Silvia Hruska-Frank ist Arbeitsrechtlerin. Als stellvertretende Leiterin der Abteilung Sozialpolitik zeichnet sie für die Arbeitsrechtspolitik der AK Wien verantwortlich.
Frank Ey ist Experte der EU-Abteilung und dabei unter anderem für das Thema Gold Plating zuständig. Ey war zudem unter anderem mehr als neun Jahre für die AK in Brüssel tätig.
Gold Plating wird von vielen Menschen als etwas Abstraktes begriffen. Inwiefern ist aber jede/r betroffen, wenn Standards in Österreich an die Mindestvorgaben der EU, die teils erheblich niedriger sind, angepasst werden?
FRANK EY: Beim Thema Gold Plating geht es eigentlich um Lebensqualitätsstandards, die in nationalen Gesetzen verankert sind. Diese sind in der Regel erheblich fortschrittlicher und besser als die Minimumstandards, die im EU-Recht festgelegt sind. Der Begriff Gold Plating ist von der Wirtschaftslobby erfunden worden, um wichtige Standards aus unseren Lebensbereichen wegzufegen. Die Bundesregierung hat die Sozialpartner und viele Wirtschaftsvertreter aufgerufen, Beispiele für dieses Übererfüllen von Standards zu bringen. Da sind knapp 500 Vorschläge eingetrudelt, rund drei Viertel davon von der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung. Bei diesen Beispielen sieht man, dass viele substanzielle Schutzstandards für Beschäftigte, für KonsumentInnen, aber auch aus dem Umweltbereich angesprochen werden, die aus Sicht der Wirtschaft gestrichen werden könnten.
Beim Thema Gold Plating geht es eigentlich um Lebensqualitätsstandards.
Es liegt einerseits die angesprochene Liste vor, andererseits findet sich der Begriff Gold Plating auch mehrmals im Regierungsprogramm der amtierenden ÖVP-FPÖ-Koalition. Was hat die Regierung nun schon konkret umgesetzt beziehungsweise in Angriff genommen?
SILVIA HRUSKA-FRANK: Sehr, sehr konkret die Arbeitszeitgesetznovelle. Wenn man das Regierungsprogramm liest, wird das Arbeitszeitrecht implizit als Gold Plating dargestellt. Die Arbeitszeitnovelle, die seit 1. September gilt, wo wir sagen, das kann ja nicht einmal nach der Definition Gold Plating sein, weil Normen, die es schon lange vor dem EU-Beitritt gegeben hat, wie unsere Höchstarbeitszeit, da eliminiert werden, indem man sagt, Gold Plating ist alles, was nicht das Mindestniveau ist. Man definiert eine Mindestnorm zugleich auch als das Maximum, als den Standard. Und alles, was man besser hat in den wirtschaftlich besser entwickelten und prosperierenden Ländern, muss man wegräumen, weil das angeblich wen behindert.
Das größte Regierungsprojekt, das Gold Plating abschaffte, war also bisher die Arbeitszeitflexibilisierung. Was wurde sonst bereits umgesetzt oder ist in Planung?
FRANK EY: Die Bundesregierung hat Ende vergangenen Jahres eine Sammelnovelle auf den Tisch gelegt. Darin enthalten sind 40 Vorschläge. Die Interessenvertretungen hatten bis Ende Dezember Zeit, zu dem Entwurf Stellungnahmen abzugeben. Jetzt sieht sich das zuständige Justizministerium alle Vorschläge an und im Frühjahr wird dann darüber diskutiert und entschieden werden. Die Regierung hat aber gleich angekündigt, dass sie sich 160 weitere der eingebrachten Vorschläge anschauen und dann weitere Pakete vorlegen wird – beginnend möglicherweise bereits im Frühjahr.
Welche Verschlechterungen würde das 40-Punkte-Paket bringen, das nun bereits in Form eines Entwurfs vorliegt?
FRANK EY: Aus Sicht der Arbeiterkammer gibt es bereits bei den ersten 40 Vorschlägen einige konkrete Kritikpunkte, zum Beispiel im Unternehmensgesetzbuch. Dort gibt es den sogenannten Wesentlichkeitsgrundsatz. Es wird hier eine Bestimmung gestrichen (Paragraf 196a, Absatz 2 UGB), wo gesagt wird, ihr müsst da nicht mehr bis ins Detail hineingehen. Durch die Streichung dieses Paragrafen gibt es keine Richtschnur, die festhält, was verbucht werden muss. Das heißt, es ist möglich, dass essenzielle Positionen im Jahresabschluss keinen Niederschlag mehr finden. So wird es schwierig, Bilanzen zu vergleichen. Und das ist dann auch in weiterer Folge für die Kollektivvertragsverhandlungen ein Problem, weil ich möglicherweise dann nicht mehr weiß, wie es dem Unternehmen in Wirklichkeit geht.
Was findet sich noch im aktuellen Anti-Gold-Plating-Entwurf der Regierung?
FRANK EY: Ein anderer Vorschlag aus dem Unternehmensgesetzbuch betrifft die Berechnung von Rückstellungen. Davon sind auch Abfertigungen und Jubiläumsgelder betroffen. Die bisherige versicherungsmathematische Berechnungsmethode soll auf die weniger genaue finanzmathematische Berechnung umgestellt werden. Damit besteht jedoch die Gefahr, dass für die Ansprüche, die die Beschäftigten haben, nicht mehr ordnungsgemäß vorgesorgt wird.
SILVIA HRUSKA-FRANK: Man macht mehr Gewinne und es werden weniger Rücklagen gebildet. Wenn man also zahlen soll und diese Rücklagen nicht gebildet hat, kann es sein, dass ein Unternehmen versucht, da anders herauszukommen, indem man zum Beispiel den Anspruch wegverhandelt, indem man ArbeitnehmerInnen unter Druck setzt.
FRANK EY: Die Regierungsvorlage sieht aber auch Verschlechterungen im Verbraucherschutz vor. Es gibt zum Beispiel Bestimmungen für Kleinanleger. Bisher gibt es die Regelung, wenn es beispielsweise Geldstrafen gibt für Unternehmen oder Aufsichtsmaßnahmen von der Finanzmarktaufsicht, dann muss die Finanzmarktaufsicht darüber auch gleich die Kleinanleger informieren. Diese Informationspflicht soll nun fallen und durch eine Kann-Bestimmung geändert werden. Kleinanleger müssen dann nicht mehr in jedem Fall informiert werden. Das ist natürlich dann für die kleinen Anleger ein Riesennachteil gegenüber den institutionellen Anlegern, die viel besser informiert sind. Da können dann die institutionellen Anleger schon längst Aktien verkauft haben und die Kleinanleger wissen noch gar nichts von dem Problem.
Ein weiterer Punkt ist das Wechselstubengeschäft. Man möchte Valuten kaufen oder verkaufen und da gibt es auch immer Gebühren und Entgelte. Und hier ist der Vorschlag, dass man diese Preisauszeichnungspflicht abschafft. Dann soll es keinen Aushang mehr geben, man soll sich das stattdessen von der Homepage abrufen. Rund 15 Prozent der österreichischen Haushalte haben jedoch nach wie vor keinen Internetzugang. Auch für Touristen dürfte es mit dem Internetzugang nicht immer so einfach sein.
SILVIA HRUSKA-FRANK: Es ist nichts anderes, als dass man eine Schutzvorschrift einfach abschafft. Sinn der Auszeichnung war es, KonsumentInnen zu schützen und deshalb sollen sie möglichst transparent sehen, was die Kurse sind, was die Gebühren sind. Wenn ich das irgendwo verräume, wo nur der suchen kann, der weiß wo, ist damit diese Schutzvorschrift beseitigt.
Es ist nichts anderes, als dass man eine Schutzvorschrift einfach abschafft.
Bisher entstanden solche Regelungen im Zusammenwirken mit den Sozialpartnern. Das passiert jetzt einfach nicht mehr, die Sozialpartner werden von der Regierung – siehe Arbeitszeitflexibilisierung – außen vor gelassen. Andererseits haben sich ÖGB und AK bewusst nicht an dem Aufruf beteiligt, zu dieser Liste an Möglichkeiten, Gold Plating herunterzuschrauben, beizutragen.
SILVIA HRUSKA-FRANK: Aus unserer Sicht ist die ganze Idee völlig falsch und wir wollen uns daher gar nicht darauf einlassen. Wir haben keine Vorschläge, wo man jemandem etwas herunterräumt. Und wir haben auch nicht dieses Verständnis der Europäischen Union. Wir können uns noch sehr gut erinnern an die Diskussion vor dem EU-Beitritt, dass man gesagt hat, es geht nicht darum, aus sozialen Mindeststandards, die dazu dienen, dass man schlechtere Länder langsam heranführt – das sind auch die, denen es wirtschaftlich schlechter geht –, eine soziale Abwärtsspirale zu machen, indem man unsere Standards auf Mindeststandards herunterschraubt. Es ist die absolut richtige Entscheidung zu sagen, wir schauen uns diesen Prozess an und kritisieren, worum es dabei eigentlich unter dem Schlagwort Gold Plating geht.
Welcher Begriff wäre denn treffender als Gold Plating?
SILVIA HRUSKA-FRANK: Im Grunde ist es ein Abbau von Schutzmaßnahmen und von Sozialstandards. Ein Wort, mit dem man treffend beschreiben könnte, was es eigentlich ist, wäre sinnvoll. Mir fehlt es noch.
Im Grunde ist es ein Abbau von Schutzmaßnahmen und von Sozialstandards.
FRANK EY: Es geht um einen Abbau von Lebensqualität und von Lebensstandards.
Wir sind doch froh, dass wir im VerbraucherInnenbereich und im Beschäftigtenbereich so gute Standards haben. Das wäre ja auch verrückt, wenn ich zum Beispiel bei einer Olympiade antrete mit dem Ziel, nur Blech statt Gold zu gewinnen. Das wäre widersinnig. Bei dem Vorhaben Gold Plating geht es aber um die schlechtesten Standards.
Wo würde sich denn die Arbeiterkammer im Gegenteil mehr Schutzstandards wünschen? Es gab da zuletzt Diskussionen um vermehrte Krebserkrankungen durch Reinigungsmittel.
FRANK EY: Das ist ein sehr gutes Beispiel. Es gibt die sogenannte Karzinogenrichtlinie. Die wollte die Europäische Kommission ursprünglich nicht veröffentlichen, genau unter diesem Aspekt, wir wollen die Unternehmen nicht belasten. In Wirklichkeit eine Haltung, die ausdrückt, dass es dem EU-Gesetzgeber wurscht ist, wie es den Beschäftigten geht. Aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit, insbesondere der ArbeitnehmerInnenvertretungen, ist es zu einem Umdenken der Kommission gekommen und sie hat letztendlich dann doch den Richtlinienvorschlag herausgebracht. Der ist inzwischen schon fast fertig verhandelt.
Die Wirtschaft betreibt den Abbau von Gold Plating mit dem Kostenargument. Wie kann Gold Plating im Gegenzug aber auch ein Standort- oder Wettbewerbsvorteil sein?
SILVIA HRUSKA-FRANK: Das ist ja eindeutig belegt, dass die prosperierenden Staaten mit den sehr starken Volkswirtschaften auch gute soziale Standards haben und dass soziale Standards und auch Umweltstandards und insgesamt ein Angebot, das ein Staat leistet an Wohlfahrt und Infrastruktur, dass das ein enormer Standortvorteil ist und dass man auch viel produktiver ist. Es ist ja völliger Schwachsinn, eine Arbeitsstunde in Rumänien mit einer Arbeitsstunde in Österreich zu vergleichen, nicht nur vom Entgelt, sondern auch von der Produktivität her. Und was man auch ganz gesichert weiß, ist, dass sich eine starke Sozialpartnerschaft ebenfalls extrem positiv auf den Wirtschaftsstandort auswirkt. Das ist ja allen klar. Ich habe nur den Eindruck, dass jene, die hier dem Gold Plating das Wort reden, nicht wissen, was das dann für eine Gesellschaft ist und wie sich die anfühlt, weil man die Ungleichheit erhöht hat. Das ist der Prozess, der jetzt stattfinden soll – wir halten da aber eh mächtig dagegen.
Bei den ersten 40 Vorschlägen zum Gold-Plating-Abbau sind zwar – siehe oben – Einschnitte da, aber nicht die großen Hämmer. Welche sind auf der 500er-Liste die ganz heißen Eisen?
SILVIA HRUSKA-FRANK: Ich bin eine Arbeitsrechtlerin, für mich sind solche Themen wie der Abbau von Urlaub oder Mutterschutzvorschriften, Gift und Schadstoffe bei der Arbeit, gerade auch für werdende Mütter, ganz massive Eingriffe ins System. Unsere Meinung zum 12-Stunden-Tag-Gesetz ist eh bekannt. Da werden wir als Gesellschaft viel Aufwand haben, das alles zu reparieren, was da derzeit zum Beispiel punkto Arbeitszeit schon passiert ist. Da müsste man unbedingt etwa hinsichtlich der Vollstreckbarkeit von Strafen und der Beiträge in die Sozialversicherung ganz viel zu tun, um unsere ArbeitnehmerInnen vor Lohn- und Sozialdumping zu schützen.
FRANK EY: Ein heißes Eisen ist auch der Kündigungsschutz für Behinderte. Die Wirtschaftskammer stellt bei den 500 Vorschlägen das Behinderteneinstellungsgesetz und das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz als Ganzes infrage. Die sagen, das ist auch nur Gold Plating. Das haben die wirklich schwarz auf weiß in ihren Forderungen drinnen. Der Kündigungsschutz für Schwangere soll auch verschlechtert werden, wenn es nach der Wirtschaft geht. Und im Verbraucherschutzbereich sollen beispielsweise Verbandsklagen wesentlich erschwert werden.
SILVIA HRUSKA-FRANK: Bei den Verbandsklagen geht es auch um Unternehmen, die für VerbraucherInnen schlechte allgemeine Geschäftsbedingungen haben oder grob nachteilige Musterverträge. Da ist der einzelne Konsument recht arm, wenn er das entweder akzeptiert oder man immer für Einzelfälle klagen muss. Der Unternehmer kalkuliert dann damit, Klagen im Einzelfall zu riskieren.
Die EU legt die Mindeststandards fest und wir sind in der glücklichen Situation, dass wir in vielen Bereichen darüber liegen. Wo in der EU ist man bei manchen Sachen ganz weit unter den Standards?
Es ist widersinnig zu sagen, jetzt gehen wir alle auf das Niveau mit dem niedrigsten Umweltschutzstandard herunter. Das kann ja nicht das Ziel der EU sein.
FRANK EY: Im Rat wird ja immer verhandelt, über Richtlinien, über Verordnungen. Da gibt es Mitgliedstaaten, die sind schon recht weit, zum Beispiel in der Umweltgesetzgebung. Da werden schon serienmäßig Luftfilter eingebaut oder Kläranlagen vorgesehen. Und andere Länder wiederum, die hinken da etwas nach. Da einigt man sich dann auf einen Kompromiss. Es gibt beispielsweise einen Übergangszeitraum oder man sagt, baut einmal den Filter Stufe eins ein und in 15 Jahren habt ihr dann die allerneuesten Filter drinnen, während andere Mitgliedstaaten jetzt schon die besten Filter einsetzen. Es ist natürlich widersinnig zu sagen, jetzt gehen wir alle auf das Niveau mit dem niedrigsten Umweltschutzstandard herunter. Das kann ja nicht das Ziel der EU sein. In der ganzen Europäischen Union ist uns übrigens kein Beispiel bekannt, wo es auch so eine Gold-Plating-Initiative gäbe wie in Österreich, wo man mit den Standards wieder herunter will.