Generationenvielfalt im Betriebsrat
Heute schätzt Ney die gute Mischung im Betriebsrat der PVA, der 16 Personen umfasst. Darunter sind solche, die schon lange gewerkschaftlich aktiv sind, jene, die schon länger im Unternehmen, aber neu im Betriebsrat sind, und dann noch die an Lebensjahren jungen Kolleg:innen. Arbeit&Wirtschaft konnte im Kund:innenzentrum in der Ghegastraße nahe dem Wiener Belvedere mit mehreren Betriebsratsmitgliedern sprechen und nützliche Hinweise einholen. Denn den PVA-Betriebsrat zeichnet eine altersmäßig diverse Zusammensetzung aus. Ein solcher Mix wird vielerorts gesucht – sowohl in Betriebsräten als auch, was die gesamte Belegschaft betrifft.
Der Arbeitsmarkt steckt mitten in einem gewaltigen Umbruch: In den kommenden fünf bis zehn Jahren gehen 300.000 Menschen in Österreich in Pension, und ihre Nachfolge ist in vielen Fällen noch nicht geklärt. Hintergrund ist, dass die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre das Pensionsalter erreichen. Nicht nur der Anteil älterer, auch die Zahl gesundheitlich beeinträchtigter Arbeitnehmer:innen wird dadurch deutlich steigen.
Ausgewogene Altersverteilung ist ein Problem für Betriebe
Laut einer Studie der Arbeiterkammer zum Fachkräftebedarf aus 2024 schaffen nur wenige Betriebe eine ausgewogene Altersverteilung der Beschäftigten. Das Paper stützt sich u. a. auf Zahlen des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), wonach nur 3,6 Prozent von mehr als 45.000 untersuchten Betrieben eine Balance in Sachen Generationenvielfalt gelungen ist. Der Handlungsbedarf ist also groß. Betriebsräten kommt dabei eine zentrale und doppelte Rolle zu: Einerseits kann das Gremium das Miteinander von Arbeitnehmer:innen unterschiedlichen Alters im Betrieb mitgestalten und erleichtern, nicht zuletzt, weil Fragen und Sorgen der Belegschaft bei ihm landen. Andererseits stehen die Gremien vor den gleichen Herausforderungen wie die Betriebe, denn der demografische Wandel betrifft auch sie.
Im Betriebsrat der PVA, der mehr als 2.000 Beschäftigte vertritt, haben in den vergangenen Jahren einige Kolleg:innen, die kurz vor der Pensionierung standen, aufgehört, und Jüngere sind nachgefolgt. Jetzt sind die meisten Betriebsratsmitglieder zwischen 30 und 50. Dass die Zeichen rechtzeitig erkannt wurden, ist aber keine Selbstverständlichkeit.
Systematische Überzeugungsarbeit
Seit zwei bis drei Jahren sprechen Peter Schissler, Bundesgeschäftsführer für Bildung und Personalentwicklung bei der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE), und sein Team systematisch alle Betriebsratsvorsitzenden im Alter von mehr als 55 Jahren in den Sektoren der Gewerkschaft an. Sie weisen dabei darauf hin, dass der Generationenwechsel zumindest zwei Jahre Vorlaufzeit braucht. Oft müssen die Nachfolger:innen Ausbildungen wie die Betriebsräte- oder die Sozialakademie machen – für letztere werden die Betroffenen zehn Monate freigestellt.
Übergabemomente sind aber auch aus einem anderen Grund heikel: Laut Schissler nutzen Arbeitgeber:innen ungeklärte Nachfolgesituationen im Betriebsrat gerne aus. Mitunter würden sie dafür sorgen, dass ihnen wohlgesonnene Mitarbeiter:innen den Vorsitz übernehmen. „In ein paar Fällen sind die Arbeitgeber:innen mit dieser Methode durchgekommen“, sagt Schissler. „Eine gute Nachfolgeregelung schützt also auch vor Union Busting“, also der Sabotage ernsthafter Arbeitnehmer:innenvertretung.
Vorausplanen, um den Sprung ins kalte Wasser zu vermeiden
Trotzdem ist manchmal Überzeugungsarbeit nötig. Schissler: „Manche sagen: Ich will darüber nicht reden, ich hab eh noch Zeit. Dann sprechen wir so lange mit ihnen, bis sie bereit sind, sich auf den Prozess einzulassen.“ Er erlebe gelegentlich noch „Betriebsratskaiser“, die ihre Macht partout nicht abgeben wollten. Sie würden nicht kommunizieren, wann sie planen in Pension zu gehen. Für ihr Umfeld komme ihr Abgang plötzlich – und so müssen die Nachfolger:innen am Tag X ins kalte Wasser springen, und das Know-how der Alten geht verloren.
Was wirke, so Schissler, sei die Frage: „Willst du wirklich, dass dein Lebenswerk kaputtgeht? Wenn nicht, benötigen wir schon jetzt dein Okay.“ Es gehe bei der Nachfolgeplanung nicht um ein Rausdrängen der Älteren, sondern um die Wertschätzung ihrer Errungenschaften. Schissler motiviert die Jungen dazu, ihre Vorgänger:innen mit einer Abschiedsfeier zu würdigen, anstatt sie nach der Schlüsselübergabe einfach ziehen zu lassen.
Generationenvielfalt ist kein Spaziergang
So zentral die Bereitschaft der älteren Generation ist loszulassen, so essenziell ist auch, dass jüngere Generationen bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Christian Bühringer, Betriebsratsvorsitzender bei der PVA Wien, betont, dass die Aufgaben nicht zu unterschätzen seien. „Die Person, die nachkommt, muss einige Voraussetzungen mitbringen“, sagt er. „Sie sollte ein gewisses Know-how haben, empathisch sein, sozial und solidarisch denken und weder nur lieb noch nur kämpferisch sein.“ Bühringer hält laufend Ausschau nach geeigneten Kolleg:innen, auch weil Betriebsratsmitglieder aufgrund einer Krankheit oder eines neuen Berufswegs wegfallen können. Manche täten sich schwer, Betriebsratsarbeit sei nun einmal „kein Spaziergang“. Bühringer achtet bei potenziellen neuen Mitgliedern auf Faktoren wie Geschlecht, in welcher Abteilung sie arbeiten und welche individuellen Schwerpunkte sie haben – damit die Teammitglieder einander gut ergänzen.
Martin Kornherr, IT-Techniker bei der PVA, ist mit 28 Jahren der Jüngste im Betriebsrat – und ein gutes Beispiel dafür, wie die Inklusion verschiedener Generationen funktionieren kann: Er ist in die Betriebsratstätigkeit hineingewachsen. Da er zuvor Vorsitzender des Jugendvertrauensrats (JVR) in der PVA war, wusste er, wie man mit den Anliegen von Kolleg:innen umgeht und selbstbewusst Forderungen an Arbeitgebervertreter:innen stellt. Schon als JVR hatte er an den Betriebsratssitzungen teilgenommen, dort mitentschieden, mitgestaltet. Wer „ein bisschen nervig“ und „goschert“ sei und sich traue, etwas einzufordern, ohne provokant und beschimpfend zu sein, falle dort positiv auf. Zudem engagiert sich Kornherr ehrenamtlich in der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) und hat – als Einziger im Betriebsrat – die höchstmögliche gewerkschaftliche Ausbildung, die Sozialakademie, absolviert.
Vorurteile gegenüber der Jugend
Korenherr zeigt: Auch die Jungen von heute wollen mithelfen. Kein Wunder, dass Richard Tiefenbacher, Vorsitzender der ÖGJ, nichts davonhält, ihnen Arbeitsverweigerung vorzuwerfen. „Die Jugend von heute möchte nicht zu den Voraussetzungen arbeiten, die teilweise geboten werden“, sagt er. Viele seien aufgrund der schwindenden Versprechen in unserer Gesellschaft unzufrieden: „Sie wissen: Selbst wenn sie viel und lange arbeiten, können sie sich trotzdem nie eine Wohnung oder ein Eigenheim im Grünen leisten.“ Auch der Mythos der nicht finanzierbaren Pensionen verunsichere viele.
Oft fehle es an Wissen, so der ÖGJ-Vorsitzende. In Vorträgen frage er etwa Jugendvertrauensräte gerne, ob das 13. und 14. Gehalt gesetzlich vorgeschrieben seien. „99 Prozent glauben, das steht im Gesetz. Ich sage ihnen dann: ‚Freunde, ich weiß nicht, wer euch das beigebracht hat, aber wir müssen das jedes Mal in den Kollektivvertragsverhandlungen erkämpfen.‘“ Diese emotionale Ansprache komme bei den Jungen ebenso wie lebendige Geschichten über die Entstehung der Gewerkschaftsbewegung gut an. Es sei aber „gar nicht so einfach, junge Menschen für arbeitspolitische und Gewerkschaftsarbeit zu gewinnen“, so Tiefenbacher. Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit müssten nicht zuletzt Betriebsräte im Betrieb leisten, und das jeden Tag aufs Neue.
Generationenvielfalt und -management
Neben Nachwuchsarbeit ist Generationenmanagement ein entscheidender Hebel, mit dem man die demografischen Herausforderungen meistern kann. Marlene Wallner ist bei der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) für Organisationsentwicklung und Projektmanagement zuständig. „Heute sind viel mehr Generationen in einem Unternehmen tätig als noch vor 20 Jahren“, betont sie – Konfliktpotenzial inklusive. Wenn Mitarbeiter:innen unterschiedlichen Alters im Betrieb nicht an einem Strang ziehen, würde wertvolles Wissen nicht weitergegeben.
Mithilfe von Generationenmanagement könnten sich Firmen anpassen. Wallner empfiehlt generationenübergreifenden Teams Workshops, in denen die andere Seite angehört wird. Im ersten Schritt sollte es um Fragen gehen wie: „Wie bist du aufgewachsen – zum Beispiel mit welchen Technologien? Welche Werte hast du mitbekommen? Was hast du in deiner bisherigen Arbeitszeit gelernt?“ Im zweiten Schritt würde geklärt, wie die unterschiedlichen Hintergründe genutzt werden können, damit man voneinander profitiert: „Welche Tipps und Tricks habt ihr für uns? Was können wir euch geben?“
Führungskräfte bei Generationenvielfalt in der Pflicht
Besondere Verantwortung würden laut Wallner Führungskräfte und Personalverantwortliche tragen. Sie sollten die Bedürfnisse der Arbeitnehmer:innen kennen und etwa dafür sorgen, dass alter(n)sgerechtes Lernen und Arbeiten im Betrieb funktionieren. Beim altersgerechten Arbeiten wird darauf geachtet, dass ein Arbeitsplatz für das jeweilige Alter geeignet ist. Alternsgerechtes Arbeiten erstreckt sich über das gesamte Berufsleben und bedeutet, den Arbeitsplatz und das Tätigkeitsfeld an individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten anzupassen.
„Oft hat man im Kopf, dass beides nur die ältere Generation betrifft, aber das Thema erstreckt sich über das gesamte Erwerbsleben“, sagt Wallner. „Es geht darum, die Beschäftigungsfähigkeit bis zum Pensionsantritt zu ermöglichen, damit Menschen lange produktiv und motiviert im Unternehmen bleiben.“ Dazu gehöre, flexible Arbeitszeiten anzubieten, wenn Mitarbeiter:innen Weiterbildungen absolvieren, Kinder bekommen oder Angehörige pflegen. Das kann aber auch etwas wie ein Arbeitsplatz mit einem höhenverstellbaren Tisch sein. Wichtig sei Transparenz: „Indem Führungskräfte offen und klar kommunizieren, warum sie welche Maßnahmen setzen, können sie Neid und Eifersucht vorbeugen.“
Von erfahrenen Kolleg:innen profitieren
Zurück in der PVA im dritten Wiener Gemeindebezirk. Obwohl Isabella Ney schon länger im Unternehmen ist, kann sie im Betriebsrat Neues dazulernen. Wenn es um informelles Wissen geht, profitieren neue Betriebsratsmitglieder wie sie von der Offenheit erfahrener Betriebsrats-Kolleg:innen, besonders vom politischen Wissen derer, die auch Funktionen in der Gewerkschaft oder etwa im Gemeinderat innehaben. Gerne geben ihr Kolleg:innen Tipps, berichtet Ney, etwa: „Diese Person musst du so ansprechen. An diese Person musst du ein Problem auf diese Art herantragen.“
Ney arbeitet sich in die Rechtsmaterie ein: durch Weiterbildung und eigenständiges Nachlesen. Betriebsratsvorsitzender Bühringer, studierter Jurist, nehme sich Zeit, um gemeinsam Gesetzestexte zu lesen, sodass alle Mitglieder die Inhalte verstehen. „Sowohl junge Kolleg:innen als auch vom Dienstalter her junge Kolleg:innen sehen andere Dinge als jemand wie ich, der vielleicht schon ein bisschen betriebsblind ist“, sagt Ney. Umgekehrt sei auch sie ein Gewinn für das Kollegialorgan, denn sie kennt das Unternehmen, die Kolleg:innenschaft und die Entwicklungen der vergangenen Jahre.
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— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 6. Dezember 2024 um 09:58
Diversität, Teamwork, Wissensaustausch und gegenseitige Wertschätzung sind also die Zauberwörter bei der Staffelübergabe. Es geht darum, den großen demografischen Entwicklungen, die auf alle zukommen, als dynamisches, vielseitiges Team zu begegnen – und nicht im Alleingang mit Scheuklappen weiterzumachen, bis es zu spät ist.
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