So wird der Ausbau der Ganztagsbetreuung nicht gelingen

Kinder essen in der Schule. Symbolbild für Ganztagsbetreuung.
Ganztagsbetreuung heißt auch, dass mehr Kinder regelmäßig warm essen. | © Adobe Stock/Monkey Business
Chaos bei der Zuständigkeit, Personalmangel und zu wenig Geld. Beim Ausbau der Ganztagsbetreuung hinkt die Regierung ihren Plänen massiv hinterher.
Das Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ) hat sich im Auftrag der Arbeiterkammer Wien angesehen, warum das Angebot an Schulen, die ganztägigen Unterricht beziehungsweise Betreuung anbieten, nicht so rasch wächst wie angestrebt. Fazit: Für eine Ganztagsbetreuung bräuchte es nicht nur wesentlich mehr Geld. Das Hauptproblem liegt in den aufgeteilten Zuständigkeiten. Aber auch die Qualität lässt an einigen Standorten zu wünschen übrig. Was es daher bräuchte, wäre die Ganztagsschule aus einem Guss – im Sinn der Chancengerechtigkeit für alle Kinder.

Ganztagsbetreuung im Chaos

Wenn die Eltern ein Volksschulkind heute in der Früh vor acht Uhr zum Unterricht bringen und nachmittags um 17 Uhr von der Nachmittagsbetreuung wieder abholen, kann es sein, dass das Kind den Vormittag in einem Teil des Hauses und den Nachmittag in einem anderen Teil des Gebäudes verbracht hat. An vielen Schulstandorten, die ganztägige Betreuung anbieten, wird strikt zwischen Schule und eben Nachmittagsbetreuung getrennt. Das heißt nicht nur, dass Räume trotz Ganztagsbetreuung nur halbtags genutzt werden. Das bedeutet auch, dass Materialien doppelt angeschafft werden müssen. Und auch, dass die Kommunikation zwischen Lehrpersonen, die am Vormittag unterrichten, und Freizeitpädagog:en, die sich nachmittags um die Kinder kümmern, kaum bis nicht stattfindet.

Eine Pädagogin kümnmert sich in der Nachmittagsbetreuung um Kinder. Symbolbild für die Ganztagsschule.
Kinder sollen in der Ganztagsbetreuung nicht nur verwahrt werden. Es geht auch darum, sie zu fördern. | © Adobe Stock/Svitlana

Dahinter steckt ein Kompetenzenwirrwarr. Der Unterricht ist bei Pflichtschulen Ländersache. Schulbauten gehören in die Zuständigkeit der Gemeinden. Und die Nachmittagsbetreuung wird entweder von der Gemeinde oder in deren Auftrag von privaten Träger organisiert. Das bedeutet, dass bei der Ganztagsbetreuung bis zu drei Zuständige an einem einzigen Standort arbeiten. So gibt es auch verschiedene Arbeitgeber:innen für die dort Beschäftigten, erläutert Karoline Mitterer, Co-Autorin der Studie „Ausbaupotenziale in der schulischen und außerschulischen Tagesbetreuung“ des KDZ.

Regierung hinkt bei Ganztagsbetreuung den Zielen deutlich hinterher

Vor mehr als zehn Jahren wurde vom Bund das Ziel formuliert, dass 40 Prozent der Schüler:innen an Pflichtschulen in die Ganztagsbetreuung gehen können. Das Ziel wurde bisher nur bei den jüngeren Kindern erreicht. Bei den Sechs- bis Neunjährigen erhöhte sich die Betreuungsquote vom Schuljahr 2017/18 bis zum Schuljahr 2019/20 (aktuellere Zahlen gibt es nicht) von 40 auf 43 Prozent. Bei den Zehn- bis 13-Jährigen stagnierte die Quote bei rund 21 Prozent.

Seit 2011 stellt der Bund Mittel zum Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen zur Verfügung, zunächst über eine 15a-Vereinbarung, also eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern. Zuletzt über das Bildungsinvestitionsgesetz. Für die Schuljahre 2019/20 bis 2032/2033 wurden hier 428 Millionen Euro eingeplant. Sieht man sich das Schuljahr 2019/20 an, standen zwar 168 Millionen Euro bereit, es wurden allerdings nur 50 Millionen Euro abgeholt. Vom Skandal rund um die Milliarde für die Nachmittagsbetreuung ganz abgesehen.

Warum? „Es handelt sich hier um eine Anschubfinanzierung“, erklärt Mitterer. „Die Gemeinden zögern aber hier, zu investieren. Denn erstens fürchten sie, dass sie sich den laufenden Betrieb der Nachmittagsbetreuung nicht leisten können. Und zweitens werden nur Dinge wie der Einbau einer Küche oder von Aufenthaltsräumen gefördert. Wenn es sich aber um ein altes Gebäude handelt, muss man es oft komplett sanieren. Da überlegen die Gemeinden zweimal, ob sie dafür genügend Eigenmittel haben.“

Qualität der Ganztagsbetreuung stimmt oft nicht

Genau hier tritt eines der vielen Schnittstellenprobleme zu Tag, die Lösungen so schwierig machen. Mitterer und die beiden weiteren Studienautorinnen Nikola Hochholdinger und Marion Seisenbacher plädieren daher für eine Evaluierung aller Angebote von Ganztagsbetreuung. Darauf aufbauend brauche es eine Gesamtkonzeption von ganztägigen Schulen. Denn, wie Mitterer auch betont: Es stimme auch an vielen Schulen mit Nachmittagsbetreuung die Qualität nicht. „Die Gemeinden können es sich oft nicht leisten, Musikschulen oder Sportvereine an die Schulen zu holen.“ Das wiederum senke die Attraktivität und damit die Nutzung durch die Eltern.

Karin Zimmermann, ÖGB-Bundesfrauensekretärin, machen hier aber auch die jüngsten Entwicklungen Sorgen. Immer mehr Eltern melden ihr Kind aus Kostengründen von der Nachmittagsbetreuung ab. Die steigenden Preise bei Energie, aber auch Produkten des täglichen Lebens, zwingen viele Familien zu drastischen Kürzungen bei den laufenden Ausgaben. Wie eine IFES-Studie im Auftrag der AK diesen Sommer aufzeigte, überlegte ein Fünftel der Eltern, ihr Kind von der Nachmittagsbetreuung abzumelden. Das bedeute aber zum Beispiel auch, dass Kinder unter der Woche kein warmes Mittagessen mehr bekommen. „Wir ÖGB-Frauen fordern daher, dass der Bund in dieser Teuerungssituation sofort einen Sondertopf einrichtet, aus dem die Gemeinden die Nachmittagsbetreuung für alle Kinder finanzieren können“ – und damit keine Elternbeiträge mehr eingehoben werden, so die ÖGB-Bundesfrauensekretärin.

Angespannt Personalsituation im Bereich der Freizeitpädagog:innen

Sie sieht eines der Probleme beim Ausbau der Ganztagsbetreuung, aber auch bei der angespannten Personalsituation. Vor allem im Bereich der Freizeitpädagog:innen. Ähnlich wie in Kindergärten gibt es auch hier einen Personalmangel. Geschuldet ist dies den Rahmenbedingungen der Arbeit. Es gibt mehrheitlich nur Teilzeitverträge, die Arbeitszeit fällt fast ausschließlich in den Nachmittag. „Die Leute machen das daher nicht lange oder steigen nach der Ausbildung erst gar nicht in den Beruf ein.“ Auch diesbezüglich wäre die Ganztagsschule aus einem Guss förderlich. Bilden Lehrpersonen und Freizeitpädagog:innen ein Team, können auch letztere im Rahmen des Modells einer Ganztagsschule mit verschränktem Unterricht – wo einander Unterrichtseinheiten und Freizeitangebot also abwechseln – Vollzeit arbeiten.

Portrait Katharina Mader. Im Interview zur Ganztagsbetreuung.
Kompetenzwirrwarr, Chaos bei der Organisation, Personal- und Geldmangel. Katharina Mader fasst die Probleme zusammen.

Katharina Mader, Referentin in der Abteilung Frauen und Familie in der AK Wien, sieht ebenfalls den „föderalen Fleckerlteppich“ im Bereich der schulischen Ganztagsbetreuung als Hemmschuh für den Ausbau, aber auch die Qualität der Nachmittagsbetreuung. „Was es jetzt braucht, ist eine flächendeckende und kostenlose Ganztagsbetreuung vom Kindergarten zumindest bis zum Ende der Volksschule“, sagt sie.

Das sei auch dringend vor dem Hintergrund der aktuellen Teuerungen nötig. Mader erinnert an die regelmäßigen Datenerhebungen der AK zum Thema Nachhilfe. Dabei gaben zuletzt 64 Prozent der Mütter an, dass sie es seien, die die Kinder beim Lernen unterstützen. Wenn nun weniger Kinder die Nachmittagsbetreuung besuchen, seien es die Mütter, die einspringen. Dabei soll Ganztagsbetreuung vor allem Müttern helfen, Vollzeit arbeiten zu können. Wenn allerdings von bisher eineinhalb Einkommen ein halbes wegbreche, dann seien noch mehr Familien von Armut betroffen. „Wir brauchen ein effizientes und ein qualitätsvolles Ganztagsschulsystem“, betont die Expertin.

Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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