Auch den Pflegekräften dürfte es nicht allzu gut gehen. So ging Orpea, um nur ein Beispiel zu nennen, in einem deutschen Tochterunternehmen mitten in der Pandemie gegen seine Betriebsrät:innen vor. Der Orpea-Pflegeskandal und der SeneCura-Fall in Salzburg sind die jüngsten, aber nicht die ersten in der privaten Pflege. Der Verkauf von Vamed an den Hedgefonds PAI könnte der nächste Fall werden. All das wirft Fragen auf: Wie wirkt sich die Privatisierung der Pflege auf die Pflegekräfte und die zu Pflegenden aus? Inwiefern begünstigen private Finanzierung und Profitstreben systematische Missstände in Pflegeheimen? Und wie sieht die Situation in Österreich aus?
Investoren entdecken Pflege
Laut David Hafner, geschäftsführender Leiter des ÖGB-Europabüros, ist der Orpea-Skandal „ein sehr gutes Beispiel dafür, was bei der Privatisierung schiefgehen kann“. Privatisierung habe manchmal Vorteile, wenn sie zu Effizienz und sinkenden Preisen führe, „aber gewisse Bereiche dürfen nicht auf Gewinn ausgerichtet sein“. Wenn etwa in Pflegeheimen Windeln rationiert würden, sei das etwas anderes, als wenn Fluglinien keine Gratissnacks mehr anbieten: „Durch die Privatisierung in der Pflege leiden Patient:innen und Arbeitnehmer:innen.“ Die Auswüchse in der Pflegebranche machen für Hafner deutlich, dass dies ein geschützter Bereich sein sollte.
Leonhard Plank, Senior Scientist im Forschungsbereich Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik am Institut für Raumplanung der TU Wien und Teil des „Foundational Economy Collective“, arbeitet derzeit im Auftrag der Arbeiterkammer an einer Studie über finanzierte Geschäftsmodelle in der kritischen sozialen Infrastruktur, zu der auch die Pflege zählt. Transnationale Investoren, die profitable Anlagemöglichkeiten suchen, haben in den vergangenen Jahren die kritische soziale Infrastruktur für sich entdeckt. Im Pflegesektor seien es vor allem stationäre Einrichtungen, die das Interesse privater Pflegekonzerne und Finanzinvestoren geweckt hätten. Kein Wunder – konnten doch nach einer Recherche von Investigative Europe die 25 größten privaten Anbieter in Europa seit 2017 ihre Bettenkapazitäten um 22 Prozent steigern.
Fokus auf bestimmte Investoren
Leonhard Plank hat sich für die Studie den britischen, deutschen und österreichischen Markt genau angesehen und viele Beispiele gefunden, die zum Schluss führen: Wenn Pflegeeinrichtungen in erster Linie im Interesse von Investoren handeln, die hohe Renditen erwarten, führt das oft zu prekären Bedingungen für Beschäftigte und Pflegebedürftige und anderen unerwünschten Risiken und Nebenwirkungen. Das gilt insbesondere für Private-Equity-Geschäftsmodelle. Aber auch bei anderen privaten Investments, etwa strategischen Investoren wie der Orpea-Gruppe, ist Vorsicht geboten. Plank: „Es ist wichtig, dass wir den Fokus auf bestimmte private Investoren richten und nicht auf den, der in der Steiermark zwei Heime hat.“ Das Dumme ist: Nur weil Menschen für private Pflegeheime sehr viel Geld zahlen, heißt das nicht, dass die öffentliche Hand entlastet ist. Denn bei Investmentformen wie Private Equity kommt es laut Plank oft zu Steuerumgehungskonstruktionen sowie zum Abschöpfen öffentlicher Gelder: „Das funktioniert zum Beispiel über erhöhte Mietzahlungen. Das reduziert den zu versteuernden Gewinn. Gleichzeitig landen die Mietzahlungen oft bei einer Tochtergesellschaft in einer Steueroase und erhöhen so den Gesamtgewinn des Investors.“
Striktere Regulierungen
In Österreich sieht es, obwohl es auch hier Probleme gibt, noch relativ gut aus. Plank führt das vor allem auf striktere Regulierungen zurück: „Ich glaube, dass der österreichische Markt für Shareholder-getriebene Geschäftsmodelle durch die Regulationsregime relativ unattraktiv ist. Wir haben nicht zufällig keine Private-Equity-Gruppe im Pflegesektor.“ Renditen von zwölf Prozent wie in England würden hier nicht zugelassen – sieht man von einer kurzen Phase in der Steiermark vor einigen Jahren ab. Investor Orpea scheint sich hierzulande „bisher mit einer moderateren Rendite zufriedenzugeben – und setzt langfristig wohl auf den Aufbau von Marktmacht“. Man unterscheidet in der Pflege zwischen gewerblichen, öffentlichen und gemeinnützigen Anbietern, zu denen etwa Caritas und Volkshilfe zählen. Der Anteil der gewerblichen Anbieter ist Plank zufolge mit 22 Prozent in Österreich vergleichsweise gering. Dennoch sollte man ein Auge auf sie haben und überlegen, welche Geschäftsmodelle man grundsätzlich zulassen möchte.
Denn eine Insel der Seligen ist Österreich nicht. David Hafner weist auf Lohn- und Sozialdumping hin: Viele Pflegekräfte kommen aus dem Ausland und würden oft nicht nach KV bezahlt und das, obwohl ihre Arbeit sehr belastend ist – was sich in der Pandemie noch verschärft hat. Auch sind sie oft nicht ausreichend sozialversichert. Zwar werde in Österreich sehr gut kontrolliert, doch bei Vergehen sei die Exekution das Problem, weil die EU-Mitgliedsstaaten, aus denen die Pflegekräfte kommen, oft nicht zu Zusammenarbeit bereit seien. Hafner: „Die EU-Entscheidungsträger sind gefordert, die grenzüberschreitende Behördenzusammenarbeit zu verbessern und das hohe Lohngefälle zwischen den Ländern zu bekämpfen.“ Eine Vorreiterrolle nehme das Burgenland mit seinen Bemühungen ein, nur gemeinnützige Institutionen in der Pflege zuzulassen. Europaweit weist Hafner auf Norwegen und Schweden als Vorbilder hin, wo Privatisierungsprozesse wieder rückabgewickelt wurden. Auch seitens der EU hofft Hafner auf Verbesserung: Aktuell wurde von der Kommission eine Pflegestrategie für 2022 als Priorität angekündigt, doch noch warte man auf genaue Informationen. Indes dürfte der Trend zur Privatisierung in der Pflege weitergehen.
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