Warum das Stanzertal eine der ersten Energiegemeinschaften Österreichs gründete

Seit Kurzem erzeugt Stefan Schwaighofer auf dem alten Stall seines Bauernhofs Strom – und den teilt er als Mitglied der Energiegemeinschaft Stanzertal schon bald mit anderen Stanzer:innen. | © Markus Zahradnik
Seit 2021 können in Österreich Privathaushalte, KMUs und Gemeinden Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften gründen. Stanz im Mürztal gründete eine der ersten. Die Gemeinde will sich so vom Strommarkt unabhängig machen und langfristig die CO2-Emissionen im Gebäudebestand um 100 Prozent reduzieren.
Stefan Schwaighofer war von Anfang an dabei. Der Vollerwerbsbauer kam 2021 in die Mehrzweckhalle seines Heimatortes Stanz im steirischen Mürztal und hörte sich mit Maske und Abstand zu den anderen Anwesenden den Vorschlag des Bürgermeisters und einiger Mitstreiter:innen an, die anregten, eine Energiegemeinschaft (EG) im Stanzertal zu gründen. Schwaighofer schnappte sich eines der Anmeldeformulare und wurde Teil einer der ersten österreichischen Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (EEG). Er musste nicht lange überlegen: „Ich bin schon länger in autarke Systeme involviert.“ Schwaighofer ist Biobauer in zweiter Generation und führt seine Landwirtschaft nach dem Permakultur-Prinzip. Zudem ist er Waldpädagoge, betreibt einen Gemeinschaftsgarten und hat ein Sortenerhaltungsprojekt mit 60 verschiedenen Apfel- und Birnensorten gestartet.

In Österreich ist es seit 2021 erlaubt, EEGs zu gründen und dafür bestehende Stromnetze zu nutzen. Dabei können sich auf regionaler Ebene etwa Privatpersonen, Firmen und Gemeinden, die Strom oder Wärme erzeugen, mit Verbraucher:innen zusammentun. Die nicht verbrauchte Energie landet bei jenen, die sie brauchen. So machen sich EGs von kommerziellen Stromanbietern unabhängiger und wissen, woher ihr Strom kommt. Meist erfolgt der Handel über einen selbst bestimmten statischen oder dynamischen Tarif. Strom und Wärme können in EGs aber auch verschenkt oder gespendet werden. Es gibt EGs, die eigens zur Förderung sozial benachteiligter Menschen gegründet wurden. EEGs sind dabei regional begrenzt, etwa auf ein Dorf oder sogar nur zwei Haushalte. Zum Beispiel können Eltern mit einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach ihren Kindern Strom schenken. Gründen sie statt einer EEG eine Bürgerenergiegemeinschaft (BEG), können die Mitglieder sogar über ganz Österreich verteilt sein. Großunternehmen müssen immer eine BEG gründen.

„Gallisches Dorf“

Zurück in „die Stanz“, wie die Stanzer:innen ihren Ort liebevoll nennen, ins Jahr 2021. Am Infoabend rechneten Bürgermeister Fritz Pichler, Sven Aberle, Obmann der Energiegemeinschaft Stanzertal, und der jetzige Bürgermeister Dieter Schabereiter mit vielleicht zehn Interessierten. Gekommen sind fast 70 – und der größte Teil ist sofort beigetreten, darunter Stromproduzent:innen, reine Konsument:innen und auch „Prosumer:innen“, die also produzieren und konsumieren.

Porträt Fritz Pichler, Bürgermeister a. D.. Sein Dorf hatte eine der ersten Energiegemeinschaften in Österreich.
Fritz Pichler, Bürgermeister a. D., fragt sich: „Wie können wir die ganz großen Probleme dieser Welt in unserer kleinen Welt in der Stanz lösen?“ | © Markus Zahradnik

Sowohl Stefan Schwaighofer als auch Sven Aberle berichten von der Aufbruchstimmung damals – und die herrschte nicht zum ersten Mal. Das rund 1.800 Einwohner:innen große Dorf in einem Seitental des Mürztals unternimmt seit 2015 viel gegen Absiedelung und für Zuzug. Damals übernahm eine unabhängige Liste rund um Quereinsteiger Fritz Pichler das Bürgermeisteramt. So wurde der Ortskern inklusive Gemeinderatszentrum umgebaut, ein neuer Dorfladen errichtet und eine Betreiberin dafür gesucht. Über „Trixis Dorfladen“ wurde ein Holzbau mit 16 Wohneinheiten errichtet. Diesen Prozess hat die Regisseurin Teresa Distelberger in „Rettet das Dorf“ dokumentiert. Die EG ist ein weiterer wichtiger Schritt in die Zukunft des „gallischen Dorfes“, das sich als einziges in der Steiermark erfolgreich dagegen gewehrt hat, mit einer anderen Gemeinde zusammengelegt zu werden, wie Fritz Pichler im Film erzählt.

Mit offenen Armen

Nach der Infoveranstaltung folgte eine weitere Überraschung, als es darum ging, sich einen Überblick über den Energieverbrauch und die Kosten der Bürger:innen zu verschaffen. Bürgermeister Schabereiter erzählt: „Irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir die Häuser in der Ortschaft abklappern und die Leute fragen mussten: ‚Womit heizen Sie? Was zahlen Sie?‘“ Anstatt wie erwartet bei dem sensiblen Thema abzuwinken, hätten alle offene Arme gehabt und ihre Daten zur Verfügung gestellt.

Irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen,
wo wir die Häuser in der Ortschaft abklappern und die Leute fragen mussten:
‚Womit heizen Sie? Was zahlen Sie? 

Dieter Schabereiter, Bürgermeister von Stanz

Die EEG ist Teil einer größeren Energietransformationsstrategie: Stanz will zur Plusenergiegemeinschaft werden. Ein konkretes Ziel ist etwa, die CO2-Emissionen im Gebäudebestand langfristig um 100 Prozent zu reduzieren. Dafür wurden bereits diverse Maßnahmen gesetzt – eine der wirkungsvollsten war das Projekt Nahwärme: So haben der Stanzer Karl Kaltenbrunner und der Nicht-Stanzer Johann Ziegerhofer ein Nahwärmekraftwerk gekauft und komplett saniert. Viele Stanzer:innen sind seither von Heizen mit Gas oder Öl auf Biomasse-Nahwärme umgestiegen – konkret entsteht die Wärme durch Verbrennung von Schadholz aus der Stanz und der nahen Umgebung. Der Anteil von Gas und Öl sank so von mehr als drei Viertel auf weniger als ein Viertel der gesamten Beheizung im Ortskern.

Ein Mann schaut in einen Ofen. Symbolbild für eine Energiegemeinschaft.
Die Stanzer:innen verheizen ihr eigenes Schadholz aus der Region und konnten damit die CO2-Emissionen schon stark senken. | © Markus Zahradnik

Wasser- und Windkraft

Ein weiterer Schritt soll bald folgen: Der Betreiber eines Wasserkraftwerks wird der EEG beitreten und einem entscheidenden Problem Abhilfe schaffen: PV-Anlagen liefern, sofern ohne Speicher, nur bei Tageslicht Strom. Fernseher und Nachttischlampe werden also in der Regel mit zugekauftem Strom betrieben. Mit der Wasserkraft wird man der autarken Stromversorgung in Stanz ein gutes Stück näherkommen. Auch an einem Windkraftwerk will man sich in Zukunft beteiligen. Vorher, nämlich diesen Sommer, soll eine PV-Anlage mit einer Leistung von 60 kWh plus Speicher auf das Dach der Volksschule kommen.

Porträt Stefan Schwaighofer. Er sitzt hinter zwei Ziegen.
Bio- und Permakultur-Bauer Stefan Schwaighofer ist bereits Mitglied der EEG Stanzertal: „Ich bin schon länger in autarke Systeme involviert.“ | © Markus Zahradnik

Permakultur-Bauer Stefan Schwaighofer blickt schon heute zufrieden auf das Dach seines alten Stalls, in dem Rinder, Schafe und Hühner untergebracht sind: Im Herbst vergangenen Jahres ließ er dort neun mal fünf Photovoltaik-Module montieren. Ein Speicher wird folgen, wobei er hofft, eine gute Alternative zur Batterie zu finden. So setzt er jetzt nicht mehr nur bei Tieren und Pflanzen auf Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit, sondern auch beim Strom. Er kann mit der PV-Anlage bis zu 60 Prozent seines Strombedarfs abdecken – der Brotofen braucht besonders viel. Doch es gibt auch Tageszeiten, zu denen die Anlage Strom produziert, er ihn aber nicht benötigt – diesen kann er künftig an die EG verkaufen.

Verlässliche Daten fehlen

Herbert Kohlhuber, Betreiber einer Zimmerei in der Stanz mit vier Mitarbeiter:innen, wartet noch mit dem Beitritt zur EG. Er hat eine PV-Anlage mit 50 kWh und möchte den Strom auch für sein Privathaus nutzen, was für ihn als Mitglied der EG möglich wäre. Er ist einer der Vorsichtigen, die sich erst anschauen, ob bzw. wie das Ganze funktioniert. Bald hat er Klarheit, denn sofern auf den letzten Metern alles gut geht, wechselt die EEG im Herbst 2024 vom Test- in den Realbetrieb. Vom Weg hierher berichteten Anfang Juni die federführend Beteiligten sowie externe Dienstleister bei einem Symposium zur EEG Stanzertal im Gemeindeamt – u. a. Fritz Pichler, Sven Aberle, die Betreiber des Nahwärmekraftwerks und externe Expert:innen. Alle berichten, dass das Schwierigste an dem Prozess war, verlässliche Daten zu bekommen.

Porträt Herbert Kohlhuber. Auch er profitiert von der Energiegemeinschaft.
Zimmerer Herbert Kohlhuber hat eine PV-Anlage auf einem Betriebsgebäude – den Strom würde er gern auch privat nutzen. In einer Energiegemeinschaft ist das möglich. | © Markus Zahradnik

Der externe Berater Thomas Zeinzinger, der Vorschläge zum Geschäftsmodell in der EEG Stanzertal gemacht hat und selbst Vorstand der österreichweiten BEG 7Energy ist, erklärt: „Schlussendlich müssen die Messwerte von den Smart Metern der Teilnehmer:innen bei der Energiegemeinschaft landen. Sie muss wissen: Wer hat wie viel Strom aus der Energiegemeinschaft bezogen oder an sie geliefert?“ Weil aber die Daten der Netzbetreiber noch lückenhaft oder fehlerhaft sind, hat man sich für eigene Messgeräte entschieden, die jetzt im Testbetrieb bei zehn EEG-Mitgliedern laufen. Darauf basierend soll es demnächst einen eigenen Stanzer Stromtarif geben. Aber nicht nur das: Die Stanz will auch eine eigene Währung einführen: den Stanzer Taler. Hier denkt man über den Einsatz von Blockchain-Technologie und einer Wallet nach, um den Tausch der Währung zu ermöglichen.

Die Stanzer Revolution

Aber nicht nur in Stanz kommt die EG gut an. Der Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften zufolge gibt es bereits mehr als 1.500 aktive EEGs und 220 BEGs in Österreich, das hier ein klarer Vorreiter ist. Laut Leiterin Eva Dvorak waren vor allem Gemeinden First Mover: „Ein Grund dafür ist wohl das enge Netz an Klima- und Energiemodell-Regionen in Österreich, die durch den Klima- und Energiefonds seit vielen Jahren initiiert und entwickelt werden. Hier gibt es in den beteiligten Gemeinden ein großes Bewusstsein für regionale, erneuerbare Energie und auch die entsprechende Erfahrung mit erneuerbaren Energien.“

Eine Darstellung der aktiven Energiegemeinschaften in Österreich. Es gibt mehr als 1.500 Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften. 220 davon sind Bürgerenergiegemeinschaften. Quelle für diese Zahlen ist die Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften.

Fritz Pichler blickt zufrieden auf die vergangenen Jahre, in denen er bis vor Kurzem als Bürgermeister die Stanz mitgeprägt hat – auch mit dem Aufbau der EEG Stanzertal: „Wir haben uns von Beginn an gefragt: Wie können wir die ganz großen Probleme dieser Welt in unserer kleinen Welt in der Stanz lösen?“ Alles auf einmal zu lösen würde eine Weltrevolution auslösen – und Weltrevolutionen seien alle schiefgegangen. Daher ist für ihn klar: „Wir können nur vor unserer Haustür schauen, was wir ändern können.“ Und vor ihrer Haustür können sie erstaunlich viel ändern.

Drei Fragen zur Energiegemeinschaft

Eva Dvorak leitet die Österreichische Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften, eine Servicestelle des Klima- und Energiefonds.

Was bewirken Energiegemeinschaften (EGs) politisch?

Die Menschen wünschen sich eine krisensichere, saubere Energieversorgung. Die Möglichkeit, Teil einer EG zu sein, erfüllt genau das: erneuerbare Energie aus der Region zu fix vereinbarten Preisen. Das gibt Planungssicherheit und schafft Gewissheit, aktiv etwas für den Klimaschutz zu tun. Energiepolitik ist damit bei den Haushalten und Konsument:innen angekommen. Das ist gelebte Energiewende.

Wie beliebt sind Sozialtarife oder das Stromspenden innerhalb von EGs?

Solidarische EGs sind ein neuer Schwerpunkt unserer Arbeit. Die Ausrichtung auf Gewinn ist per Gesetz nicht vorgesehen. Vielmehr sollen EGs ihren Mitgliedern und Regionen ökologische, soziale und wirtschaftliche Vorteile bringen. Außerdem entwickeln Gemeinschaften neue Antworten auf Energiearmut und können zum Beispiel einkommensschwachen Haushalten günstigen lokal erzeugten Strom anbieten.

Inwiefern sind EGs auch für Unternehmen und deren Mitarbeiter:innen interessant?

Oft ist in Unternehmen am Wochenende niemand vor Ort – dann kann der auf dem Firmendach produzierte Strom Mitarbeiter:innen zu Hause zur Verfügung gestellt werden. Manche nutzen EGs zur Kund:innenbindung: Einer Bürgerenergiegemeinschaft (BEG) können sogar österreichweit Kund:innen beitreten. Auch können sie Mitarbeiter:innen und Kund:innen ermöglichen, E-Autos auf dem Firmenparkplatz aufzuladen. Viele Unternehmen nutzen EGs auch für ihr Marketing, um sich umweltfreundlich und nachhaltig darzustellen. Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften sind auf regionale Nutzung beschränkt, und es können nur KMUs mitmachen. Großunternehmen können dagegen nur an BEGs teilnehmen. Ein Unternehmen alleine kann noch keine EG gründen – gemeinsam mit Mitarbeiter:innen geht das.

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Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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