Erwäget jene … Vorteile, welche euch aus der Verkürzung der Arbeitszeit, insbesondere aber aus dem achtstündigen Arbeitstag erwachsen: 1. Bei achtstündiger Arbeitszeit wird der Körper mehr geschont und das Leben des Arbeiters verlängert… 4. Bei achtstündiger Arbeitszeit bleiben noch acht Stunden zur Ruhe, acht Stunden zur Belehrung, Aufklärung und zum Vergnügen. 5. Bei achtstündiger Arbeitszeit werden die Fach- und Bildungsvereine wie auch Versammlungen besser besucht … 7. Bei achtstündiger Arbeitszeit wird der Verdienst größer und man kann die Kinder in die Schule anstatt in die Fabrik schicken. 8. Bei achtstündiger Arbeitszeit werden die Arbeitermassen politisch reifer und selbständiger.
Ziel der internationalen Arbeiterkonferenz in Paris im Sommer 1889 war es, den ArbeitnehmerInnen genug Freiraum, Fitness und Bildung zu verschaffen, um für ihre Interessen eintreten und den Kampf um eine gerechtere Gesellschaft aufnehmen zu können.
In Österreich war die Kampagne für den Achtstundentag besonders eng mit der Forderung nach Demokratie verbunden. Denn hierzulande gab es anders als etwa in Frankreich, der Schweiz oder Deutschland bis 1907 nicht einmal für Männer ein demokratisches Wahlrecht. Die Vereins- und Versammlungsfreiheit war trotz ihrer Anerkennung im Staatsgrundgesetz stark eingeschränkt. Die ArbeiterInnen und (noch wenigen) Angestellten, die an den Mai-Demonstrationen teilnahmen, riskierten viel. Sie mussten mit Verhaftung und Verletzungen rechnen, denn vor allem in den ersten Jahren hielten sich Polizei und Militär nicht immer so zurück wie 1890 in Wien und Graz. Und sie mussten noch lange mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen, denn viele Unternehmen verweigerten einen Urlaubstag, somit verließen sie unerlaubt den Arbeitsplatz. Nur dort, wo die Gewerkschaften ab 1900 in Kollektivverträgen den freien 1. Mai durchsetzen konnten, wurden die Risiken geringer.
Als das Parlament der ersten demokratischen Republik im Dezember 1919 den achtstündigen Normalarbeitstag als Grundsatzregelung einführte, wurde das auch zusammen mit dem ebenfalls beschlossenen Arbeiterurlaub und der Erklärung des 1. Mai zum gesetzlichen Feiertag als Beitrag zur Förderung von Interessenvertretung und Mitbestimmung gesehen. ArbeitnehmervertreterInnen hatten jetzt ja viele öffentliche Aufgaben wahrzunehmen: vom Parlament über die neu geschaffenen Betriebsräte und Arbeiterkammern bis zu den Industriellen Bezirkskommissionen der Arbeitsämter, um nur die allerwichtigsten zu nennen. Dazu kam: Die Teilnahme an gewerkschaftlichen und politischen Aktionen war jetzt endlich ohne Angst möglich. Aber nur, wenn die Arbeit den Menschen genügend „Luft zum Atmen“ ließ, konnten sie dieses Recht auch in Anspruch nehmen.
Brigitte Pellar
Freie JournalistInnen
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/19.
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
brigitte.pellar@aon.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at