Schuften in der Hitze, 80 Stunden pro Woche, Bezahlung unter dem Mindestlohn: Die Arbeitsbedingungen von Erntearbeiter:innen in Österreich sind hart – und ausbeuterisch. Rund 18.000 Menschen, mehrheitlich aus Osteuropa, arbeiten jedes Jahr als Saisonkräfte in der Landwirtschaft. Sie pflücken das Obst und Gemüse, das in den österreichischen Supermarktregalen landet. Und das oftmals zu einem geringeren Lohn als der Kollektivvertrag vorschreibt. Deshalb gründeten Aktivist:innen und die Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) 2014 die Kampagne „sezonieri“, die sich für die Rechte der Erntearbeiter:innen einsetzt.
Sónia Melo: Es bewegt sich etwas, aber aus unserer Sicht viel zu langsam. Die Arbeitsbedingungen sind in den Kollektivverträgen eigentlich sehr gut geregelt. Die Mindestlöhne bewegen sich heuer beispielsweise zwischen 8 Euro und 8,50 Euro pro Stunde. Die Kollektivverträge schreiben auch Überstundenzuschläge, Sonderzuschläge, Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld vor. Aber das große Problem ist, dass das alles in der Regel nicht eingehalten wird. In Wien haben wir zuletzt von Stundenlöhnen zwischen 4,50 Euro und 5,50 Euro gehört, also von etwa der Hälfte dessen, was vorgeschrieben ist. Letztens erzählten uns Arbeiter:innen auch von einem Betrieb, der sie für das Wasser, das sie tranken, zahlen ließ. Das ist ein unmenschlicher Umgang. Wir beobachten aber auch positive Entwicklungen: vor allem in Tirol und im Burgenland, also den Regionen, wo wir seit vielen Jahren aktiv sind. Dort, wo Bauern und Bäuerinnen das Gefühl haben, dass ihnen jemand auf die Finger schaut, halten sie sich wenigstens an die Mindeststandards, denn sie wollen keine schlechte Publicity. Vor zehn Jahren bekamen die Erntearbeiter:innen in Tirol noch Stundenlöhne von 3 Euro. Jetzt gibt es dort sogar schon zweisprachige Arbeitsverträge. Und ich denke, ein Erfolg ist auch das gestiegene Bewusstsein in der Gesamtbevölkerung, dass die Ausbeutung nicht nur weit weg in Südspanien oder Süditalien stattfindet, sondern auch vor der eigenen Haustür. Letztes Jahr hat der Kurs als Experiment gestartet, nun geht er ganz regulär jeden Sonntag von Februar bis Oktober. Er findet in Simmering statt, steht aber allen Erntearbeiter:innen offen. Man kann mit jedem Deutschniveau kommen und muss auch nicht jede Woche teilnehmen. Nach den zwei Unterrichtseinheiten setzen wir uns mit den Menschen zusammen, gehen spazieren oder essen ein Kebap gemeinsam und plaudern über ihre Lage. Meist sind es alltägliche Fragen und Sorgen: Wie eröffne ich ein Bankkonto, wie spreche ich mit einer Behörde, wohin kann ich mich mit Wohnfragen wenden. Wir sprechen aber auch über ihre Rechte und wer die zuständigen Interessensvertretungen sind. Wir wollten dadurch ein niederschwelliges Angebot schaffen, denn die Arbeiter:innen können nicht zu den regulären Beratungszeiten der Arbeiterkammer wochentags kommen. Daher ist der Kurs auch am Sonntag. Sehr gut. Am Anfang sind meist um die zehn, zwölf Menschen gekommen. Jetzt im Hochsommer sind es etwas weniger. Ich bin dennoch jedes Mal erstaunt, dass sie an ihrem einzigen freien Tag in der Woche nach bis zu 80 Stunden anstrengender Arbeit am Feld zu uns kommen und lernen möchten. Es wird Allgemeinsprachliches gelernt, sodass man sich vorstellen und unterhalten kann: etwa wie viele Geschwister man hat oder was man gerne isst. Es wird aber auch konkret auf den Arbeitskontext eingegangen und die Teilnehmer:innen lernen Sätze wie „Ich brauche eine Pause“ oder „Ich brauche Wasser“. Wir achten auf eine Kombination aus Basics und Arbeitsvokabular, das auch die Kommunikation mit den Arbeitgeber:innen erleichtern soll. Die Arbeiter:innen kommen oft mit eigenen Anliegen in die Stunde. Einige kommen aber auch, weil sie den Kontakt zur heimischen Bevölkerung suchen. Sie freuen sich, weil sie – obwohl sie mitten in der Stadt arbeiten und leben – sehr isoliert sind. Sie arbeiten ja um die 80 Stunden pro Woche. Viele nutzen den Kurs daher als Möglichkeit, andere Menschen zu treffen und etwas anderes zu machen. Wir merken, dass das Bewusstsein steigt. Viele Arbeiter:innen wissen zuvor schon, dass sie unfair behandelt werden, aber das Ausmaß ist oft nicht klar und auch nicht, dass viele der Bedingungen, unter denen sie arbeiten, nicht rechtskonform sind. Ein paar Wochen nach dem Kurs ist zum Beispiel ein Arbeiter gekommen und hat uns um Hilfe gebeten, seine entgangenen Zahlungen einzufordern. Es ist uns gelungen, zu vermitteln, und die Sonderzahlungen zu bekommen. Wir machen Basisvermittlungsarbeit, was Institutionen so nicht leisten können, wenn sie Beratungen wochentags zwischen neun und vier Uhr anbieten. Fünf Personen haben wir jetzt an die Arbeiterkammer vermittelt und es werden Rechtsfälle gestartet. Erntearbeiter:innen arbeiten oft ungeschützt mit gefährlichen Düngemitteln, bücken sich hunderte Male täglich, das 14 Stunden am am Tag – oft in der prallen Sonne. Die Kampagne „Sezonieri“ setzt sich für faire Arbeitsbedingungen & ihre Rechte ein: https://t.co/TUcvZmJcD5 pic.twitter.com/JY8cddz1M3 — Gesunde Arbeit (@GesundeArbeitAT) August 5, 2024 Auch der Vertrauensaufbau ist wichtig, viele haben in ihren Herkunftsländern schlechte Erfahrungen mit Behörden oder Interessensvertretungen gemacht. Neulich haben ein paar der Teilnehmer:innen nach unserem Kurs gesagt: Wenn wir viele sind, dann können sie uns nicht kündigen, denn die Gurken müssen ja von jemandem geerntet werden. Es ist schön, wenn sich so ein Bewusstsein unter Arbeiter:innen aus verschiedenen Betrieben entwickelt.Arbeit&Wirtschaft: Die „sezonieri“-Kampagne startete vor zehn Jahren. Was hat sich seither getan?
Seit letztem Jahr bietet „sezonieri“ in Zusammenarbeit mit der Arbeiterkammer Wien auch einen Deutschkurs an, in dem die Teilnehmer:innen nicht nur die Sprache lernen, sondern auch über ihre Rechte informiert werden. Wie läuft dieser ab?
Welche Themen kommen da häufig auf?
Wie kommt der Kurs bisher an?
Was wird in den Stunden konkret gelernt?
Die Erntearbeiter:innen werden im Deutschkurs und bei den Aktivitäten danach auch über ihre Arbeitsrechte informiert. Was macht das mit den Menschen?