichischen Volkskunde-Institute und Museen mit der Aussendung „Menschen in Bewegung“ an die Öffentlichkeit gewandt, um der politischen Instrumentalisierung der Begriffe „Heimat“, „Kultur“ und „Identität“ entgegenzuwirken. „Aufgeladen mit Ideologien der Ausgrenzung und Wir-Behauptungen war und ist die Vorstellung von ‚Heimat‘ leicht auch Ausgangspunkt für Vertreibung und sogar Vernichtung.“ Im heutigen Reden über Heimat übersehe man leicht, dass Menschen mehrere Zugehörigkeiten haben (können). „Die Vorstellung von ‚Kulturen‘ (…) als nationale Besitzstände, die zudem noch in nationale Grenzen zu gießen wären“, sei „eine wirkungsmächtige Fiktion“, so die wissenschaftlichen HeimatspezialistInnen.

Flüchtlingskind als Präsident

Als ungewöhnlicher Kämpfer um den Begriff Heimat ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen als Kandidat in Erinnerung, der in neuer Trachtenjacke Kirtage und Volksfeste aufsuchte. Das Kaunertal, dessen BewohnerInnen die estnische Flüchtlingsfamilie seinerzeit aufgenommen hatten, wurde durch ihn zu einem Symbol einer neuen, weltoffenen Heimatverbundenheit. Mit Plakatslogans wie „Wer seine Heimat liebt, spaltet sie nicht“, „Heimat braucht Zusammenhalt“ oder „Mutig in die neuen Zeiten“ gab der Grüne dem Begriff eine andere Bedeutung als sein Kontrahent von der „sozialen Heimatpartei“.

„Heimat kann überall sein, wo man sich selber wohl fühlt, wo man auch von den Leuten, die vorher da waren, akzeptiert wird“, definierte Van der Bellen den Begriff. Beide Kandidaten hatten auf den gefühlsbeladenen Terminus gesetzt. „Doch einer spielt mit gezinkten Karten“, schrieb Viktor Hermann in den „Salzburger Nachrichten“. Denn: „Welche Heimat meint Norbert Hofer eigentlich?“, fragte der Kommentator. Er verwies auf die Ehrenmitgliedschaft Norbert Hofers bei der deutschnationalen Burschenschaft Marko-Germania, die die „geschichtswidrige“ Idee einer österreichischen Nation strikt ablehnt.

Von linkspopulistischer Seite trat später Peter Pilz mit seinem Buch „Heimat Österreich: Ein Aufruf zur Selbstverteidigung“ auf die Bühne. Der Ex-Grüne identifizierte bekanntlich die nationalistische Rechte und den politischen Islam als Gefährder der Heimat Österreich und der Heimat Europa. Der Unterschied zu rechts, so der bekennende Linkspopulist: „Die nationalistische Rechte hetzt arme Inländer auf arme Ausländer. Wir schützen die Menschen vor den Hetzern und richten uns überall in Europa gegen einen ganz anderen Gegner: das spekulierende Finanzkapital (…). Rechte volken um. Wir verteilen um.“

Vorsicht und Abstand

„Beim Wort Heimat rate ich zur Vorsicht“, schreibt der Philosoph Franz Schuh in der Zeitschrift „Datum“ im Sommer 2017, „und bei ‚sozialer Heimatpartei‘ zum Abstandnehmen.“ Von der Heimat, die zwar auch als Deckname von Rassismus gedient hat und dient, rate er nicht ab. Denn der Begriff müsse nicht zwangsläufig mit der exklusiven Verherrlichung des „Eigenen“ und der „Eigenen“ einhergehen. Anders sei es mit der Vorsicht vor Ideologen der Heimat, „die den sentimentalen Begriff scharf machen wollen. Ihre Bierzelte und Lederhosen, ihr Alpenglühen, ihr Fremdenhass, das ist nicht Heimat, sondern ein primitives Destillat aus ihr, das man den Leuten vor die Nase presst wie Chloroform.“

Mit Betäubung anderer Art arbeitet „Volks-Rock-’n’-Roller“ Andreas Gabalier, der „massentauglich“ überkommene Heimatideologie transportiert. Als „Blut-und-Boden-Texte“ bezeichnen „Der Standard“ oder die deutsche „taz“ die Gesänge des „Nationalsexuellen“ (©taz) über „Heimatsöhne“ und „Bergkameraden“, in denen äußerst stramme Männerleben besungen werden. Der 30+-Jährige mit Elvis-Tolle beschwört mit seiner Performance eine Weltordnung der 1930er-Jahre, als ein Mann noch ein Mann und – pars pro toto – ein Dirndl die dazugehörige Frau war.

Fenster auf

Seitdem er sich mit dem europäischen Einigungsprozess beschäftigt, beschäftige er sich auch mit der Frage, was seine Heimat ist, vermerkt Robert Menasse in seinem Band gesammelter Reden „Heimat ist die schönste Utopie“. Der Begriff „Alpenrepublik“ stimme ihn trübsinnig, er fühle sich als Niederösterreicher und Europäer zugleich, dazwischen brauche er nichts. Die Nationalstaaten, ein historisch relativ junges Phänomen, seien erschöpft und böten nur den Dümmsten ein herrisches Selbstwertgefühl. „Heimat ist ein Menschenrecht. Nation nicht. Nationen haben sich bekriegt, Regionen haben sich verbündet“, plädiert Menasse für eine freie Assoziation der Regionen als sinnige Utopie in einem geeinten Europa.

Vielfalt als Chance: „Wenn schon Heimat, dann lieber Heimaten“:
tinyurl.com/ya9gby4s

Von
Gabriele Müller
Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/17.

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