Gemeinden und ihre Finanzen: Haushaltshilfe gesucht!

Illustration (C) Miriam Mone

Inhalt

  1. Seite 1 - Die Schwäbische Hausfrau
  2. Seite 2 - Blick nach Trumau
  3. Seite 3 - Vier bekannte Krisenlektionen
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Ein Staatshaushalt funktioniert nicht wie ein Privatkonto. Denn auf Bundesebene sind Schulden nicht per se schlecht, und Ausgabenkürzungen können den Haushalt sogar belasten. Missverständnisse, unter denen vor allem Gemeinden leiden.
Gramais in Tirol ist die Gemeinde in Österreich mit den höchsten Schulden pro Einwohner:in. Dafür gibt es zwei einfache Gründe. Erstens leben in Gramais weniger als fünfzig Menschen und zweitens hat die „Perle des Lechtals“ ein Kleinwasserkraftwerk und eine Abwasserentsorgung errichtet. Dank Förderungen sind die Darlehen gedeckt, das Kraftwerk erwirtschaftet jedes Jahr Gewinn, und der Schuldenstand geht seit Jahren zurück.

Die Gemeinde hat damit langfristig Vermögen aufgebaut. Für die Menschen, die dort leben, gibt es keine Nachteile. Warum sollte das auf Bundesebene anders sein? Ist es nicht, erklärt Jana Schultheiß, Referentin für öffentliche Haushalte und Sozialstaat in der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien: „In der öffentlichen Debatte wird immer nur vom Schuldenstand gesprochen. Neue Schulden werden nur als Belastung wahrgenommen. Dabei wird verkannt, dass dahinter auch Werte stecken. Sind sie auf Investitionen zurückzuführen, werden sie zu öffentlichem Vermögen, das den Schulden gegenübersteht.“

Jetzt Schulden abbauen? Keine gute Idee, sagt AK-Expertin Jana Schultheiß: „Es wäre vernünftiger zu investieren. Die Frage des Vermögensaufbaus ist derzeit viel zentraler, um neue Werte für künftige Generationen zu schaffen.“ (C) Christopher Glanzl

Die Schwäbische Hausfrau

Das liegt vor allem daran, dass sich auf Bundesebene der populistische Vergleich mit dem Privathaushalt durchgesetzt hat. Die deutsche – inzwischen – Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dem öffentlichen Diskurs diese Metapher eingebrockt, als sie im Rahmen der Finanzkrise bei einer Rede in Stuttgart 2008 forderte: „Man hätte einfach nur die schwäbische Hausfrau fragen sollen.“ Ein Menschenschlag, der in Deutschland als besonders sparsam gilt. Diese Eigenschaft hat Merkel auf den Bundes- und Europahaushalt übertragen. Doch der Vergleich ist schlicht unzulässig, wie Schultheiß betont: „Hinter dem Bild der schwäbischen Hausfrau steckt die Idee, eine Kürzungspolitik zu rechtfertigen. Das Bild appelliert an das Verständnis der Bürger:innen. Eine schwäbische Hausfrau kauft nur Dinge, die sie sich leisten kann, weil sie gut gewirtschaftet hat. Da gab es eine große moralische Komponente. Zudem wurde das Bild vertieft, dass der Privathaushalt mit dem Staatshaushalt gleichzusetzen ist. So einfach diese Aussage ist, so falsch ist sie auch!“

Bleiben bei einem Privathaushalt die Einnahmen gleich, während die Ausgaben verkleinert werden, bleibt am Monatsende Geld übrig. Beim Staatshaushalt sind Ausgaben und Einnahmen aber voneinander abhängig. Senkt die Regierung die Sozialausgaben, passiert vereinfacht Folgendes: Die Einnahmen der Bürger:innen sinken, weswegen sie weniger konsumieren können. Unternehmen haben mit weniger Nachfrage zu kämpfen und drosseln die Produktion. Das verringert die Steuereinnahmen und erhöht die Arbeitslosigkeit. „Auf den ersten Blick wirkt das vielleicht paradox: Ausgabensenkungen können dazu führen, dass das Defizit steigt“, fasst Schultheiß die Situation zusammen.

Hinter dem Bild der schwäbischen Hausfrau steckt die Idee, eine Kürzungspolitik zu rechtfertigen. 

Jana Schultheiß, AK-Expertin

Wie die Tiroler Schuldenmeister aus Gramais zeigen, gibt es beim Staatshaushalt eine zweite Ebene: die Gemeinden. Deren größte Einnahmequelle sind Ertragsanteile. Das ist ihr Stück vom Steuerkuchen, den sie vom Bund bekommen – vor allem Umsatzsteuer, Lohnsteuer und Körperschaftsteuer. In der Corona-Krise blieben nur noch Krümel übrig.


Blick nach Trumau

Doch die Aufgaben der Gemeinden sind essenziell und können nicht einfach wegen sinkender Einnahmen eingestellt werden: Trinkwasserversorgung, Investitionen in Schulen und Kindergärten, Müllentsorgung. Die Liste ist lang. Entsprechend klar waren von Anfang an die Forderungen an die Bundesregierung. „Um die Gemeinden und Städte zu unterstützen hätte es den hundertprozentigen Ersatz des Einnahmenverlustes – 250 Euro pro Einwohner:in als direkte Förderung vom Bund, ca. 2,2 Milliarden Euro – und ein zusätzliches Investitionspaket geben müssen“, sagt Andreas Kollross (SPÖ), Bürgermeister der Marktgemeinde Trumau und Nationalratsabgeordneter.

Das gab es von der schwarz-grünen Regierung nicht. Die stellte stattdessen das Kommunalinvestitionsgesetz auf die Beine, das jedoch einen Haken hatte, erklärt Kollross: „Das von der Regierung geschaffene Investitionsprogramm sowie die Sondervorschüsse in Höhe von einer Milliarde Euro können nämlich insbesondere von finanzschwachen Gemeinden nicht abgerufen werden, weil sie den 50-prozentigen Kofinanzierungsanteil nicht aufbringen können.“

Ein Problem, das die Gemeinden noch lange beschäftigen wird, wie der Bürgermeister glaubt: „Dass ein Teil in den nächsten Jahren wieder an den Bund zurückzuzahlen ist, löst in den Kommunen weitere Probleme aus und verstärkt die Finanzkrise nachhaltig. Das Zentrum für Verwaltungsforschung hat berechnet, dass durch die verpflichtende Rückzahlung der Hilfen aus dem zweiten Gemeindepaket an den Bund ab 2024 erneut eine signifikante Verschlechterung der finanziellen Situation der Gemeinden eintreten wird.“ Für Lokalpolitiker:innen gehe es dabei um ganz unmittelbare Dinge wie Müllentsorgung und Trinkwasserversorgung, nicht um Parteipolitik oder parlamentarische Befindlichkeiten. Doch genau die müssen sie dann eben ausbaden. Weil es eben nicht leicht sei, ein Kommunalbudget zu erklären, und es der Bevölkerung vor Ort manchmal auch egal sei, wie Kollross erklärt. Seine Forderungen, um gemeindeeigene Dienstleistungen aufrechterhalten zu können, sind entsprechend deutlich: „Für die Gemeinden braucht es eine 100-prozentige Abgeltung des finanziellen Ausfalls durch die Corona-Krise, den ersatzlosen Entfall der Rückzahlungsverpflichtung aus dem zweiten Gemeindepaket und die Weiterführung des Kommunalinvestitionsprogramms mit einem jährlichen Volumen von einer Milliarde Euro bis 2024.“

Die Probleme sind nicht neu. In der Finanzkrise 2008 habe es ähnliche Diskussionen und einen Investitionsstau in den Gemeinden gegeben, wie Schultheiß erinnert: „In der Corona-Krise ist es deswegen wichtig, darauf zu schauen, dass die Gemeinden genug Mittel zur Verfügung haben, um weiter investieren zu können. Kommt es zu einem Investitionsstau, merkt man das ein paar Jahre später sehr deutlich an der Infrastruktur.“

Es kamen viele schwarze Bürgermeister auf mich zu, weil sie sich von der Bundesregierung während der Corona-Krise im Stich gelassen gefühlt haben. 

Andreas Kollross, Bürgermeister Trumau

Kollross und die SPÖ stehen mit den Forderungen nicht allein da. Denn bei den Schwierigkeiten in den Kommunen handelt es sich um ein parteiübergreifendes Problem. „Es gab viele schwarze Bürgermeister, die auf mich zugekommen sind, weil sie sich von der Bundesregierung während der Corona-Krise im Stich gelassen gefühlt haben“, so der Trumauer Bürgermeister.

Dieses Problem sei aktuell leicht zu vermeiden, erklärt Schultheiß. Österreich kann sich zu Nullzinsen Geld leihen und die Investor:innen stünden Schlange. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es absolut falsch, Schulden abzubauen. Und weiter: „Es wäre vernünftiger zu investieren. Die Frage des Vermögensaufbaus ist derzeit viel zentraler, um neue Werte für künftige Generationen zu schaffen.“

Sparpolitik ist eben nicht alternativlos, wie auch Schultheiß aufzeigt: „Auf der Einnahmenseite gibt es die Möglichkeit der vermögensbezogenen Steuern. Da sehe ich Aufholbedarf. Vergleicht man Österreich international, sieht man, dass wir sehr geringe oder gar keine Steuern auf Vermögen oder große Erbschaften haben.“


Vier bekannte Krisenlektionen

Es wird Zeit, dass die Regierung aus der Finanzkrise 2008 lernt. Trotz einer Wirtschaft, die am Boden lag, und gewaltigen Investitionsbedarfs im sozialen Bereich setzten die wirtschaftlichen Großmächte in Europa – allen voran Deutschland – damals ein brutales Spardiktat durch. Die Europäische Union leidet darunter bis heute. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) aus Deutschland hat Studien dazu gesichtet und kam unter anderem zu folgenden vier Erkenntnissen:

  1. Die USA setzten nach der Finanzkrise 2008/09 auf eine Investitions- statt auf eine Sparpolitik. Bis ins Jahr 2016 sank dort die Arbeitslosigkeit von 9,6 auf 4,9 Prozent. In Europa war sie mehr als doppelt so hoch.
  2. In Staaten, in denen die rigide Sparpolitik besonders starke ökonomische oder soziale Auswirkungen hatte, kam es zu einem starken Anstieg des Rechtspopulismus. Vor allem in Frankreich, Italien, den Niederlanden und Österreich. Aus ökonomischer Sicht sind dafür vor allem die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die wachsende Ungleichheit verantwortlich.
  3. Konzentriert sich die Regierung eines Landes mitten in der Krise auf den Abbau der Schulden, werden die Kosten der Austeritätspolitik ignoriert. Diese
    zeigen sich vor allem in hoher Arbeitslosigkeit und Einschnitten im Sozialstaat, der als das Kapital der Menschen eines Landes gilt.
  4. Die Sparpolitik führte zu einer Absenkung der Reallöhne, einer Schwächung der Gewerkschaften und einem Rückgang der Tarifvereinbarungen. Hintergrund waren Gesetzesänderungen, mit denen Unternehmen solche unterlaufen konnten. Außerdem wurden die Kriterien für Flächentarifverträge so erhöht, dass kaum noch welche abgeschlossen werden konnten.

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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