Der Traum vom Pflegeberuf: Gere Teklays Flucht aus Eritrea

Portrait von Pfleger Gere Teklay in einem Krankenhaus.
Gere Teklay musste sich mit Gelegenheitsjobs wie Essenszustellung über Wasser halten, bis er endlich seinen Traumjob in Österreich antreten durfte – als Pflegeassistent. | © Markus Zahradnik
Mit einem Schlauchboot kommt Gere Teklay nach Griechenland und unter einem Lkw weiter nach Österreich. Angekommen beginnt ein Kampf um die Möglichkeit, in der Pflege arbeiten zu dürfen.
Wenn man mich erwischt hätte, wäre ich ins Gefängnis gekommen. Ich weiß nicht, für wie lange“, erzählt Gere Teklay über den Beginn seiner Flucht aus Eritrea. Teklay ist damals, im Jahr 2009, Mitte 20 und marschiert zu Fuß in den 45 Kilometer entfernten Sudan. Seine Heimat, das nordostafrikanische Eritrea, zählt knapp 3,7 Millionen Einwohner:innen – auf einer Fläche so groß wie Österreich und die Schweiz zusammen. Im Index der menschlichen Entwicklung (HDI) belegt Eritrea seit Jahren einen der hintersten Ränge, wegen des autokratischen Regimes von Diktator Isayas Afewerki wird es als „Nordkorea Afrikas“ bezeichnet. Jährlich verlassen Tausende das Land, aus Angst vor Verfolgung oder um dem unbefristeten, teils mehrere Jahrzehnte dauernden Militärdienst zu entfliehen. Wer beim Grenzübertritt erwischt wird, landet hinter Gittern. Teklay riskiert es trotzdem. Er schlägt sich bis in die Türkei durch, bezahlt einem Schlepper 1.500 Euro und schippert in einem überfüllten Schlauchboot nach Griechenland. Dort versteckt er sich ohne Wissen des Fahrers unter einem Lkw – „Ja, das geht!“ – und landet im Jahr 2010 im niederösterreichischen Traiskirchen.

Gere Teklay: Gesucht, gefunden, hingehalten

Bereits vor seiner Flucht arbeitet der heute 40-Jährige als Pflegeassistent, von 2003 bis 2009, die längste Zeit während seines in Eritrea verpflichtenden Militärdienstes. In Eritrea absolviert er seine Ausbildung, versorgt im Militärspital Wunden, setzt Spritzen, verteilt Medikamente. Kurz: Teklay weiß, wie der Hase läuft. Und: Menschen wie er sind in Österreich wegen der Pflegekrise – eigentlich – gefragter denn je. Laut Gesundheitsministerium benötigt die Republik bis 2030 gut 50.000 zusätzliche Pflegekräfte. Nicht nur Spitzenpolitiker:innen buhlen derzeit weltweit um Personal. WKO-Generalsekretär Karlheinz Kopf fuhr auf den Philippinen unlängst schwere Geschütze auf – und warb mit dem Musical-Klassiker „Sound of Music“ um Pfleger:innen.

Portrait von Pfleger Gere Teklay in seiner Uniform in einem Krankenhaus.
Nette Kolleg:innen, herzliche Fürsorge: Zwei Drittel der Pflegekräfte wollen nicht bis zur Pension weitermachen, doch Gere Teklay ist begeistert von seinem Beruf. | © Markus Zahradnik

Doch Teklay verliert auf dem Weg nach Österreich sämtliche Zeugnisse. Er versucht es trotzdem, er brennt für den Beruf, kann sich nichts anderes vorstellen. Bei seiner ersten Bewerbung zur Ausbildung als Pflegeassistent in Österreich scheitert er an der schriftlichen Deutschprüfung. In den folgenden Jahren versucht er es wieder und wieder, insgesamt siebenmal. In der Zwischenzeit absolviert er Deutschkurse und arbeitet als Reinigungskraft am Flughafen, als Küchenhilfe in Klosterneuburg und kutschiert mit einem Transporter Corona-Tests und Lebensmittel durch Wien. Deutsch zu sprechen ist kein Problem mehr, aber mit dem Schreiben hapert’s.

„Mir war das alles zu viel“

Mit Unterstützung der Caritas und Freund:innen klappt es schließlich im September 2022 mit einem Ausbildungsplatz – zwölf Jahre nachdem er die Grenze überquert hat. „Und im ersten Monat der Ausbildung habe ich fast alles hingeschmissen“, erinnert sich Teklay. Innerhalb weniger Monate soll er Prüfungen in Anatomie, Pathologie und Pharmazie ablegen. „Mir war das alles zu viel.“ In seinem Schlafzimmer richtet er sich ein eigenes, abschließbares Büro ein, kauft sich Kopfhörer, damit er abends in Ruhe lernen kann. Seine zwei Kinder müssen draußen bleiben. „Ich habe gekämpft“, sagt Teklay. Zwei Tage vor der entscheidenden Pharmazie-Prüfung bringt seine Frau ihr drittes gemeinsames Kind zur Welt. „Wieder Krise.“ Mit etwas Nachsicht der Direktorin nimmt er auch diese Hürde. „Nur ein Dreier, aber passt schon“, grinst er.

Gere Teklay schafft es mit Herz und Geduld

Unmittelbar nach der Ausbildung, im September 2023, beginnt Teklay im Haus der Barmherzigkeit am Maurer Berg zu arbeiten. Spricht er von seinen Kolleg:innen, mischen sich Schwärmerei und Wienerisch. Die seien alle „urlieb“. „So etwas findet man nicht überall. Ich bin so froh, dass ich da bin.“ Nicht alle Beschäftigten in der Branche schwärmen vom Pflegeberuf. Sie klagen über Personalmangel, schlechte Bezahlung, überlange Arbeitszeiten und hohe physische wie psychische Belastungen. Laut einer Umfrage können sich zwei Drittel aller Pfleger:innen hierzulande nicht vorstellen, diese Arbeit bis zur Pension auszuüben, 15 Prozent haben „konkrete Absichten“, den Beruf zu wechseln.

„Ich vergleiche immer, wo ich war, wo ich herkomme und wo ich jetzt bin“, sagt Teklay. „Klar, Pflege ist nicht leicht. Du arbeitest mit alten, kranken oder dementen Menschen.“ Während der Nachtschichten ist Teklay oft auf sich gestellt. Eine Person stürzt, die andere hat Bluthochdruck, im dritten Zimmer ist der Zucker zu hoch. Plötzlich stehe man mit vier, fünf oder sechs Notfällen gleichzeitig da, alleine. „Aber das passiert. Dafür wurde ich ausgebildet. Das ist mein Beruf.“ Ein „starkes Herz und Geduld“ sind für Teklay die wesentlichen Voraussetzungen im Pflegeberuf. Alte Menschen bräuchten viel Unterstützung, manchmal Trost, meistens bedanken sie sich herzlich dafür, ein andermal werde man beschimpft. Das müsse man verstehen, auch das sei Teil des Berufs. „Ich kümmere mich um alle, als wären es meine eigenen Eltern.“

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Über den/die Autor:in

Johannes Greß

Johannes Greß, geb. 1994, studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet als freier Journalist in Wien. Er schreibt für diverse deutschsprachige Medien über die Themen Umwelt, Arbeit und Demokratie.

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