Gewerkschaftsarbeit in Europa: Wenn die Rechten kommen

Inhalt

  1. Seite 1 - Bence Havas: „Technisch gesehen ist es für das Lehrpersonal unmöglich zu streiken“
  2. Seite 2 - Salvatore Marra: „Die Regierung unternimmt nichts gegen den sinkenden Lebensstandard“
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Null Mitsprache bei Mindestlohnverhandlungen und ein Streikrecht, das immer zahnloser wird: In Ungarn und Italien haben rechte Regierungen die Gewerkschaftsarbeit massiv erschwert. Ein Gespräch mit den Gewerkschaftern Bence Havas und Salvatore Marra.

Italien: Kritik an Einschränkung im Streikrecht

Salvatore Marra arbeitet für die CGIL, die größte Gewerkschaftsorganisation Italiens, die mehr als fünf Millionen Menschen vertritt. Die Gewerkschaft kämpft gegen prekäre Arbeitsverhältnisse und setzt sich für gerechtere Löhne sowie besseren Arbeitnehmer:innenschutz ein.

Portrait von Salvatore Marra auf einer Veranstaltung der Europäischen Gewerkschaft ETUC. Er spricht über Gewerkschaftsarbeit in Italien.
Salvatore Marra kämpft in Italien für die Rechte der Arbeitnehmer:innen. | © Salvatore Marra
Wie beschreiben Sie das Verhältnis zwischen der Regierung und den Gewerkschaften?

Salvatore Marra: Seitdem die Regierung vor zwei Jahren an die Macht gekommen ist, sind die Beziehungen schwieriger geworden. Erstens hat die Regierung beschlossen, den repräsentativsten Gewerkschaften drei im Nationalen Wirtschafts- und Sozialrat zu entziehen, um sie an nicht repräsentative oder sogar „gelbe Gewerkschaften“ zu vergeben. Diese schwächen die unabhängige Arbeitnehmer:innen-Vertretung und schließen Tarifverträge zu Dumpingpreisen ab. Wenn Gewerkschaften zu Konsultationen eingeladen werden, geschieht dies meist nur zur Schau. Wir werden informiert über Reformen, ohne uns wirklich einbringen zu können.

Wie hat sich die Lohndiskussion verändert?

In Italien werden die Löhne durch nationale Tarifverträge festgelegt. Diese decken mehr als 90 Prozent der Beschäftigten ab. Die Regierung schlägt vor, die Tarifverhandlungen zu dezentralisieren und auf die regionale oder betriebliche Ebene zu verlagern. Dies würde zu einer Zersplitterung und einer Schwächung der Position der Arbeitnehmer:innenvertretung führen. Wir würden die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns unterstützen, aber die Regierung und die rechten politischen Parteien sind dagegen.

In Ungarn wurde die Möglichkeit für Streiks erschwert. Wie ist das in Italien?

Wie in ganz Europa liegt das auch in Italien im Trend. Streiks werden mit übermäßigen Verwaltungsvorschriften belastet und Ministerialerlasse werden zum Verbot von Streiks verwendet. Am Tag vor einem Streik im öffentlichen Nahverkehr im November 2023 gab es eine Anordnung des weit rechten Verkehrsministers Salvini. Den Beschäftigten wurden Sanktionen angedroht, wenn sie acht Stunden lang streiken und zur Arbeit gehen würden. Am Ende dauerte der Streik nur vier Stunden.

Wie wirkt sich all das auf die Situation von Arbeitnehmer: innen und armutsbetroffenen Menschen aus?

Die erste Entscheidung, die diese Regierung zur Bekämpfung der Armut getroffen hat, war die Abschaffung des von der Vorgängerregierung eingeführten Mindesteinkommenssystems. Italien war eines der letzten Länder in Europa, das ein Mindesteinkommenssystem einführte, um die Armut zu lindern. Und es war das Erste, das es abschaffte. Die derzeitige Regierung unternimmt nichts gegen den sinkenden Lebensstandard der Menschen. Die Löhne haben mit der galoppierenden Inflation der letzten Jahre nicht Schritt halten können.

Welche Auswirkungen hat all das auf den sozialen Frieden und die Demokratie?

Die Regierenden wollen uns dazu bringen, unsere Aufgaben nicht mehr wahrzunehmen, aber wir arbeiten dagegen. Zur Wahrung des sozialen Friedens berufen wir uns zum Beispiel auf die Bürger:innenrechte. Wir sind entschieden gegen die vorgeschlagene Verfassungsreform, die Italien zu einer Präsidialrepublik machen und damit die postfaschistische Verfassung untergraben würde.

Was muss sich Ihrer Meinung nach rasch ändern?

Die Beziehung zu den politischen Parteien sollte konstruktiver werden. Solange wir in der Defensive sind und nicht richtig konsultiert werden, können wir keine konstruktive Rolle spielen. Wir werden unsere gewerkschaftlichen Aktionen fortsetzen. Wir bemühen uns auch um die Unterstützung der Zivilgesellschaft.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp

arbeitet seit 2013 als freie Journalistin und gestaltet Print- und Radiobeiträge. Sie ist Podcasterin (z.B. dabei sein im Arbeitsleben und Freakcasters) und ihre Schwerpunktthemen sind Inklusion, Arbeitsmarkt und soziale Gerechtigkeit.

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