„Das Ziel des Wirtschaftens ist es nicht, möglichst viel zu produzieren oder eine möglichst stark wachsende Wirtschaft zu haben“, erklärt Markus Marterbauer, Leiter der AK Wirtschaftswissenschaft, „das Ziel des Wirtschaftens ist die Erhöhung des Wohlstands der Menschen.“ Die nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen in Österreich verzeichnet Rückschläge durch Pandemie und Teuerung. Das zeigt der sechste Wohlstandsbericht der Arbeiterkammer. Im europäischen Vergleich steht Österreich insgesamt noch gut da und gehört weiterhin zu den lebenswertesten Ländern. Das liegt vor allem an dem gut ausgebauten Sozialstaat, der die schlimmsten sozialen Folgen der Krisen abfedert, die Ungleichheit ist aber dennoch gestiegen und vor allem im Bereich des Klimaschutzes besteht ein hoher Aufholbedarf. Wie es um Österreichs Wohlstand steht, will der AK-Wohlstandsbericht anhand von fünf Wohlfahrtszielen nachzeichnen. Diese sind:
- fair verteilter materieller Wohlstand
- Vollbeschäftigung und gute Arbeit
- Lebensqualität
- Intakte Umwelt
- Ökonomische Stabilität
Der AK-Wohlstandsbericht stellt erstmals bei allen fünf Zielen Rückschritte fest, auch bei der Entwicklung der ‚Lebensqualität‘, die in den vergangenen Jahren stets positiv oder neutral beurteilt wurde, machen sich die hohen Wohnkosten und die finanziellen Herausforderungen in anderen Lebensbereichen negativ bemerkbar, so Marterbauer. Die wichtigsten Erkenntnisse sowie Maßnahmen des AK-Wohlstandsberichts präsentierten jüngst Markus Marterbauer, Leiter AK Wirtschaftswissenschaft, Sybille Pirklbauer, Leiterin AK Sozialpolitik sowie Lukas Oberndorfer, Leiter AK Umwelt- und Verkehrspolitik. Für viele Bereiche würden die Lösungen auf dem Tisch liegen – in einem Punkt aber gilt es überhaupt schnell und treffsicher zu handeln.
Mangelnde Besteuerung von Reichtum
Ein erster großer Punkt aus Sicht von Markus Marterbauer ist die nach wie vor ungleiche Verteilung von Reichtum. „Die hohen Einkommen sind zu hoch“, sagt der Experte. Der Wohlstandsbericht stellt einen negativen Trend bei der Reduzierung der Einkommensungleichheit fest sowie beim Abbau der Vermögenskonzentration. Das ist deshalb nachteilig, denn daraus ergebe sich ein Einfluss von Milliardär:innen auf die Demokratie: Wer mehr Geld hat, kann sich mehr einmischen. Die anhaltend hohe Inflation befeuert dies noch, Vorschläge zur Dämpfung liegen aber am Tisch. Die Wirtschaftspolitik höre aber nicht ausreichend auf die Sozialpartner und die AK.
Eine generelle Möglichkeit gegenzuhalten, ist es, Vermögen und Vermögenszuwachs richtig zu besteuern. Eine Vermögenssteuer für die Reichsten bringt mehrere Milliarden Euro, belegte eine neue Berechnung der Johannes-Kepler-Universität Linz. Je nach Modell wären die reichsten vier bis sieben Prozent der Bevölkerung betroffen. Ihr Steuerbeitrag könnte zur Finanzierung wichtiger Aufgaben, etwa der Pflege, sowie zur weiteren Senkung der Lohnsteuer eingesetzt werden.
Mehr Investitionen gefordert
Damit unser Wohlstand erhalten bleibt, sind mehr Investitionen notwendig – besonders in Krisenzeiten. „Wir haben eine hohe Investitionsquote, aber es passiert insgesamt zu wenig. Der Finanzausgleich mit seinen Investitionen für Kinder, Gesundheit und Klima ist ein Fortschritt. Die öffentliche Hand muss aber mehr Geld in die Hand nehmen.“ Es darf dabei nicht der Fehler gemacht werden, zu glauben, man könnte beispielsweise die Klimakrise nur mit technologischem Fortschritt bekämpfen. Um den Wohlstand der vielen zu erhöhen, fordert Marterbauer dennoch kurzfristig ein sozial-ökologisches Investitions- und Qualifizierungspaket, und zwar mit dem Fokus auf öffentliche Investitionen in den Klimaschutz, Ausbau der Kinderbetreuung und der Pflege sowie eine umfassende Qualifizierungsoffensive.
Die Arbeitswelt
„Die Verteilung der unbezahlten Haus- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern weist eine deutliche Schieflage auf“, stellt Sybille Pirklbauer klar. Die schlechteste Bewertung in diesem Bericht entfalle schließlich auf die Qualität der Arbeitsplätze, was sich im starken Sinkflug des Arbeitsklima-Index zeigt. Es sei ersichtlich, dass Arbeitsdruck, -verdichtung und Unsicherheit zunehmen. Die Beschäftigten blicken skeptisch in die Zukunft. Eine Möglichkeit, alle Teilbereiche der Arbeitswelt zu verbessern, wäre beispielsweise eine spürbare Arbeitszeitverkürzung. Diese würde zu mehr Zeit für alle führen und könnte damit die Verteilung unbezahlter Arbeit ändern: „Das alte Regime passt nicht mehr zu den Anforderungen der neuen Arbeitswelt. Es braucht eine neue Vollzeit bei vollem Lohnausgleich, damit die Menschen die Erholung bekommen. Die Betriebe, die vorangehen, zeigen vor, dass es auch für die Unternehmen ein Gewinn ist“, erklärt Pirklbauer.
Erstmals negativ bewertet: Lebensqualität
Beim Ziel Lebensqualität in Österreich ergibt sich heuer erstmals eine negative Bewertung. „Die allgemeine Lebenszufriedenheit und empfundene physische Sicherheit im Land sind zwar weiterhin hoch, aber vor allem im Bereich leistbares Wohnen und Vermeidung von Armut und sozialer Ausgrenzung sehen wir die größten Herausforderungen für die Politik“, meint Pirklbauer. Überraschend sei für sie hingegen, dass sich die Einschätzung zum Anteil gesunder Lebensjahre verbessert hat. Spürbar ist aber auch die Teuerung im Bereich Wohnkosten: „Der Anteil an Haushalten, die mehr als 40 Prozent des Einkommens dafür aufwenden müssen, ist angestiegen: Das ist eine Belastung, der man sich nicht entziehen kann. Die Mietpreisbremse kommt viel zu spät und ist viel zu soft.“
Mangelnde Klimagegensteuerung gefährdet Wohlstand
„Der letzte Sommer hat gezeigt, dass der Klimawandel den Wohlstand gefährdet“, stellt Lukas Oberndorfer klar und rechnet vor: Der 3. Oktober war der heißeste Oktobertag seit Messbeginn, der gesamte September war der heißeste September der Messgeschichte, der Sommer 2023 war einer der 15 heißesten überhaupt. „Mühselig aufgebauter Wohlstand wird beispielsweise durch Hochwasser zerstört“, sagt er weiters, „Wir müssen handeln, alleine bis Sommer entstanden Schäden in der Höhe von 220 Millionen Euro.“ Laut Wohlstandsbericht gibt es in Sachen intakter Umwelt, Reduktion der Treibhausgase und des Energieverbrauchs sowie bei der Einbremsung des Flächenverbrauchs negative Tendenzen. Ein konkreter Lösungsvorschlag wäre ein kommunaler Investitionsfonds, der den Kommunen selbst Mittel für Gebäudesanierung, Rad- und Gehwege sowie den Ausbau öffentlichen Nahverkehrs ermöglicht, alles unter Einbeziehung der regionalen Bevölkerung.
„Der letzte Sommer hat gezeigt, dass das Klima unseren Wohlstand gefährdet“, sagt AK Leiter Umwelt- und Verkehrspolitik @L_Oberndorfer. „Beim Umwelt-Ziel überwiegen erneut die negativen Bewertungen.“ #Wohlstandsbericht2023 pic.twitter.com/jSsQqeENdE
— AK Österreich (@Arbeiterkammer) October 4, 2023
Oberndorfer ist aber auch ganz klar: „Mit der momentanen Politik verfehlen wir die Klimaziele, es wird zu wenig investiert.“ Begeht Österreich nicht endlich einen Pfad Richtung nachhaltiger Klimapolitik, ist der Wohlstand hierzulande wirklich gefährdet. Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass mühselig aufgebauter Reichtum nicht selbstverständlich ist. Der Lebensstandard ist in Österreich nach wie vor hoch, es bedarf aber großer Investitionen in so gut wie allen Bereichen, damit es so bleibt.