Angesichts der Krise konnte eine große Zahl an Frontheimkehrern nicht an ihre Vorkriegsarbeitsplätze zurück und die notwendige Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft kostete vielen (nicht allen) in der Kriegsindustrie beschäftigten Frauen den Job. Auf der anderen Seite verursachte die große Zahl an Gefallenen und Invaliden und der erst nach und nach heimkehrenden Kriegsgefangenen einen erheblichen Fachkräftemangel. Ziel des Gründungsparlaments der Republik war es, hier einen Ausgleich zu schaffen, – in der Hoffnung, dass die Grenzen bald wieder geöffnet würden und die Wirtschaft stabilisiert werden könne. Sie rief dazu auf, die Arbeit in Angriff zu nehmen und Solidarität zu üben.
Bildnachweis: Die Muskete, Humoristische Wochenschrift, 7. November 1918, S. 1 – ANNO/Österreichische Nationalbibliothek
Aus dem Aufruf der provisorischen Nationalversammlung vom 12. November 1918:
„Jetzt, da die Freiheit gesichert ist, ist es erste Pflicht, die staatsbürgerliche Ordnung und das wirtschaftliche Leben wiederherzustellen. … Die Vorsorge für das tägliche Brot, die Zufuhr von Kohle, die Bereitstellung der notdürftigsten Bekleidung, die Wiederaufnahme des Ackerbaues, die Aufnahme der Friedensarbeit in den Fabriken und Werkstätten ist unmöglich, wenn nicht sofort alle Bürger bereitwilligst und geordnet zur Tagesarbeit zurückkehren. … Wer über Vorräte verfügt, öffne sie den Bedürftigen! Der Erzeuger von Lebensmitteln führe sie denen zu, die hungern! Wer überschüssige Gewandung besitzt, helfe die frierenden Kinder bekleiden! … Jeder denke vor allem an die nächsten Wochen und Monate. Für später ist gesorgt: In wenigen Monaten wird der Weltverkehr wieder frei sein.“
Die Gründung der Republik mitten in der Krise gab Hoffnung. Erstmals wurden ArbeitnehmerInnen und damit die Mehrheit der Bevölkerung durch das Gesetz als gleichberechtigte StaatsbürgerInnen anerkannt und die Gewerkschaften voll in das Krisenmanagement einbezogen. Der zentrale Krisenstab, die „Paritätische Industriekommission“ bestand je zur Hälfte aus Gewerkschaftern und Vertretern der Unternehmerorganisationen, dazu kamen ExpertInnen aus den Staatsämtern (den Ministerien). Sie war damit Vorläuferin des sozialpartnerschaftlichen Problemlösungsmechanismus in der Zweiten Republik, – der Begriff „Sozialpartnerschaft“ war damals allerdings noch unbekannt. Die drei Gewerkschafter waren zuerst Ferdinand Hanusch, dann Franz Domes, Anton Hueber und Julius Grünwald.
Bildnachweis: ÖGB-Bildarchiv
Die Reichskommission der Freien Gewerkschaften vor dem Ersten Weltkrieg. An der Längsseite des Tisches von links nach rechts: 1. links sitzend: Anton Hueber, (General)Sekretär der Kommission; 2. von links sitzend: Julius Grünwald, Vorsitzender der Organisation der BuchbinderInnen und Präsidiumsmitglied der Kommission; 3. von links sitzend: Ferdinand Hanusch, Zentralsekretär der Union der Textilarbeiter, während des Ersten Weltkriegs Vorsitzender der Kommission, ab Ende Oktober 1918 Staatssekretär für Soziales; 3. von rechts stehend: Franz Domes, ab 1918 Vorsitzender der MetallarbeiterInnen und der Kommission, ab 1921 Arbeiterkammer-Präsident in Wien.
Erste Aufgabe der Industriekommission war es, die Arbeitsmarktprobleme in den Griff zu bekommen und trotz Betriebsstillegungen und galoppierender Inflation Existenzsicherung für möglichst viele Menschen zu erreichen. Die erste staatliche Arbeitslosenunterstützung wurde hier vorverhandelt, noch keine Versicherung mit Rechtsanspruch, aber ein erstes Auffangnetz in der Krise. Die „sozialpartnerschaftlich“ besetzten „Industriellen Bezirkskommissionen“ wurden mit ihren „Arbeitslosenämtern“ zu Anlaufstellen für Arbeitslose. Dort, wo Betriebe wegen Energiemangels Kurzarbeit einführten, erhielten die ArbeiterInnen weiter den vollen Lohn, finanziert aus Steuermitteln, aber auch aus einem Beitrag der Unternehmen. Im März 1919 verpflichtete eine Verordnung Betriebe mit mehr als 15 Beschäftigten, ihren Beschäftigtenstand durch das Einstellen von Arbeitslosen um mindestens 20 Prozent zu erhöhen und diese Beschäftigtenzahl dann auch zu halten. Die Reduktion bedurfte der Zustimmung der jeweiligen „Industriellen Bezirkskommission“.
Das Motto ‚Kurzarbeit statt Zusperren‘ erwies sich als so erfolgreich, dass die Regelung auch noch in der ersten Phase der ‚Inflationskonjunktur“ beibehalten wurde.
Das Motto „Kurzarbeit statt Zusperren“ erwies sich als so erfolgreich, dass die Regelung auch noch in der ersten Phase der „Inflationskonjunktur“ beibehalten wurde. Die provisorische Arbeitslosenunterstützung aus Steuermitteln blieb ebenfalls viel länger als geplant in Kraft, weil die zähen Verhandlungen im Parlament und zwischen den Arbeitsmarktparteien erst im März 1920 zu einem positiven Ergebnis kamen (Link zu Blog). Die Pflicht zur Einstellung von Arbeitslosen hatte, wenn auch entschärft die längste Geltungsdauer, sie blieb bis 1928 in Kraft.
Ein Beitrag von
Brigitte Pellar
Historikerin