Gesundheitsbereich: „Corona hat uns als Team zusammengeschweißt“  

Porträtfoto von Valerie Nell-Duxneuner.
Privatdozentin Dr.in Valerie Nell-Duxneuner: "Wir müssen die Berufe im Gesundheitsbereich neu definieren." | © Markus Zahradnik
Privatdozentin Dr.in Valerie Nell-Duxneuner, ärztliche Direktorin im Hanusch-Krankenhaus, im Gespräch mit A&W zur Aufrechterhaltung des österreichischen Gesundheitssystems und Arbeitsdruck im Gesundheitsbereich.
Nach dem Pflegemangel, folgt nun der Ärzt:innenmangel: Das Gesundheitssystem ist angespannt. Denn der Arbeitsdruck ist hoch und neben der physischen Belastung, schlägt auch die psychische zu Buche. Und es fehlt an finanzieller Wertschätzung. Privatdozentin Dr.in Valerie Nell-Duxneuner, ärztliche Direktorin im Hanusch-Krankenhaus, erklärt, wie es um den Arbeitsdruck im österreichischen Gesundheitsbereich bestellt ist.

Zur Person

Valerie Nell-Duxneuner hat in Wien Medizin studiert. Nach einem 18-monatigen Aufenthalt in verschiedenen Kliniken des National Health Service in England absolvierte sie ihre Facharztausbildung in der Inneren Medizin im AKH Wien und habilitierte sie sich als eine der ersten Frauen in Österreich an der Medizinischen Universität Wien im Fach Rheumatologie. Seit 2007 in der Sozialversicherung war sie Oberärztin der 1. Medizinischen Abteilung des Hanusch-Krankenhauses bevor sie 2015 die Ärztliche Leitung des Rehabilitationszentrums „Mein Peterhof“ der ÖGK in Baden übernahm. Begleitend führte Nell-Duxneuner das am Peterhof angesiedelte Ludwig-Boltzmann-Institut für Arthritis und Rehabilitation und ist seit Jahren im Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie.

2021 wurde Nell-Duxneuner zur stellvertretenden Chefärztin der ÖGK und stellvertretenden Fachbereichsleiterin des Medizinischen Dienstes bestellt. Diese Funktion legte sie mit der Übernahme der Ärztlichen Direktion des Hanusch-Krankenhauses im August 2022 zurück. Ihre Expertise als Mitglied der österreichischen Heilmittelevaluierungskommission und der Ethikkommission der Medizinischen Universität Wien fließt in ihre neue Funktion ein.

Arbeit&Wirtschaft: Ihre Diagnose über das Gesundheitssystem in Österreich? 

Privatdozentin Dr.in Valerie Nell-Duxneuner: Es gibt viele Baustellen. Wir haben einen absoluten Pflegemangel und steuern auch auf einen akuten Ärzt:innenmangel zu.  

Aber in der Hämatologie läuft es besser … 

Vor allem Pfleger:innen und Ärzt:innen sind während der Pandemie zusammengewachsen. Die Führungskräfte sind individuell auf die Mitarbeiter:innen eingegangen, und diese gegenseitige Wertschätzung ist spürbar.  

Wo ist es anders? 

Überall dort, wo die Versorgung von pflegebedürftigen Patient:innen ein großes Thema ist. Da ist die Belastung so groß, dass es zu hohen Fluktuationen kommt. 

Ist dort der Arbeitsdruck größer? 

Ja, denn durch Corona haben sich die Abläufe verändert. Wir wurden mit einem bis dahin unbekannten Krankheitsbild konfrontiert. Unsere Beschäftigten standen unter hohem Druck.  

Wie viele Mitarbeiter:innen haben Sie verloren? 

Die genaue Zahl weiß ich nicht. Aber die Pandemie hat Probleme entblößt, die es schon davor gegeben hat – nämlich gesellschaftliche Probleme. 

Das heißt konkret? 

Es geht um die Wertschätzung der Gesellschaft gegenüber bestimmten Berufen: also gegenüber Menschen in der Pflege, Ärzt:innen, aber auch um Lehrer:innen. 

Gleichzeitig braucht der berufliche Nachwuchs Jahre, bis er qualifiziert ist …  

Im Moment haben wir definitiv viel weniger Bewerber:innen für offene Stellen. Aber im Bereich der Ärzteschaft sind wir trotzdem noch nicht dort, wo wir in der Pflege sind. 

Ihre Antwort darauf? 

Jetzt und in den kommenden Jahren müssen wir umdenken. Wir müssen die Berufe im Gesundheitsbereich neu definieren. Das wird zu neuen Berufen wie den Dokumentations-Assistent:innen führen, die administrative Arbeiten auch in der Pflege abnehmen sollen.  

Wie lautet Ihre Prognose für die nächsten zehn Jahre? 

Ich hoffe, dass wir so wie heute auch in zehn Jahren immer noch sagen können: Die Patient:innen werden gut versorgt. 

Die Pandemie ist vorbei, wie manche Forscher:innen sagen. Merken Sie eine Entspannung im Gesundheitsbereich? 

Ja, aber Corona ist nicht vorbei. Wir haben hier noch immer keinen Normalzustand, außer dass wir Corona jetzt wie jede andere infektiöse Erkrankung behandeln.  

Fühlt sich die Anstrengung der vergangenen zwei Jahre wie ein Kater oder Muskelkater an? 

Ja, das ist ein guter Vergleich. Die Anstrengung ist weg, die Muskeln tun weh, aber man merkt, es geht wieder in die richtige Richtung.  

Meistens hat man nach einem Training wieder mehr Kraft … 

Corona hat uns schon auch gestärkt. Ich finde, viele Teams sind gestärkt. Und man muss eines sehr klar sagen: Es sind sehr viele Mitarbeiter:innen geblieben. 

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