Historie: Zeit für Demokratie

(C) Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung (VGA)
Dieser Ausschnitt aus einer Mai-Festschrift von 1894 kommuniziert besonders gut die Doppelforderung nach Demokratie und menschlicher Arbeitszeit: Die Göttin der Freiheit mit der Jakobinermütze aus der Französischen Revolution zeigt dem Arbeiter, dass er für den Achtstundentag kämpfen muss, um seine Fesseln zu sprengen.
Die Kampagne für Arbeitszeitverkürzung hatte von Anfang an auch zum Ziel, dass ArbeitnehmerInnen demokratische Rechte in Anspruch nehmen können.
Als die internationale Arbeiterkonferenz in Paris im Sommer 1889 die weltweite Kampagne für den Achtstundentag ankickte, waren sich die Delegierten in einer Sache völlig einig. Es gibt zwei gleichwertige Ziele: Das eine Ziel war ein gutes Leben auch für die „Arbeiterschaft“, die große Mehrheit der Menschen, die auf Lohn und Gehalt angewiesen sind. Das andere Ziel war es, den ArbeitnehmerInnen genug Freiraum, Fitness und Bildung zu verschaffen, um für ihre Interessen eintreten und den Kampf um eine gerechtere Gesellschaft aufnehmen zu können. Das wurde im Aufruf der Pariser Konferenz zum Kampagnenstart deutlich betont:

Erwäget jene … Vorteile, welche euch aus der Verkürzung der Arbeitszeit, insbesondere aber aus dem achtstündigen Arbeitstag erwachsen: 1. Bei achtstündiger Arbeitszeit wird der Körper mehr geschont und das Leben des Arbeiters verlängert… 4. Bei achtstündiger Arbeitszeit bleiben noch acht Stunden zur Ruhe, acht Stunden zur Belehrung, Aufklärung und zum Vergnügen. 5. Bei achtstündiger Arbeitszeit werden die Fach- und Bildungsvereine wie auch Versammlungen besser besucht … 7. Bei achtstündiger Arbeitszeit wird der Verdienst größer und man kann die Kinder in die Schule anstatt in die Fabrik schicken. 8. Bei achtstündiger Arbeitszeit werden die Arbeitermassen politisch reifer und selbständiger.

Ziel der internationalen Arbeiterkonferenz in Paris im Sommer 1889 war es, den ArbeitnehmerInnen genug Freiraum, Fitness und Bildung zu verschaffen, um für ihre Interessen eintreten und den Kampf um eine gerechtere Gesellschaft aufnehmen zu können.

In Österreich war die Kampagne für den Achtstundentag besonders eng mit der Forderung nach Demokratie verbunden. Denn hierzulande gab es anders als etwa in Frankreich, der Schweiz oder Deutschland bis 1907 nicht einmal für Männer ein demokratisches Wahlrecht. Die Vereins- und Versammlungsfreiheit war trotz ihrer Anerkennung im Staatsgrundgesetz stark eingeschränkt. Die ArbeiterInnen und (noch wenigen) Angestellten, die an den Mai-Demonstrationen teilnahmen, riskierten viel. Sie mussten mit Verhaftung und Verletzungen rechnen, denn vor allem in den ersten Jahren hielten sich Polizei und Militär nicht immer so zurück wie 1890 in Wien und Graz. Und sie mussten noch lange mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen, denn viele Unternehmen verweigerten einen Urlaubstag, somit verließen sie unerlaubt den Arbeitsplatz. Nur dort, wo die Gewerkschaften ab 1900 in Kollektivverträgen den freien 1. Mai durchsetzen konnten, wurden die Risiken geringer.

Als das Parlament der ersten demokratischen Republik im Dezember 1919 den achtstündigen Normalarbeitstag als Grundsatzregelung einführte, wurde das auch zusammen mit dem ebenfalls beschlossenen Arbeiterurlaub und der Erklärung des 1. Mai zum gesetzlichen Feiertag als Beitrag zur Förderung von Interessenvertretung und Mitbestimmung gesehen. ArbeitnehmervertreterInnen hatten jetzt ja viele öffentliche Aufgaben wahrzunehmen: vom Parlament über die neu geschaffenen Betriebsräte und Arbeiterkammern bis zu den Industriellen Bezirkskommissionen der Arbeitsämter, um nur die allerwichtigsten zu nennen. Dazu kam: Die Teilnahme an gewerkschaftlichen und politischen Aktionen war jetzt endlich ohne Angst möglich. Aber nur, wenn die Arbeit den Menschen genügend „Luft zum Atmen“ ließ, konnten sie dieses Recht auch in Anspruch nehmen.

Von
Brigitte Pellar
Freie JournalistInnen

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/19.

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Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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