Geschäftsmodell Gesetzesbruch

Foto (C) Alvaro Barrientos / AP / picturedesk.com
Einer von vielen Protesten gegen das US-Transportunternehmen Uber, dieses Mal in der spanischen Hauptstadt Madrid.

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Dass Start-ups in den USA ständig rechtliche Rahmen ausreizen, kommt sie inzwischen teuer zu stehen. FreiberuflerInnen erkämpfen sich ihre Rechte.
Ein Gesetzesbrecher, der gleichzeitig eines der wertvollsten Unternehmen der Welt ist: So lässt sich die Rolle von Uber in der Privatwirtschaft zusammenfassen. Der 2009 in San Francisco gegründete Chauffeurdienst reizt ständig rechtliche Grauzonen aus und überschreitet diese auch ohne Furcht vor Konsequenzen.

So muss das Start-up sich beinahe monatlich aus einer Stadt zurückziehen, weil die Regulierungen keinen privaten, über App organisierten Mitfahrdienst erlauben. In Kalifornien schickte Uber seine ersten selbstfahrenden Taxis auf die Straße, ohne eine Zulassung dafür zu haben. Disruptiv nennt man diese Herangehensweise im Silicon Valley, wo neue Technologien ganze Branchen auf den Kopf stellen. Doch Uber verändert nicht nur die Mobilität und den öffentlichen Verkehr, sondern hat auch bei Arbeitsverhältnissen einen radikalen Ansatz.

Keine eindeutige Beziehung

So sind die FahrerInnen, die über den digitalen Service Taxifahrten anbieten, bei Uber in der Regel WerkvertragsnehmerInnen. Statt als Angestellte arbeiten die FahrerInnen auf freiberuflicher Basis für das Start-up. Internationale Behörden sehen die Beziehung zwischen dem Unternehmen und seinen Privat-ChauffeurInnen jedoch nicht eindeutig.

Mit selbstständigen AuftragnehmerInnen statt angestellten MitarbeiterInnen will das Start-up mit einer Bewertung von knapp 70 Milliarden US-Dollar, das von Investoren 8,81 Milliarden Dollar eingesammelt hat, Kosten sparen und Verantwortung abtreten. Als es im Jänner 2014 zu einem von einem Uber-Fahrer verursachten tödlichen Unfall kam, sah sich der Ridesharing-Dienst nicht haftpflichtig. Das Unternehmen einigte sich schließlich außergerichtlich mit der Familie des verstorbenen Mädchens. Der Fall war Zündstoff für die Streitfrage, inwieweit der Taxi-Service für seine FahrerInnen verantwortlich ist.

Kein Internet-Dienstleister

In den USA bestätigten mehrere Gerichte in den vergangenen zwei Jahren, dass das freiberufliche Verhältnis zulässig ist. Anders in Europa: Ein britisches Gericht ordnete im Oktober 2016 an, der Auftraggeber habe die FahrerInnen anzustellen. Der Europäische Gerichtshof stufte Uber im Mai als Transportunternehmen ein und nicht wie von Uber gewünscht als Internet-Dienstleister.
Diese Entscheidung wird auch Auswirkungen auf die Dienstverhältnisse haben. Denn das US-Start-up argumentierte seine Werkverträge mit seinem Selbstverständnis als Internet-Service. „Die FahrerInnen gehen keiner autonomen Tätigkeit nach, die unabhängig von der Plattform ist“, lautet das Urteil des Gerichtshofs. Der Plattform-Betreiber wird sich auf die Regulierung der Taxibranche in Europa einstellen müssen.

Uber ist einer der wichtigsten Auftraggeber in der Gig-Economy. Die Zahl der FahrerInnen verrät das Unternehmen nicht, Schätzungen sprechen von mehr als einer Million weltweit. Doch der Fahrtenanbieter ist nicht das einzige Start-up mit fragwürdigen Beschäftigungsverhältnissen. Lieferdienste und Plattformen für Haushaltsjobs leben von jenen, die die Arbeiten durchführen, die Technologie dahinter ist nur der Vermittler.

Immer mehr FreiberuflerInnen stellen Forderungen an die Unternehmen und leisten Widerstand gegen unfaire Bedingungen. Instacart – ein Service, der Supermarkteinkäufe für den Kunden erledigt und bis zur Wohnungstür liefert – muss nach einer Sammelklage von ArbeiterInnen 4,6 Millionen US-Dollar zahlen, weil den NutzerInnen der App das Trinkgeld nicht richtig kommuniziert wurde und die LieferantInnen dadurch zusätzliche Einnahmen verloren. Weil ihnen eine offizielle Vertretung wie ein Betriebsrat fehlt, finden die Start-up-FreiberuflerInnen andere Wege, ihre Interessen zu äußern.

Arbeitslosengeld zugesprochen

In der Stadt New York haben sich FahrerInnen und LieferantInnen zu einer Allianz zusammengeschlossen und wollen sich so mehr Ansprüche erkämpfen. Ein US-Gericht sprach zwei Uber-Fahrern bereits Arbeitslosengeld zu. Um den FahrerInnen Versicherungen anzubieten, erhöht der Mitfahrdienst in einigen US-Städten die Tarife auf KundInnenseite. ArbeitsrechtlerInnen kritisieren allerdings, dass das Unternehmen die Kosten nicht selbst übernimmt.

Wie wichtig eine Lobby für die selbstständigen FahrerInnen ist, zeigt der jüngste Fauxpas: Uber hat seinen FahrerInnen in New York City beinahe drei Jahre lang zu wenig ausgezahlt und sich einen zu großen Anteil der Einnahmen selbst behalten. 45 Millionen US-Dollar muss die Firma voraussichtlich an die betroffenen AuftragnehmerInnen zahlen.

An die US-Handelskommission zahlt Uber 20 Millionen Dollar Strafe, weil es FahrerInnen mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen in Höhe von 90.000 Dollar gelockt hatte – wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um eine falsche Behauptung. Dass die Jungunternehmen aus dem Silicon Valley ständig rechtliche Rahmen ausreizen, kommt sie teuer zu stehen. Sie leisten sich das Risiko trotzdem – in der Hoffnung, Regeln nicht nur zu brechen, sondern auch neu zu gestalten.

Gut vernetzte Unterstützung

Uber holt sich für den Kampf mit der Justiz und Politik auch gut vernetzte Unterstützung: David Plouffe war Berater von Ex-Präsident Barack Obama, wechselte danach zu Uber, wo er drei Jahre lang Chef für „Strategie und Regelwerk“ war. Von dort warb ihn Facebook-CEO Mark Zuckerberg für seine Wohltätigkeitsorganisation ab.

Der Taxi-Konkurrent verteidigt seine Beschäftigungsverhältnisse mit der Unabhängigkeit und Flexibilität, die die FahrerInnen schätzen würden. Doch schafft Uber mit dieser Prämisse auch eine Revolution am Arbeitsmarkt? Immerhin arbeitet das Start-up aktuell an einer autonomen Fahrtechnologie und hat die ersten Pilotprojekte mit selbstfahrenden Taxis gestartet. Die menschlichen ChauffeurInnen könnten theoretisch in Zukunft überflüssig werden.

CEO Travis Kalanick beschwichtigt, dass dies nicht in den nächsten Jahren eintreffen werde. MarktforscherInnen rechnen außerdem damit, dass mit der voranschreitenden Automatisierung zwar Jobs in der Gig-Economy wegfallen werden. Andererseits aber werden neue entstehen, die wir heute noch nicht kennen. Der Einfluss, den die neuen JobberInnen auf die Wirtschaft haben, ist noch schwer messbar, da konkrete Definitionen und Daten von den Auftraggebern fehlen.

Das Forschungsinstitut Brookings hat die Einzelunternehmer im Rahmen einer Marktstudie als jene, die mehr als 1.000 Dollar Einkommen freiberuflich generieren, kategorisiert. 93 Prozent davon fallen in die Bereiche Transport und Unterkünfte, also etwa Vermietung über die Wohnungsplattform Airbnb. Diese Gruppe macht in den USA laut Brookings 24 Millionen aus. Während ihr Anteil am Arbeitsmarkt rasant steigt, lässt parallel dazu das Wachstum bei Angestelltenverhältnissen nach. Auf jede/n Gig-JobberIn fielen 2014 0,5 Angestellte – im Jahr 1997 waren es noch 0,9.

Mangel an Regulierungen

Einer Analyse von McKinsey zufolge gehen 20 bis 30 Prozent der Erwerbstätigen – also bis zu 162 Millionen Menschen – in den USA und der Europäischen Union einer freiberuflichen Tätigkeit nach, 15 Prozent davon fallen auf die digitalen Plattformen. 30 Prozent der FreiberuflerInnen wählen diese Art der Beschäftigung bewusst, 40 Prozent nutzen sie für Zusatzeinkünfte.
Als Notlösung, weil eine Festanstellung eigentlich gewünscht wäre, sehen 14 Prozent der FreiberuflerInnen in der McKinsey-Studie ihre Situation. Das fehlende Datenmaterial und die Verschlossenheit der Start-ups bezüglich ihrer freiberuflichen MitarbeiterInnen machen den Mangel an Regulierungen deutlich. Während die innovativen Tech-Firmen vor einem zu starken Einfluss der öffentlichen Hand warnen, könnten neue Regeln Klarheit schaffen.

Breite Allianzen

Ein Lösungsansatz für eine bessere Vertretung der Gig-JobberInnen sind unternehmensübergreifende Allianzen, wie sie in New York bereits existieren. Als eines der wertvollsten Start-ups hat Uber jedenfalls die Macht, die Bedingungen für FahrerInnen, LieferantInnen und andere DienstleisterInnen zu beeinflussen – sowohl positiv als auch negativ.

Brookings: „Tracking the gig economy“
tinyurl.com/yap56sj2
Analyse von McKinsey:
tinyurl.com/j5apkrt

Von
Elisabeth Oberndorfer
Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/17.

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