Ende des Normalarbeitsverhältnisses
Seit den 1990er-Jahren wird dieser Umstand zunehmend von SoziologInnen thematisiert. Für den Bereich der Wissenschaft etwa prägten die Autorinnen Anne und Marine Rambach 2001 den Begriff der „prekären Intellektuellen“, während der britische Soziologe Guy Standing ganz allgemein das „Prekariat“ als eigene, im Entstehen befindliche Klasse beschrieb. Die Soziologen Hans J. Pongratz und G. Günter Voß beschreiben den Typus des „Arbeitskraftunternehmers“: WissenschafterInnen haben unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen zu „wissenschaftlichen Entrepreneurs“ zu werden, die jede Tätigkeit strategisch auf ihre weitere Verwertung im Lebenslauf beurteilen müssen. Was hierfür nicht kapitalisierbar ist, hat keinen Wert – etwa größeres Engagement in der Lehre und Studierendenbetreuung, gemeinschaftsbildende Tätigkeiten am Institut oder Betriebsratsarbeit.
Die finanzielle Grundlage der Wissensarbeit sind mittlerweile hauptsächlich Drittmittel, um die man im Wettbewerb mit anderen ringen muss. Dies hat auch Folgen für die Wissenschaft selbst: Es wird erforscht, was hohe Output-Vorhersehbarkeit verspricht und damit den FördergeberInnen gefällt. Die Projektförmigkeit, in der Wissensarbeit arrangiert ist, bedingt eine jeweils kurze Verweildauer der ForscherInnen. Vor allem junge WissensarbeiterInnen sind damit zwar weltweit vermittelbar, aber der Gesellschaft und dem politischen Engagement entfremdet. Die Sorge, sich durch Kritik an diesen Beschäftigungsverhältnissen eine mögliche Karriere in der Wissenschaft zu verpatzen oder überhaupt in der Erwerbslosigkeit zu landen, lässt die meisten verstummen. Zukunftsentwürfe oder gar gegenhegemoniale Utopien sind von ihnen kaum zu erwarten.
Auf das gesellschaftlich verfügbare Wissen wirkt sich die Unsicherheit der Arbeitsbeziehungen negativ aus. Dabei wäre eine notwendige Voraussetzung für die oft eingeforderte Exzellenz von Lehre und Forschung, dass WissenschafterInnen eine planbare Perspektive geboten wird. Hervorragende Lehre und Forschung sind nur unter hervorragenden Arbeitsbedingungen möglich.
Seit ihrer Gründung im Zuge einer großen, Lehrende wie Studierende umfassenden Streikbewegung im Jahre 1996 kämpft die IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen gegen die wachsende Prekarisierung. Diese zeigt sich schließlich nicht nur im Wissenschaftsbetrieb, sondern betrifft generell eine stetig wachsende Anzahl von Menschen – nicht zuletzt Frauen und MigrantInnen –, die ihren Lebensunterhalt mit einem Job allein nicht mehr bestreiten können, ob im Gesundheitswesen, in der Pflege, im Dienstleistungsbereich, das Sicherheitspersonal, in der Kulturarbeit oder im Journalismus.
Die Teilung zwischen „regulären“ und prekären Arbeitsverhältnissen stellt die Interessenvertretung wie auch in anderen Branchen vor große Herausforderungen. Auf der einen Seite steht die kleiner werdende, teils noch beamtete Anzahl von MitarbeiterInnen, auf der anderen die fluide Masse der freien WissensarbeiterInnen. Die klassischen Organisationsformen der ArbeitnehmerInnenvertretung (wie Betriebsräte und Gewerkschaften) sind dabei durchaus wichtige Verbündete. Im Betriebsrat der größten österreichischen Universität, der Universität Wien, ist die IG seit einigen Jahren ebenso vertreten und aktiv wie in deren höchstem Gremium, dem Senat. Und sie hat mittlerweile etliche Verbesserungen erreicht.
Leider konnte die Zusammenarbeit nicht verhindern, dass Verschlechterungen für die LektorInnen beschlossen wurden. Mit dem Gehaltsabschluss der Universitätsangestellten für das Jahr 2016 verloren Universitätslehrende, die nur einen zweistündigen Lehrauftrag haben, die Sozial- und Krankenversicherung, da die Bezahlung nun unter der dafür notwendigen Geringfügigkeitsgrenze lag.
Eine noch engere Zusammenarbeit wäre daher für alle Beteiligten von Vorteil. Immerhin ist es im Interesse aller, dass die Arbeitsverhältnisse an der Universität adäquater gestaltet werden – nicht nur aller Universitätsangehörigen, sondern der Gesamtgesellschaft, die letztlich von den wissenschaftlichen Erkenntnissen profitiert.
Christian Cargnelli, Tamara Ehs und Anton Tantner
Vorstandsmitglieder der IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/17.
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