Historie: Amputiertes Sozialministerium

Die Geschichte des Sozialministeriums
Kampf gegen Arbeitslosigkeit auf der Agenda des Sozialministeriums während der ersten EU-Präsidentschaft Österreichs. Vorne die frühere AK-Präsidentin und Sozialministerin Lore Hostasch bei einer Veranstaltung des Europäischen Gewerkschaftsbundes.| © ÖGB-Bildarchiv
(C) ÖGB-Bildarchiv
Immer wenn die Kompetenz für Arbeitsrecht und Arbeitsmarkt aus dem Sozialministerium herausgerissen wurde, signalisierten Regierungen eine Politik gegen die Gleichberechtigung von Arbeitnehmer:inneninteressen – ob 1938, im Jahr 2000 oder 2020.
Vor ein paar Wochen rätselte man in den Medien, ob es dem neuen Superminister gelingen würde, die ihm jetzt zugeteilten Kompetenzen für Wirtschaft und Arbeit unter einen Hut zu bringen. Die Einschätzung fiel unterschiedlich aus. Abgesehen davon interessierte das Thema aber nicht besonders. Denn dieser Bruch mit den österreichischen Demokratiegrundsätzen war erstmals schon im Jahr 2000 erfolgt. Dazu kommt, dass die Regierungskoalition das Sozialministerium bereits Anfang 2020 um seine Kernkompetenz für das große Politikfeld Arbeit erleichterte. Die Zwischenlagerung in einem neu geschaffenen Ministerium ließ die ursprüngliche Zuordnung und deren Bedeutung offensichtlich schon bald in Vergessenheit geraten.

Im Namen der Volksgemeinschaft

Die erste ÖVP/FPÖ-Koalition amputierte das Sozialministerium, Arbeitsrechts- und Arbeitsmarktagenden wanderten zum Wirtschaftsministerium. Dahinter stand die Ideologie des „freien Marktes“, aber viele Menschen, die damals noch lebten, erinnerten sich an die Zeit des Nationalsozialismus ab 1938, als das Sozialministerium im Namen der „Volksgemeinschaft“ ganz verschwand und seine Kompetenzen auf das Wirtschaftsministerium und die NS-Organisation „Deutsche Arbeitsfront“ übergingen. Das vorgelagerte austrofaschistische Regime ging ab 1934 einen anderen Weg, um deutlich zu machen, dass man eigenständige Arbeitnehmer:innenrechte als gegen den „Solidarismus“ gerichtet ablehnte. „Solidarismus“ bedeutet, dass grundsätzlich von gemeinsamen Interessen der Arbeitnehmer:innen und der Arbeitgeber:innen ausgegangen wird. Das Sozialministerium blieb bestehen, wurde aber unter gewerkschaftsfeindliche Leitung gestellt. Dieses Konzept fand sich 2017 bei der Bildung der zweiten ÖVP/FPÖ-Regierung wieder.

Das Trennen der Kompetenz für Arbeit vom Sozialministerium macht es zur lahmen Ente.

2000: Prinzip der „Gegnerfreiheit“ durchbrochen

Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer protestierten, aber nicht allzu laut. Die betroffenen Mitarbeiter:innen des Sozialministeriums gingen dagegen 2000 an die Öffentlichkeit. Protestierend schrieb das „profil“: „Wirtschaft und Arbeit in einem Ressort – das klingt stark nach Unvereinbarkeit“. Als konkrete Beispiele führte der Artikel das Weisungsrecht gegenüber der Arbeitsinspektion und die Regelung der Ladenöffnungszeiten an. Vor allem aber auch das Aufsichtsrecht über die AK und den gesamten Bereich der Arbeitsverfassung. Von den Kollektivverträgen bis zu den Betriebsräten und zum Arbeitnehmer:innenschutz.

Das in der österreichischen Republik seit 1918 anerkannte Prinzip der „Gegnerfreiheit“ war damit durchbrochen. Es bedeutet, dass die Interessen der Arbeitnehmer:innen im öffentlich-rechtlichen Bereich und auf allen Ebenen der staatlichen Verwaltung eigenständig sind. Ohne Vermischung mit den Interessen der Unternehmer:innen. Das beruht, wie es der konservative Verfassungsrechtler Karl Korinek in den 1990er-Jahren im Zusammenhang mit dem Nebeneinander von Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer formulierte, „auf der gemeinsamen Überzeugung …, dass es nicht ein Volksinteresse, sondern unterschiedliche Interessen in der Gesellschaft gibt, auch wenn das von bestimmten politischen Ideologien her nur schwer verständlich sein mag“. Die „Gegnerfreiheit“ war immer eine besondere Stärke des österreichischen Sozialstaats. Weil so die unterschiedlichen Interessen klar auf dem Tisch liegen und deshalb die zwischen ihren Vertreter:innen ausgehandelten Kompromisse haltbarer sind. Und auch, weil dadurch die Interessen „der Vielen“, die weniger Macht und Einfluss haben, nicht einfach ignoriert werden können.

Sozialpolitik ohne Stellenwert

Während die „Gegnerfreiheit“ in den Reaktionen auf die Kompetenzänderungen angesprochen wurde, war die andere Seite der Medaille schon 2000 überhaupt kein Thema. Hier stellt sich aber die Frage, was es für den Stellenwert der Sozialpolitik bedeutet, wenn das Sozialministerium mit der Zuständigkeit für Arbeitsrecht und Arbeitsmarkt zwei seiner drei Kernkompetenzen verliert und so zur lahmen Ente wird. Es ist ein deutliches Signal, dass das Recht der Arbeit nicht mehr als Sache der Sozialpolitik gesehen wird. Ganz nach dem Motto von Ludwig Mises, einem der Vordenker des Neoliberalismus, der 1930 zu AK-Präsident Franz Domes sagte: „Unsere Industrie muss auf den Weltmarkt Rücksicht nehmen. … Da gibt es keine Rechte, sondern nur Wettbewerb. Da aber die Industrie als solche keine Rechte hat, so kann auch der in ihr Beschäftigte auf keine Rechte pochen.“

Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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