Richard Tiefenbacher im Interview
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Arbeit&Wirtschaft: Sie sind seit einigen Monaten Bundesvorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend. Wie viele Mitglieder hat die Gewerkschaftsjugend und wie kommt die Gewerkschaft ihrerseits mit Jugendlichen in Kontakt, um bei ihnen Interesse für die Rechte von Arbeitnehmer:innen zu wecken?
Richard Tiefenbacher: Wir sind eigentlich ein bunter Haufen, weil nicht nur die verschiedensten Berufe bei uns vertreten sind, sondern auch die verschiedensten Persönlichkeiten. Wir haben 38.000 Mitglieder unter 19 Jahren und 145.000 unter 30. Wie versuchen wir zu den Jugendlichen durchzukommen? Einerseits auf Social Media mit einem guten Videoauftritt, mit Postings zu aktuellen politischen Geschehnissen. Das Wichtigste als Gewerkschafter:in ist jedoch, das persönliche Gespräch zu führen. Wir gehen in die Berufsschulen, Betriebe und fragen die Schüler:innen und Lehrlinge, wo der Schuh drückt und wo sie Unterstützung brauchen.
Die Corona-Jahre waren vor allem für junge Menschen, die versucht haben, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, eine schwierige Zeit. Manche sind schon bei ihrem Schulabschluss gestrauchelt, andere konnten keine Lehrstelle finden. Sie kennen Ihre Mitglieder und deren Sorgen und Nöte: Wie stellt sich hier aktuell die Situation dar?
Corona war wirklich keine schöne Zeit, da vor allem Lehrlinge und Berufsschüler:innen immer vergessen worden sind. Das hat sich etwa bei der Bereitstellung der Selbsttestkits gezeigt, wo nicht an die Berufsschulen gedacht wurde. Wir, die Österreichische Gewerkschaftsjugend, haben gemeinsam mit der Arbeiterkammer alle Berufsschulen mit Laptops und Tablets versorgt, damit die Schüler:innen auch im Homeoffice ihre Ausbildung gut weitermachen können. Die Politik hat sich da nicht gekümmert. Insgesamt gesehen, lässt die technische Ausstattung in den Schulen zu wünschen übrig. Da gehören viele Investitionen getätigt.
Insgesamt gesehen, lässt die technische Ausstattung in den Schulen zu wünschen übrig. Da gehören viele Investitionen getätigt.
Richie Tiefenbacher, ÖGJ-Vorsitzender
Der Lehrstellenmarkt hat sich erholt
Wie schaut es mit Lehrstellen aus? Wenn Jugendliche suchen, hat sich die Situation da inzwischen entspannt oder ist es nach wie vor schwierig? Ich denke da an Branchen wie Gastronomie und Hotellerie, wo es ja auch so lange Schließungen gab und wo jetzt einerseits über den Fachkräftemangel geklagt wird, aber sich andererseits die Frage stellt: Werden da noch genügend Lehrlinge ausgebildet?
Wir reden immer von Fachkräftemangel – und das stimmt auch, den gibt es tatsächlich. Der Lehrstellenmarkt hat sich aber eindeutig erholt, es gibt wieder mehr offene Lehrstellen als Lehrstellensuchende. Die Problematik ist aber noch immer die Ausbildungsqualität. Und Sie haben es angesprochen: Vor allem die Hotellerie, die Gastronomie, der Tourismus sind nicht zu Unrecht verschrien.
Der Lehrstellenmarkt hat sich aber eindeutig erholt, es gibt wieder mehr offene Lehrstellen als Lehrstellensuchende. Die Problematik ist aber noch immer die Ausbildungsqualität.
Einen guten Einblick bietet der „Lehrlingsmonitor“. Da haben wir mehr als 6.000 Jugendliche befragt, wie es ihnen eigentlich so in ihrer Ausbildung geht. Und da ist nichts Gutes herausgekommen. Vor allem in Hotellerie, Gastronomie und Tourismusbranche sind unfreiwillige und unbezahlte Überstunden gang und gäbe, ebenso wie ausbildungsfremde Tätigkeiten. Ich mache zum Beispiel meine Ausbildung an der Rezeption, und dann kommt der Chef und sagt: Du hast jetzt eh nichts zu tun, der Rasen draußen schaut nicht so schön aus, geh jetzt bitte einmal Rasen mähen und Unkraut jäten. Das geht einfach nicht.
Was fordern Sie von der Politik, damit allen Jugendlichen ein guter Start ins Erwerbsleben gelingen kann?
Mehr auf den sozialpartnerschaftlichen Dialog zu setzen, auf uns einzugehen, sich mit uns an den großen runden Tisch zu setzen; nicht alles in verschlossenen Hallen zu besprechen und uns, die Bevölkerung, die arbeitende Gesellschaft, vor vollendete Tatsachen zu stellen. Und konkret: Passen muss das Lehrlingsgehalt. Es wäre super, wenn es 800 Euro Mindestlehrlingseinkommen im ersten Lehrjahr über alle Berufsbranchen gäbe. Hier könnte die Politik den Ton vorgeben. Das passiert aber nicht.
Lehrlinge in der Coronapandemie
Die Corona-Pandemie hat auch aufgezeigt, wie wichtig der Sozialstaat ist und dass man auch weiter um ihn kämpfen muss. Gleichzeitig sehen wir als Gesellschaft, dass die Klimakrise genauso entschiedenes Handeln verlangt wie die Bekämpfung der Pandemie. Wird von den heutigen Entscheidungsträger:innen genug getan?
Nein, auf keinen Fall. Es wird zwar viel darüber geredet, aber es sind am Ende des Tages nur leere Worthülsen. Die Pandemie hat auch gezeigt, dass die psychische Gesundheit leidet. Ich finde es wirklich schade, dass die Politik zu wenig unternimmt und keine Kampagne startet. Dabei habe ich etwa den Slogan von Werbeplakaten in Richtung „Es ist in Ordnung, wenn es dir nicht gut geht – hier ist eine Telefonnummer, wo du anrufen kannst“ im Kopf. Um zu erfahren, wie es um ihre psychische Gesundheit in Zeiten von Covid-19 steht, haben wir gezielt Lehrlinge gefragt.
Und die Ergebnisse, die da herausgekommen sind, sind wirklich erschreckend. 50 Prozent aller Jugendlichen befinden sich in einer Depression, 27 Prozent haben Schlafstörungen und 17 Prozent haben suizidale Gedanken.
50 Prozent aller Jugendlichen befinden sich in einer Depression, 27 Prozent haben Schlafstörungen und 17 Prozent haben suizidale Gedanken.
Und dann gibt es eine neue Jugendstaatssekretärin, Claudia Plakolm, die die psychische Gesundheit als oberstes Ziel festgeschrieben hat. Sie sagt, ihr sei das total wichtig, der Jugend müsse es gut gehen, deswegen investiere die Regierung jetzt 13 Millionen Euro in den Ausbau der psychosozialen Infrastruktur. Top-Geschichte, denkt man. Aber in Wirklichkeit bringt es den jungen Menschen, die wirklich Hilfe benötigen, nichts, da mit dem Geld nur jeder zehnte Jugendliche erreicht und mit einem Therapieplatz versorgt werden kann.
Es wurde also nicht nur zu spät, sondern auch zu wenig Geld investiert. So kann es nicht weitergehen. Die Standardaussage der Politik ist: Wir haben nicht mehr Handlungsspielraum, denn die Wirtschaft lässt es nicht zu. Aber erinnern wir uns zurück, an den Beginn der Covid-Zeit: Lockdowns, die Wirtschaft ist bewusst heruntergefahren worden. Alles Dinge, über die die Politik immer gesagt hat, sie seien nicht möglich. Oder schauen wir etwa nach Deutschland, dort hat es auch geheißen, es gibt nicht mehr Geld für Sozialleistungen. Dann bricht schrecklicherweise Krieg in der Ukraine aus, und plötzlich kann man 100 Milliarden Euro hernehmen und in die Rüstungsindustrie hineinpulvern. Also die Politik macht genau das, wovon sie immer sagt: Uns sind die Hände gebunden. Um ehrlich zu sein: Ich habe die Schnauze voll, dass die Politik argumentiert, als wäre sie in einem Bondage-Club. Die Politik kann und muss mehr leisten!
Es braucht ein Klimagesetz
Erinnern wir uns zurück, an den Beginn der Covid-Zeit: Lockdowns, die Wirtschaft ist bewusst heruntergefahren worden. Alles Dinge, über die die Politik immer gesagt hat, sie seien nicht möglich.
Sie haben nun die psychische Gesundheit angesprochen, ein sehr wichtiges Thema, gesamtgesellschaftlich, aber vor allem bei Schüler:innen und Jugendlichen. Sie haben auch die Geldfrage angesprochen, beziehungsweise was die Politik sagt, was der Staat sich leisten kann. Stichwort Klimakrise. Braucht es da nicht auch ein viel stärkeres Investieren und mehr Mut, gesetzliche Regelungen zu ändern? Was braucht es da?
Vor allem braucht es konkrete Handlungen, die nicht auf den Schultern der jungen Menschen ausgetragen werden. Wir warnen ja die Politik. Wir warnen, dass, wenn der Kurs so weitergeführt wird, es um Leben oder Tod gehen wird, vor allem bei der Klimakrise, und dass hier auch endlich ein Umdenken stattfinden muss. Vor allem die Konzerne müssen stark sanktioniert werden, wenn sie sich nicht an Vorgaben halten und glauben, sich Umweltvergehen leisten zu können. Es braucht ein klar ausdefiniertes Klimagesetz, was es ja bis dato auch immer noch nicht gibt.
Wie kann sich hier die Jugend allgemein und die Gewerkschaftsjugend im Besonderen einbringen? Wie kann man noch deutlicher machen, dass es hier ein Eintreten gegen diese Klimakrise braucht?
Indem man hinschaut und Probleme aktiv in Angriff nimmt, das ist das Wichtigste. Da heißt es, auf die Straße gehen, demonstrieren, zum Streiken aufrufen, laut und aktionistisch sein.
Es braucht eine Jugendrebellion
Was kann die Gewerkschaftsjugend dazu beitragen, eine Mobilisierung zu erreichen?
Aufklärungsarbeit, das ist das Wichtigste. Als Gewerkschaftsjugend haben wir als oberstes Ziel, in Berufsschulen zu gehen, Betriebsversammlungen und Jugendversammlungen abzuhalten, die jungen Menschen zu uns zu holen und aufzuklären. Das beginnt unter anderem schon bei der Aufklärung über Fake News & Co. Junge Menschen müssen wissen und einschätzen können: Okay, das stimmt und das stimmt nicht. Mit diesem neuen Wissen bleibt einem dann ja gar nichts anderes mehr übrig, als zu sagen, so kann es nicht weitergehen.
Eigentlich braucht es eine Jugendrebellion: viele junge Menschen, die auf die Straße gehen, mit der Faust auf den Tisch hauen und sagen: Bis hierher und nicht weiter!
Und eigentlich braucht es eine Jugendrebellion: viele junge Menschen, die auf die Straße gehen, mit der Faust auf den Tisch hauen und sagen: Bis hierher und nicht weiter!
In den Kollektivvertragsrunden, die jetzt in den verschiedensten Branchen laufen, ist die Inflation ein großes Thema. Was sagt die Jugend dazu? Haben Sie Rückmeldungen, wie es die Jugend, besonders mit niedriger Lehrlingsentschädigung, trifft?
Definitiv. Die Inflation trifft Menschen mit geringem Einkommen am allerhärtesten. Und das ist halt einmal auch die Jugend, für die das Wohnen kaum noch leistbar ist, und die Spritpreise steigen weiter. Die Kollektivvertragsverhandlungen werden jetzt spannend. Da müssen sich die Arbeitgeber auf jeden Fall anschnallen, weil wir natürlich jene Erhöhungen fordern, die ein gutes Leben für Lehrlinge und alle Arbeitnehmer:innen sicherstellen.
Änderung des Schulsystems
Bei welchen Themen ist die Jugend denn derzeit noch gefragt, um ihre eigene Zukunft mitzugestalten? Wir haben schon über das Klima gesprochen. Was fällt Ihnen da noch ein?
Die Ausbildung per se – nicht nur die Lehrausbildung und das Studium, sondern das komplette Schulsystem. Das gehört verändert. Denn derzeit geht es nicht ums Stärken stärken der Schüler:innen. Ein Beispiel: Ganz wichtig ist derzeit, dass man weiß, wie Mathematik funktioniert. Aber wer sagt, dass politische Bildung nicht gleich wichtig ist wie Mathematik? Oder Kunst oder Tanzen? Stärken zu stärken wäre also schon einmal ein guter Startpunkt, um zu sagen, wir wollen etwas verändern.
Dann heißt es natürlich beim aktuellen Weltgeschehen nicht wegschauen, sondern hinschauen, aktiv dabei sein und verändern wollen.
Und dann heißt es natürlich beim aktuellen Weltgeschehen nicht wegschauen, sondern hinschauen, aktiv dabei sein und verändern wollen. Wir merken, dass dieses politische Hin und Her, dieses Hickhack, den jungen Menschen oft zu viel wird. Die Folge sind Aussagen wie, dass die dort oben alles ein paar Kasperln sind … das interessiert mich alles nicht … was habe ich mit der Politik zu tun. Aber der Banker, der die Kredite vergibt, interessiert sich für die Politik oder der private Vermieter, der die Mietpreise festsetzt, der interessiert sich auch für die Politik. Daher ist es so wichtig, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern das politische Geschehen mitzuverfolgen, aktiv dabeizubleiben und etwas gegen Ungerechtigkeit zu tun. Und ganz wichtig, das Negative nicht zu sehr an sich heranlassen.
Da gibt es ein schönes chinesisches Sprichwort: Ein Schiff kann am Meer sein und es können die stärksten Wellen dagegenschlagen, aber es wird niemals untergehen. Aber wenn nur ein kleines Loch im Rumpf ist, dann säuft das Schiff ab und liegt am Grund des Meeres. Genauso ist es mit den negativen Einflüssen. Wenn man ein gutes Selbstbewusstsein hat und eine gute Mauer um sich gebaut hat, dann kann einen all das Negative auf der Welt nicht herunterziehen. Und daher muss auch die psychische Gesundheit im Vordergrund stehen, denn ohne Gesundheit ist alles andere unmöglich und unwichtig.
Eine Übersicht über die Arbeitslosigkeit und den Fachkräftemangel in Österreich gibt es hier.