Historie: Das mit der Suppe und dem Löffel

Foto (C) Deutschlandradio/Johannes Klums
Graffiti auf dem Gelände der Universidad Nacional in der ­kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Auf diesem Mural in der Universität von ­Bogotá gießt Karl Marx das zarte Pflänzchen der gerechten Gesellschaft, die 200 Jahre nach seiner Geburt noch immer ein Fernziel geblieben ist. Gerade deshalb hat seine ­Analyse der Funktionsweise des Kapitalismus trotz zeitgebundener Details ihre ­Aktualität nicht verloren.
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In der Auseinandersetzung mit einem Anhänger des "ehernen Lohngesetzes" erklärte Karl Marx, dass der Lohnkampf Sinn macht.
1864 initiierte ein im Londoner Exil lebender Gelehrter und Revolutionär namens Karl Marx die Gründung einer „Internationalen Arbeiterassoziation“ (IAA). Diese erste internationale Plattform der sich gerade erst formierenden politischen und gewerkschaftlichen ArbeiterInnenbewegung fasste einen bunten Haufen zusammen, wie Friedrich Engels, Freund und Kampfgefährte von Karl Marx, später schilderte:

Die Internationale musste ein Programm haben, breit genug, um für die englischen Trade-Unions, für die französischen, belgischen, italienischen und spanischen Anhänger Proudhons und für die Lassalleaner in Deutschland annehmbar zu sein. Marx, der dieses Programm zur Zufriedenheit aller Parteien abfasste, hatte volles Vertrauen zur intellektuellen Entwicklung der Arbeiterklasse, einer Entwicklung, wie sie aus der vereinigten Aktion und der gemeinschaftlichen Diskussion notwendig hervorgehen musste.

Einer der Streitpunkte in den Diskussionen des IAA-Generalrats war die Rolle von gewerkschaftlichen Lohnkämpfen. Einige hielten Gewerkschaften für überflüssig, sie glaubten an eine Art „ehernes Lohngesetz“, das besagte, im Kapitalismus könnten die ArbeiterInnen über einen Lebensstandard bestenfalls knapp an der Armutsgrenze nicht hinauskommen. Vor allem der deutsche Arbeiterführer Ferdinand Lassalle und der Engländer John Weston vertraten diese These. Auch Marx glaubte nicht an echte Gerechtigkeit innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft, aber er hielt es für richtig und notwendig, die Verteilungsfrage schon vor der erhofften großen Revolution zu stellen:

Bürger Weston illustrierte seine Theorie, indem er euch sagte, dass wenn eine Schüssel eine bestimmte Menge Suppe enthält, die von einer bestimmten Anzahl von Personen gegessen werden soll, eine Steigerung in der Breite der Löffel keine Steigerung der Menge der Suppe hervorbringen würde. Er muss mir gestatten, diese Illustration ziemlich ausgelöffelt zu finden. … Bürger Weston … hat vergessen, dass die Schüssel, aus der die Arbeiter essen, mit dem ganzen Produkt der nationalen Arbeit gefüllt ist, und dass es weder die Kleinheit der Schüssel, noch die Knappheit ihres Inhalts ist, was sie daran hindert, mehr herauszuholen, sondern nur die Kleinheit ihrer Löffel.

Karl Marx wurde am 5. Mai 1818 als Sohn einer wohlhabenden Familie in Trier geboren. Wie der Unternehmer Engels und eine Generation später Victor Adler in Österreich zählte er zu den wenigen gebildeten Bürgern, die Partei für die sich formierende ArbeiterInnenbewegung ergriffen. Was die Gewerkschaften betrifft, so maß er diesen vor allem auch eine politische Bedeutung zu. Isidor Ingwer, der vom NS-Regime ermordete Anwalt der Freien Gewerkschaften, stellte 1908 seiner Schrift über das „Koalitionsrecht der Arbeiter“ folgende Worte von Marx voran:

Wenn der erste Zweck des Widerstandes nur die Aufrechterhaltung der Löhne war, so formieren sich die anfangs isolierten Koalitionen in dem Maße, als die Kapitalisten sich behufs der Repression vereinigen, zu Gruppen, und gegenüber dem stets vereinigten Kapital wird die Aufrechterhaltung der Assoziationen notwendiger für sie, als die des Lohnes.

Ausgewählt und kommentiert von
Brigitte Pelar
Historikerin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/18.

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