Historie: Humanisierung der Arbeit?

Porträtfoto von Paul Blau
Paul Blau: "Der Beruf soll Wesentliches geben, der Mensch als Mensch, nicht als Automat tätig sein." | © Robert Jäger/APA-Archiv/picturedesk.com
Unter diesem Titel kritisierte Paul Blau 1973 die diskutierten Humanisierungsrezepte für die Arbeitswelt als reine Symptombekämpfung. Die tiefere Ursache für den Druck auf die Arbeitnehmer:innen sei der Verlust von Arbeitsfreude und Selbstbestimmung.
Der Journalist und Wirtschaftsexperte Paul Blau, einer der Ersten in Österreich, die die Umweltfrage ernst nahmen, wobei er sie aber immer mit der sozialen Frage verband, war in den 1960er-Jahren Leiter des ÖGB-Referats für Arbeitswissenschaften und Chefredakteur von Arbeit&Wirtschaft. Als er den Beitrag zur Humanisierung der Arbeit schrieb, aus dem hier Auszüge zu lesen sind, leitete er das Institut für Gesellschaftspolitik und das Referat für Umweltpolitik der AK Wien. Die Arbeitsbedingungen in Europa haben sich seit damals verändert, aber der Kern des Problems, das die Menschen in der Arbeitswelt unter Druck setzt, besteht unverändert; Karl Marx nannte es „Entfremdung“, Paul Blau lieferte die Übersetzung: „Die wesentlichen menschlichen Fähigkeiten liegen … im modernen Betrieb brach.“

Ein Poster aus den 1980ern zur Robotisierung von Arbeit. Symbolbild für die Kritik an der Humanisierung von Arbeit.
Beginn der digitalen Revolution in der Produktion Anfang der 1980er-Jahre – die Produktivität steigt, der Druck auf die Arbeitnehmer:innen auch. | © ÖGB-Archiv

„Der Preis, den die Massen historisch für den heutigen Wohlstand bezahlten, war hoch“, schrieb Blau und schilderte dann, wie dieser hohe Preis ausgesehen hatte: „Er bestand in der grenzenlosen Ausbeutung in der Ära [des] Früh- und Hochkapitalismus, im Jammer der Massenarbeitslosigkeit der zyklischen Krisen und im Schrecken der Kriege, deren ökonomische Ursachen längst klar erkannt wurden. Wir zahlen aber auch heute noch: mit der Hetzjagd in den Großstädten und Industrieballungen, die für die technische Zivilisation unserer Tage so typisch sind, und – nicht zuletzt – mit dem Verlust der Arbeitsfreude in der Massenproduktion

Der Beruf soll Wesentliches geben,
der Mensch als Mensch,
nicht als Automat tätig sein. 

Paul Blau, Journalist und Wirtschaftsexperte

Die Konzentration im Großbetrieb – ob es sich um Fabriken, Büros, Kaufhäuser oder Verwaltungszentren handelt – führt notwendigerweise zur Entfremdung. … Der Arbeiter ,bedient‘ die Maschine nach ,Vorschrift‘. … Ein neues Untertanenverhältnis wurde errichtet, das untrennbar mit der Produktionsweise verbunden ist … Leistungslohn und Gewöhnung sind keine Auswege. …

Humanisierung der Arbeit: Spiel statt Strafe

Zur Lösung des Problems scheinen sich zunächst zwei Gruppen von Maßnahmen anzubieten: Der Schweizer Léon Walter empfahl, der Arbeit den Strafcharakter zu nehmen und ihr Spielcharakter zu verleihen: Schönheit und Zweckmäßigkeit des Arbeitsplatzes und der Umgebung … sollen den Aufenthalt im Betrieb zum Vergnügen machen … Dieses Rezept wird vielfach angewandt, vor allem in Zeiten des Arbeitskräftemangels. Seine gute Wirkung ist bestimmt nicht zu unterschätzen.

Neue Herausforderungen im Kampf für eine menschengerechte Arbeitswelt
in den 1990er-Jahren. | © ÖGB Archiv

Die zweite Gruppe von Maßnahmen bemüht sich um eine Sinngebung: Der Arbeiter soll seine Rolle und Funktion in der Produktion verstehen, das Fertigprodukt kennen, eine Vorstellung von der Bedeutung haben, die es für den Konsumenten, ja für die Gesamtwirtschaft besitzt. Vor allem aber soll sein Rat gesucht werden; zunächst soweit seine Arbeitserfahrung in Betracht kommt, aber auch im gesamtbetrieblichen Bereich einschließlich der zwischenmenschlichen Beziehungen … [D]och auch diese Methode geht, ebenso wie die anderen, am Kern des Problems vorbei: Die wesentlichen menschlichen Fähigkeiten liegen in der unendlichen Mehrzahl manueller und administrativer Tätigkeiten im modernen Betrieb brach, und der einzelne Arbeiter und Angestellte bleibt dem fremden Befehl unterworfen. …

Gewinn an Lebenszeit

Die Arbeitszeitverkürzung gewinnt von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet einen neuen Aspekt: Wenn vielen gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten zur Zeit der Strafcharakter – die Monotonie, das Unterworfensein – nicht genommen werden kann, ist die Verkürzung der ihnen geopferten Stunden zugleich Gewinn an Lebenszeit und Energie …

Trotzdem sollen wir die Forderung aufrechterhalten: Der Beruf soll Wesentliches geben, der Mensch als Mensch, nicht als Automat tätig sein. Die wichtigste Leistung einer neuen betrieblichen Personalpolitik müsste darin bestehen, den Menschen menschenwürdige Aufgaben zu stellen; die Berufsbildung wäre in diesem Sinn zu revolutionieren.

In einer echten Demokratisierung des Wirtschaftslebens müsste der Weg von der erzwungenen Unterordnung zur verständnisvollen Einordnung führen. Welche Motivation – und welche Leistungen – könnten aus der Nutzung der Begabung zum gesellschaftlichen Fortschritt gewonnen werden! Ist in der Geschichte die Unfreiheit der Arbeit stets Merkmal der Unfreiheit in der Gesellschaft gewesen …, müsste die erstrebte gesellschaftliche Freiheit in Hinkunft mehr und mehr ergänzt werden durch die Wiedereinführung des schöpferischen Elements in die Arbeit … [Anders] ist eine wahre Humanisierung der Arbeit nicht denkbar.“

Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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