Geld allein ist zu wenig

Foto (C) Eric Risberg/AP/picturedesk.com
Es ist zweifelhaft, dass die Bewohner von ­Chefetagen wie Marc Andreessen auf einmal ihr soziales Gewis- sen entdeckt haben, wenn sie für das bedingungs- lose Grundeinkommen eintreten. Vielmehr kann vermutet werden, dass sie sich vor einer weiteren Polarisierung zwischen Arm und Reich und deren Auswirkun- gen fürchten. Gegen diese Form des Grundeinkommens sprechen viele Argumente.

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Das bedingungslose Grundeinkommen löst kaum Probleme. Der Sozialstaat kann aber durch Aspekte dieses Ansatzes ergänzt und verbessert werden.
Die Tech-Elite des Silicon Valleys wagte als Erstes den Tabubruch: Im Sommer 2016 plädierte Facebook-Aufsichtsrat Marc Andreessen für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Wenig später folgte die Unterstützung durch Siemens-Chef Joe Kaeser. Die Digitalisierung drohe Millionen an Jobs zu prekarisieren oder wegzurationalisieren. Deshalb müsse den Menschen ein Einkommen – unabhängig von Arbeit – gesichert werden.

Vermeintlich soziales Gespür

Entdecken die Bewohner der Chefetagen auf einmal ihr soziales Gewissen, fürchten sie plötzlich Massenarbeitslosigkeit, schlechte Arbeitsbedingungen und haben sie Sorge, dass Menschen von ihrer Arbeit nicht mehr leben können? Vielleicht nehmen sie gar die Argumente der Alternativszene und katholischen Soziallehre ernst, die den enormen technologischen Fortschritt für ein selbstbestimmtes und von wirtschaftlichen Zwängen freies Leben nutzbar machen und so Armut und soziale Ausgrenzung in reichen Gesellschaften ausrotten wollen?

Angst vor Polarisierung

KritikerInnen meinen jedoch, die Tech-Chefs würden das soziale Gewissen bloß vortäuschen – in Wahrheit ginge es immer nur um Geschäftsinteressen. In den Chefetagen herrsche schlicht Angst vor weiterer Polarisierung zwischen Arm und Reich, die zu sozialen Aufständen führen könnte.

Das Vorbild der CEOs sei nicht Jesus Christus, sondern der deutsche Reichskanzler und „Sozialistenfresser“ Otto von Bismarck. Um den revolutionären Elan der ArbeiterInnen zu brechen, hatte er die sozialen Unruhen der 1870er- und 1880er-Jahre mit der Einführung einer Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung beantwortet.

Sozialstaat gibt Sicherheit

Doch immerhin entwickelte sich aus der zur Eindämmung revolutionärer Umtriebe erdachten Sozialversicherung eines der erfolgreichsten Projekte der Menschheitsgeschichte: der Sozialstaat. Er gibt den Menschen Sicherheit, stärkt ihre wirtschaftliche Position, verbessert die Chancengleichheit und schafft damit Freiheit. Denn es bedeutet einen unschätzbaren Gewinn an Freiheit, wenn Menschen keine Angst davor haben müssen, im Fall einer Erkrankung, eines Unfalls, eines Jobverlustes oder im Alter ohne ausreichendes Einkommen dazustehen.

Den VorkämpferInnen des Sozialstaates war ein Grundsatz immer geläufig und wichtig: Soll die persönliche Freiheit der arbeitenden Menschen erhöht werden, dann braucht es gemeinsame und solidarische Sicherungssysteme. Heute stehen diese sozialen Sicherungssysteme politisch unter Druck: Die GegnerInnen des Sozialstaates argumentieren erstens mit fehlender finanzieller Leistbarkeit („das Pensionssystem ist pleite“), was allerdings angesichts laufend wachsender Wirtschaftsleistung, Einkommen und Vermögen sachlich nicht haltbar ist. Ihr zweites Argument betrifft die behauptete Einschränkung individueller Freiheit durch den Sozialstaat, indem dieser etwa Krankenversicherungsbeiträge einhebt oder kostenlosen Schulbesuch ermöglicht.

Neoliberale können nicht begreifen, dass Freiheit materielle Grundlagen braucht: Der kostenlose Schulbesuch erhöht die Freiheit jener Menschen, die sich Ausbildung sonst nicht leisten könnten. Die staatliche Gesundheitsversorgung erhöht die Freiheit der Menschen, die bereit sind, für deren Finanzierung einen solidarischen Beitrag zu leisten.

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