All das passiert vor dem Hintergrund des zehnten Jahrestags der Weltwirtschaftskrise 2008. Die Wirtschaftskrise, die darauf folgte, wurde zum Ursprung massiver Sparprogramme in vielen Ländern, die eine in der Nachkriegsgeschichte beispiellose Umverteilung zulasten arbeitender Menschen und zugunsten großer Konzerne zur Folge hatten. Auch in Österreich wurden derartige Umverteilungsprogramme immer vehementer von VertreterInnen der Wirtschaft eingefordert – unter der schwarz-roten Koalition noch ohne Erfolg. In der im Oktober 2017 erschienenen Ausgabe des Wiener Hausblatts der Industriellenvereinigung „IV Position“ wird Präsident Georg Kapsch mit den Worten zitiert: „Österreich muss seine Systeme fit für die Zukunft aufstellen. Dazu zählen der Föderalismus, die Sozialsysteme, das Pensionssystem oder die Sozialpartnerschaft“.
Wunschzettel und Wirklichkeit
Das sind alles hochtrabende Formulierungen. Im Kleingedruckten konnte man schon damals erkennen, dass es ausschließlich um eine Verbesserung der Bedingungen für die Konzerne zulasten der Beschäftigten ging und geht. Unter dem Stichwort „Arbeitszeitflexibilisierung“ forderte die IV, es brauche „einen weniger restriktiven Gesetzesrahmen, eine stärkere Orientierung an der EU-Arbeitszeitrichtlinie (insbesondere bei der täglichen Höchstgrenze) und mehr Gestaltungsspielraum auf Betriebsebene.“ Und sie unterstreicht diese Forderung vehement: Dies alles müsse mit der „nötigen Konsequenz“ geschehen, denn: „Die Anhebung auf zwölf Stunden bei der Gleitzeit wurde etwa bereits im letzten Regierungsprogramm 2013 verankert, aber nie umgesetzt.“
Durchgepeitscht
Im September dieses Jahres trat das von der schwarz-blauen Regierung mit Höchstgeschwindigkeit durchgepeitschte neue Arbeitszeitgesetz in Kraft. Ein massives Ungleichgewicht ist nun im Gesetz verankert, denn die Unternehmen haben durch dieses Gesetz allerlei Möglichkeiten in die Hand bekommen, um die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu verlängern. Umgekehrt gilt dies allerdings nicht – und auch andere Entschädigungen für die ArbeitnehmerInnen sucht man im Gesetz vergebens.
Somit wäre dieser Punkt auf dem Wunschzettel der Industriellenvereinigung bereits abgehakt. Doch es geht weiter. Schließlich forderte sie auch: „Die Zahl der Krankenversicherungsträger gehört reduziert und das Leistungsspektrum angepasst. Wettbewerbselemente müssen gestärkt, die Selbstverwaltung modernisiert werden.“ Und es wurde gejammert: „Die Gesamtbelastung der Unternehmen in Österreich mit Steuern und SV-Beiträgen ist die höchste der EU. Sie beträgt rund 52 Prozent des Gewinns und liegt damit zehn Prozentpunkte über EU-Schnitt.“ Damit ignorieren die Industriellen, dass man im Rest Europas längst darüber redet, die Steuern für Großunternehmen anzuheben beziehungsweise diese zu zwingen, ihre hinterzogenen Abgaben und Steuern endlich zu bezahlen. Zudem sind Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen eigentlich Lohnbestandteile für deren Beschäftigte. Die Unternehmen wollen sich ihren Beitrag für ein solidarisches Gesundheitssystem nicht mehr leisten. Also weg damit.
Ein weiteres Beispiel ist die Reform der Sozialversicherung. Die bislang neun Gebietskrankenkassen sollen in einer „Österreichische Gesundheitskasse“ zusammengelegt werden. So will die Regierung eine Milliarde Euro „sparen“. Insgesamt soll es am Ende der Legislaturperiode nur mehr fünf Sozialversicherungsträger statt bislang 21 geben. Am Sparpotenzial hat bereits eine Vielzahl von ExpertInnen Zweifel angemeldet, vielmehr muss inzwischen davon ausgegangen werden, dass Mehrkosten in mehrstelliger Millionenhöhe auf die SteuerzahlerInnen zukommen.
Mit dieser Zusammenlegung werden Maßnahmen eingeleitet, die mittelfristig zu einer Privatisierung der Sozialversicherungen führen könnten. Hier ist die ebenfalls von Einsparungen betroffene AUVA ein gutes Beispiel.
Am 13. August berichteten zahlreiche Tageszeitungen über die Details der geplanten Einsparungen. Sie nannte die AUVA-Reform „ein Geschenk an die Wirtschaft“. So soll die AUVA 135 Millionen Euro „intern“, das heißt bei den eigenen Angestellten, einsparen. 295 Millionen Euro sollen auf die zu schaffende neue „Österreichische Gesundheitskasse“ umgelagert werden.
Das ist eine Umschichtung der Kosten zulasten arbeitender Menschen, denn für die AUVA zahlen hauptsächlich die Unternehmen, während „normale“ Krankenkassen zu einem großen Teil aus den Löhnen von ArbeiterInnen und Angestellten finanziert werden. Das finanzielle Risiko bei Arbeitsunfällen wird damit zukünftig nicht mehr von den Unternehmen getragen.
Steigende Unfallgefahr
Das ist natürlich praktisch, wenn man Statistiken kennt, wonach das Unfallrisiko nach der zehnten Arbeitsstunde drastisch zunimmt. Der Blog „kontrast.at“ zitiert die Arbeitspsychologin Andrea Birbaumer am 20. Juni: „Bei sehr langen Arbeitstagen wird man dreimal müder als an normalen Tagen. Und da kommt es dann auch vermehrt zu Unfällen.“ Solche Unfälle können schon jetzt tödlich enden. Am 30. Juli starb in Tirol ein Erntehelfer während eines sehr heißen Arbeitstages an den Folgen eines Herzinfarktes. Und am 22. August verunglückte ein Kranfahrer im Wiener Bezirk Hietzing tödlich auf seiner Baustelle.
Bislang gab es zumindest noch die Chance, Unternehmen bei rechtswidrigem Verhalten zu belangen. Das war der Industriellenvereinigung ein Dorn im Auge. In ihrem Forderungskatalog heißt es: „Verwaltungsstrafen werden immer höher und können sogar Millionenhöhen erreichen. Das Verwaltungsstrafrecht ist dringend zu reformieren, etwa durch die Abschaffung des Kumulationsprinzips. (…) Der Standort braucht eine verbindliche Bundesraumordnung. Genehmigungsverfahren sind weiter zu beschleunigen.“
Die IV ruft zu, die Regierung vollzieht. Ab 2020 fällt das Kumulationsprinzip, welches jeden Fall von Lohn- oder Sozialdumping in einem Unternehmen einzeln behandelte und zu entsprechend hohen Strafen führen konnte. Schwarz-Blau macht Lohndumping billiger. Damit kann das so gesparte Geld gut angelegt werden, denn die Körperschaftsteuer auf nicht entnommene Gewinne wird zudem halbiert.
Und am 1. Jänner kommt als verspätetes Weihnachtsgeschenk die Einführung des Standort-Entwicklungsgesetzes, welches für Großprojekte lästige Vorschriften wie die Umweltverträglichkeitsprüfung entfallen lässt. Letzteres ist ein Herzensanliegen von IV-Präsident Kapsch, der am 7. März 2018 dem Standard im Interview ausrichtete: „Wir müssen bestimmte Projekte durchboxen können.“
Hart abgerungener 8-Stunden-Tag
An dieser Stelle ein kleiner historischer Exkurs. Im September wäre der nun abgeschaffte 8-Stunden-Tag 100 Jahre alt geworden. Am 11. September 1918 wurde er erstmals in Österreich gesetzlich verankert. Das war ein Ergebnis revolutionärer Umwälzungen in ganz Europa, ausgehend von der Oktoberrevolution in Russland. Damals hatten die Unternehmer in Österreich so viel Angst vor ArbeiterInnen und Angestellten, dass sie zu Zugeständnissen bereit waren. Letztendlich beruht auch die Sozialpartnerschaft der vergangenen Jahrzehnte zu einem großen Teil auf dieser Angst – und diese scheint nun überwunden zu sein.
Es wird Zeit, dass sich sowohl die Regierung als auch die Unternehmen wieder vor den Gewerkschaften fürchten. Denn ohne diese Furcht werden sie der Regierung immer weitere Wunschzettel zur Umsetzung präsentieren. 498 Vorschläge zur Abschaffung von Mindeststandards hat die Wirtschaftskammer bereits unterbreitet. Sie reichen von einer Reduzierung des Urlaubsanspruchs bis zum Ende des Kündigungsschutzes für Mütter. ArbeitnehmerInnen sollen zahlen, damit die Reichen reicher werden.
Weiterführende Links:
Der Kontrast-Blog hat eine hilfreiche Liste, warum Großkonzerne die Gewinner unter dieser Regierung sind:
tinyurl.com/y9o4vh24
kontrast.at zu weiteren Wünschen der Wirtschaft:
tinyurl.com/yb4tse5x
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/18. Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
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