Investor:innen: Heuschrecken im Wohnzimmer

Ein Mann im Anzug steht halb durchlässig vor dem Panorama einer Stadt. Symbolbild für Immobilieninvestor:innen.
Österreich ist für Investor:innen besonders interessant. | © Adobestock/SasinParaksa
Immobilieninvestor:innen flüchten ins Betongold, auch und vor allem in Österreich. Das Land gilt als sicherer Hafen mit beinahe garantierter Rendite – sogar ohne lästige Mieter:innen.
Es geht alles noch viel schlimmer. Die Immobilienmärkte in Deutschland oder Großbritannien können Österreicher:innen als mahnendes Beispiel dafür dienen, was passiert, wenn der Immobilienmarkt in die Hände von Investor:innen fällt. In Großbritannien geht aktuell die Geburtenrate zurück, weil sich Familien mit Kindern keine Immobilien mehr leisten können, um die eigene Zukunft zu sichern. Der Anteil an Mietwohnungen nimmt zu, gleichzeitig sinkt die Quote der Sozialwohnungen. Das wies Brian Buh mit einer repräsentativen Untersuchung nach. Er ist Forscher am Wittgenstein Centre des Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaft (ÖAW). „Wenn mit Wohnraum spekuliert wird, wird Wohneigentum für Familien immer weniger leistbar. Da ein Zusammenhang zwischen Wohneigentum und Familienbildung besteht, sinkt die Wahrscheinlichkeit, ein Kind zu haben, weil es keinen langfristig sicheren geeigneten Wohnraum gibt“, fasst er sein Ergebnis zusammen.

Auch die deutsche Regierung überlässt den Wohnungsmarkt zunehmend Investor:innen. Das führt dazu, dass die durchschnittlichen Quadratmeterpreise für Wohnungen teilweise doppelt so hoch sind wie in Österreich. Die Plattform Immowelt gibt die durchschnittlichen Preise für München (8.847 Euro pro Quadratmeter), Hamburg (6.424 Euro) und Berlin (5.117 Euro) an. In Österreich sind die Werte der Plattform immoverkauf24 ein vergleichbarer Indikator. Hier sind die durchschnittlichen Quadratmeterpreise für Wohnungen in Innsbruck (5.760 Euro), Graz (3.208 Euro) und Wien (4.906 Euro) gelistet. Doch Österreich holt auf.

Flucht ins Betongold

Denn bislang war das Land in öffentlicher Hand. Doch zwei Dinge haben Österreich für Investor:innen interessant gemacht: zum einen die vermeintlichen Wachstumsquoten – in einem Land mit vergleichsweise guten finanziellen Möglichkeiten und hoher Nachfrage – und zum anderen das billige Geld, mit dem die Zentralbanken nach der Finanzkrise im Jahr 2008 die Märkte fluteten. Die Anleger:innen flüchteten damit ins Betongold. Das lässt sich an den Finanzströmen sehr konkret ablesen.

Wenn mit Wohnraum spekuliert wird, wird Wohneigentum
für Familien immer weniger leistbar. Da ein Zusammenhang
zwischen Wohneigentum und Familienbildung besteht,
sinkt die Wahrscheinlichkeit, ein Kind zu haben. 

Brian Buh, ÖAW

EHL Immobilien hat das Transaktionsvolumen von Immobilieninvestments in Österreich aufgeschlüsselt. Im Jahr 2009 waren es gerade einmal 1,3 Milliarden Euro. Und selbst das ist noch aufgerundet. 2019 – also vor Corona – waren es 6,0 Milliarden Euro, also mehr als das Viereinhalbfache. Es folgte ein Pandemiedämpfer: Im Jahr 2021 lag das Volumen bei 4,6 Milliarden Euro. Daten für das Jahr 2022 gibt es noch nicht, doch die Tendenz ist steigend. „Außerdem gehen die meisten Anleger:innen davon aus, dass sich von der Coronakrise betroffene Assetklassen spätestens in den Jahren 2022 und 2023 vollständig erholt haben werden“, heißt es bei EHL.

Wien bedroht von Investor:innen

Das ist keine gute Nachricht für die Stadt Wien, denn in der Untersuchung heißt es weiter: „Die drei Immobilien-Nutzungsarten Wohnen, Gesundheit und Logistik stehen besonders in ihrem Investmentfokus; beim bevorzugten Standort liegt Wien klar vorne.“ Das ist nicht nur die Meinung der Expert:innen der Immobilienagentur, sondern das legt auch die Studie „Wohnbauboom in Wien 2018 bis 2021“ nahe. Antonia Schneider, Leonhard Plank und Justin Kadi vom Forschungsbereich Finanzwissenschaften und Infrastrukturpolitik am Institut für Raumplanung der TU Wien haben sich im Auftrag der Arbeiterkammer darin mit dem Immobilienmarkt in der Hauptstadt beschäftigt.

„Der Plan war, Kapital in einen sicheren Hafen zu investieren, gerade in Wien, wo man weiß, dass Immobilien im Wert steigen werden“, so Leonard Plank. | © Markus Zahradnik

Sie kommen zu dem Schluss, dass mittlerweile 61 Prozent der Wohneinheiten von gewerblichen, frei finanzierten Bauträgern errichtet wurden. Große Bauträger gewinnen dabei zunehmend an Bedeutung. Gerade einmal zehn Bauträger (2 Prozent) sind für mehr als ein Viertel aller Projekte verantwortlich. Das Ergebnis ist bekannt und führt in Zeiten hoher Inflation zu einer Mietpreisdebatte. Geförderte Wohneinheiten (5 bis 6 Euro pro Quadratmeter) kosten nur halb so viel wie frei finanzierte Wohnungen (11,70 bis 12,90 Euro pro Quadratmeter) – falls letztere überhaupt vermietet werden. Fast jede fünfte Wohnung bleibt leer, weil Eigentümer:innen mit der Wertsteigerung mehr Rendite erzielen als mit der Vermietung. „Der Plan war, Kapital in einen sicheren Hafen zu investieren, gerade in Wien, wo man weiß, dass Immobilien im Wert steigen werden“, so Plank.

Das hat verheerende Auswirkungen. „Mit Blick auf Wien würde ich sagen, dass das Wohnungssystem für immer mehr Gruppen problematisch wird und nicht mehr so funktioniert, wie es soll. Das hat mit steigenden Preisen und den Interessen von internationalen und nationalen Investor:innen zu tun“, fasst Plank die Entwicklung im Interview mit Arbeit&Wirtschaft zusammen.

Steuerpflicht für Leerstand

Doch es gibt Lösungen, damit Österreichs Immobilienmarkt nicht noch deutscher bzw. englischer wird. So könnte Wien – wie auch jede andere Stadt oder Gemeinde – den kommunalen Wohnungsbau unterstützen, beispielsweise indem man für Grundstücke die Widmungskategorie „Gebiete für geförderten Wohnbau“ großflächiger einsetzt. Auch könnten bei der Veräußerung von Grundstücken und Immobilien durch die Stadt und staatsnahe Betriebe (Post oder ÖBB) Mindeststandards und Höchstpreise vereinbart werden.

Gegen den Leerstand können Städte mit entsprechenden Abgaben vorgehen oder den Besitz von Immobilien grundsätzlich steuerpflichtig machen. Die Schweiz dient dabei als Vorbild, wie Plank in der Studie ausführt. Dort gilt auch eine Versteuerung von Zweitwohnungen und Ferienhäuser, weswegen im Nachbarland der Leerstand historisch niedrig ist.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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