Flüchtlingskind als Präsident
Als ungewöhnlicher Kämpfer um den Begriff Heimat ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen als Kandidat in Erinnerung, der in neuer Trachtenjacke Kirtage und Volksfeste aufsuchte. Das Kaunertal, dessen BewohnerInnen die estnische Flüchtlingsfamilie seinerzeit aufgenommen hatten, wurde durch ihn zu einem Symbol einer neuen, weltoffenen Heimatverbundenheit. Mit Plakatslogans wie „Wer seine Heimat liebt, spaltet sie nicht“, „Heimat braucht Zusammenhalt“ oder „Mutig in die neuen Zeiten“ gab der Grüne dem Begriff eine andere Bedeutung als sein Kontrahent von der „sozialen Heimatpartei“.
„Heimat kann überall sein, wo man sich selber wohl fühlt, wo man auch von den Leuten, die vorher da waren, akzeptiert wird“, definierte Van der Bellen den Begriff. Beide Kandidaten hatten auf den gefühlsbeladenen Terminus gesetzt. „Doch einer spielt mit gezinkten Karten“, schrieb Viktor Hermann in den „Salzburger Nachrichten“. Denn: „Welche Heimat meint Norbert Hofer eigentlich?“, fragte der Kommentator. Er verwies auf die Ehrenmitgliedschaft Norbert Hofers bei der deutschnationalen Burschenschaft Marko-Germania, die die „geschichtswidrige“ Idee einer österreichischen Nation strikt ablehnt.
Von linkspopulistischer Seite trat später Peter Pilz mit seinem Buch „Heimat Österreich: Ein Aufruf zur Selbstverteidigung“ auf die Bühne. Der Ex-Grüne identifizierte bekanntlich die nationalistische Rechte und den politischen Islam als Gefährder der Heimat Österreich und der Heimat Europa. Der Unterschied zu rechts, so der bekennende Linkspopulist: „Die nationalistische Rechte hetzt arme Inländer auf arme Ausländer. Wir schützen die Menschen vor den Hetzern und richten uns überall in Europa gegen einen ganz anderen Gegner: das spekulierende Finanzkapital (…). Rechte volken um. Wir verteilen um.“
Vorsicht und Abstand
„Beim Wort Heimat rate ich zur Vorsicht“, schreibt der Philosoph Franz Schuh in der Zeitschrift „Datum“ im Sommer 2017, „und bei ‚sozialer Heimatpartei‘ zum Abstandnehmen.“ Von der Heimat, die zwar auch als Deckname von Rassismus gedient hat und dient, rate er nicht ab. Denn der Begriff müsse nicht zwangsläufig mit der exklusiven Verherrlichung des „Eigenen“ und der „Eigenen“ einhergehen. Anders sei es mit der Vorsicht vor Ideologen der Heimat, „die den sentimentalen Begriff scharf machen wollen. Ihre Bierzelte und Lederhosen, ihr Alpenglühen, ihr Fremdenhass, das ist nicht Heimat, sondern ein primitives Destillat aus ihr, das man den Leuten vor die Nase presst wie Chloroform.“
Mit Betäubung anderer Art arbeitet „Volks-Rock-’n’-Roller“ Andreas Gabalier, der „massentauglich“ überkommene Heimatideologie transportiert. Als „Blut-und-Boden-Texte“ bezeichnen „Der Standard“ oder die deutsche „taz“ die Gesänge des „Nationalsexuellen“ (©taz) über „Heimatsöhne“ und „Bergkameraden“, in denen äußerst stramme Männerleben besungen werden. Der 30+-Jährige mit Elvis-Tolle beschwört mit seiner Performance eine Weltordnung der 1930er-Jahre, als ein Mann noch ein Mann und – pars pro toto – ein Dirndl die dazugehörige Frau war.
Fenster auf
Seitdem er sich mit dem europäischen Einigungsprozess beschäftigt, beschäftige er sich auch mit der Frage, was seine Heimat ist, vermerkt Robert Menasse in seinem Band gesammelter Reden „Heimat ist die schönste Utopie“. Der Begriff „Alpenrepublik“ stimme ihn trübsinnig, er fühle sich als Niederösterreicher und Europäer zugleich, dazwischen brauche er nichts. Die Nationalstaaten, ein historisch relativ junges Phänomen, seien erschöpft und böten nur den Dümmsten ein herrisches Selbstwertgefühl. „Heimat ist ein Menschenrecht. Nation nicht. Nationen haben sich bekriegt, Regionen haben sich verbündet“, plädiert Menasse für eine freie Assoziation der Regionen als sinnige Utopie in einem geeinten Europa.
Vielfalt als Chance: „Wenn schon Heimat, dann lieber Heimaten“:
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Gabriele Müller
Freie Journalistin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/17.
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