Gewalt am Arbeitsplatz
Gewalt beginnt nicht erst bei physischen Übergriffen. Sie kann unterschiedlichste Formen annehmen. Das belegt auch die IFES-Studie. Das Institut hat österreichweit mehr als 1.000 unselbstständige Beschäftigte befragt. Eine Mehrheit hat bereits Gewalt- und Aggressionserfahrungen am Arbeitsplatz gemacht. Dabei geben sie an, dass vor allem der hohe Arbeitsdruck und der Personalmangel zum Konfliktpotential beitragen. Entstehen Konflikte am Arbeitsplatz, sind es meist verbale Auseinandersetzungen. Im Handel lassen oft unzufriedene Kund:innen ihren Unmut an den Angestellten aus. Hier hat sogar jede:r zehnte Beschäftige bereits Erfahrungen mit körperlicher Gewalt am Arbeitsplatz gemacht.
#Gewalt am Arbeitsplatz hat in der Pandemie stark zugenommen. Zwei BetriebsrätInnen erzählen, wie sie damit umgehen und wie man sich gegen Gewalt am Arbeitsplatz wehren kann▶https://t.co/fqS945a32k
— Gewerkschaft GPA (@GewerkschaftGPA) June 15, 2022
„Beschimpfungen, Beleidigungen und psychischer Druck sind Formen von Gewalt. Man kann zwischen körperlicher und psychischer Gewalt unterscheiden. Und natürlich ist auch sexuelle Belästigung eine Form der Gewalt. Oft tritt physische und psychische Gewalt in Kombination auf“, sagt Isabel Koberwein von der Grundlagenabteilung der Gewerkschaft GPA. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themen Arbeitnehmer:innenschutz und Sozialpolitik.
Was sollte man bei Gewalt am Arbeitsplatz tun?
Von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) wird Gewalt am Arbeitsplatz wie folgt definiert. „Gewalt ist eine Handlung, eine Begebenheit oder ein von angemessenem Benehmen abweichendes Verhalten, wodurch eine Person im Verlauf oder in direkter Folge ihrer Arbeit schwer beleidigt, bedroht, verletzt, verwundet wird.“ Ein weit gefasster Begriff, der allerdings nötig ist, wie die IFES-Studie belegt.
Was sollte man tun, wenn es Gewalt am Arbeitsplatz kommt? Sei es physische Gewalt, Belästigung, Stalking oder Mobbing? Auch Bossing spielt eine Rolle. Das ist eine Form von Mobbing, die von der oder dem Vorgesetzten ausgeht. Staffing ist das Gegenteil. Dabei geht es um das Mobben einer Führungskraft. „Bei unmittelbaren körperlichen Übergriffen gilt es zunächst, gut auf den Eigenschutz zu achten. Dafür muss man möglichst ruhig bleiben, deeskalieren, Hilfe holen und je nach Bedrohung raus aus der Gefahrenzone“, sagt Johanna Klösch. Sie ist Arbeits- und Organisationspsychologin und Referentin in der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit in der Arbeiterkammer Wien.
Was tun bei Mobbing?
Bei Mobbing rät die Expertin zum Führen eines Mobbingtagebuchs. So können Opfer die Regelmäßigkeit der Gewalt am Arbeitsplatz dokumentieren. Und dazu auch die Beteiligten nennen, von denen das Mobbing ausging. Ein weiterer Schritt sollte die Kontaktaufnahme zu den Vorgesetzten sein. „Ebenso zentral ist, sich juristische und psychosoziale Hilfe zu holen. Beispielsweise bei den Arbeiterkammern oder Gewerkschaften. Das gilt nochmal mehr für Bossing, also wenn Mobbing durch Führungskräfte erfolgt“, meint Klösch.
Sollte eine akute Gefahr für die Gesundheit bestehen, ist allerdings auch Notwehr erlaubt. „Bei körperlichen Angriffen besteht ein Recht auf Notwehr. Übergriffe können in angemessener Weise abgewehrt werden“, wie Koberwein betont. „Wichtig für die Betroffenen ist es, bei allen Handlungen daran zu denken, dass die eigene Sicherheit an erster Stelle stehen muss.“
Diese Branchen sind von Gewalt am Arbeitsplatz besonders betroffen
Manche Branchen sind von Arbeitsdruck und Personalmangel besonders betroffen. „Am ausgeprägtesten ist diese Tendenz in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Soziales (73 Prozent) sowie im Handel (70 Prozent). Frauen und Jüngere treffen in höherem Ausmaß verbale Gewalt“, beruft sich Klösch auf die genannte IFES-Studie. Arbeitnehmer:innen haben allerdings ein Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz, der ohne physische und psychische Gewalt auskommt.
Dafür gibt es die Fürsorgepflicht. Sie verpflichtet Arbeitgeber:innen dazu, einen gewaltfreien Arbeitsplatz zu gewährleisten. „Es liegt in ihrer Verantwortung, Gefährdungen vorzubeugen und Arbeitnehmer:innen bestmöglich vor jeder Form von Gewalt zu schützen“, betont Koberwein. Allen Beteiligten müssen dafür zusammenarbeiten.
Österreich muss Flagge zeigen
Doch die Gewaltvermeidung am Arbeitsplatz funktioniert in Österreich noch nicht so, wie sie sollte. „Bereits im Juni 2019 wurde auf der Internationalen Arbeitskonferenz das erste ILO-Übereinkommen zur Bekämpfung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt beschlossen. Allerdings hat Österreich dieses Übereinkommen bis zum heutigen Tag nicht ratifiziert“, sagt Klösch. Diese Säumigkeit sollte umgehend behoben werden. „Österreich muss endlich – wie es andere Länder längst getan haben – Flagge zeigen und sich klar zu einer Arbeitswelt bekennen, in der Gewalt und Belästigung keinen Platz finden.“
Ö hat das ILO Übereinkommen gegen Gewalt am Arbeitsplatz nicht ratifiziert. Wieso nicht? Die Frauenministerin @susanneraab_at schweigt. #KorinnaSchumann @SilviaHruska
Verbale und tätliche Übergriffe: Gewalt am Arbeitsplatz wächst https://t.co/ccY5fcQcRt— Ingrid Moritz (@Ingrid_Moritz) April 2, 2022
Die Ratifizierung wäre ein erster Schritt, um das Sicherheitsgefühl am Arbeitsplatz zu stärken und Gewalt besser sanktionieren zu können. Arbeitnehmer:innen sollen sich am Arbeitsplatz sicher fühlen können. Wenn ein Gefühl von Unsicherheit aufkommt, braucht es jemanden, an den sie sich wenden können. Beschäftigte müssen vor Drohungen, Beleidigungen, sexueller Belästigung, Mobbing, Stalking oder gar physischer Gewalt geschützt werden. Drohende Sanktionen schrecken Täter ab.