Erhöhung des Förderungssatzes für die 24-Stunden-Betreuung
Auf den ersten Blick klingen die Zahlen beeindruckend. „Bund und Länder werden im Jahr 2023 voraussichtlich mehr als 180 Millionen Euro für die Förderung der 24-Stunden-Betreuung aufwenden“, verkündet das Ministerium. Insgesamt 22.500 Menschen beziehen in Österreich den Fördersatz für die 24-Stunden-Betreuung. Und August Wöginger, ÖVP-Klubobmann und Sozialsprecher, ergänzt: „Mit dieser Maßnahme zur erhöhten Förderung für die 24-Stunden-Betreuung wird die größte Pflegereform nun fortgesetzt.“
Dem muss Klaus Schalek widersprechen. Er ist Referent in der Abteilung Gesundheitsberufe und Pflegepolitik der Arbeiterkammer Wien. Reformiert würde nichts. Es würde lediglich eine Förderung erhöht. Es als „Reform“ zu bezeichnen, sei ein bisschen Etikettenschwindel. Ein detaillierter Blick in die Zahlen macht auch deutlich, wo das Problem liegt. So macht die Förderung der 24-Stunden-Betreuung gerade einmal 2,2 Prozent der Gesamtkosten in der Langzeitpflege aus. Zum einen.
Förderung kommt nicht bei 24-Stunden-Betreuer:innen an
Zum anderen ist überhaupt nicht klar, wo die ausgezahlten Zusatzmillionen am Ende landen. So sei gar nicht sichergestellt, dass die Betreuer:innen von dieser Erhöhung profitieren, kritisiert Schalek. Die Förderung werde an die Familien und Auftraggeber:innen ausbezahlt. Wohin das Geld dann fließe sei offen. Vielleicht würden sich auch die Vermittlungsagenturen ein Stück vom Kuchen abschneiden (eine Unart, die mit der neuen Plattform betreuerinnen.at bekämpft werden soll). Außerdem hat die Inflation in Österreich auch die zu Pflegenden vor Probleme gestellt. Wenn die sich entscheiden, mit dem Zusatzgeld die Heizkosten zu bezahlen, gehen die Betreuer:innen leer aus.
Auf das Problem weist auch die vidaflex hin. „Wir kritisieren, dass sie von dieser Erhöhung genau wenig bis gar nichts in ihren Tagsätzen spüren werden“, sagt Andreja Grabovac. Sie ist vidaflex-Community-Sprecherin für die kroatische Gruppe der 24-Stunden-BetreuerInnen. Dazu kommt, dass es noch immer keine einheitlichen, gesetzlichen Mindesttarife für die Betreuer:innen gibt.
Förderung der 24-Stunden-Betreuung: Es fehlt an einer Reform
Die Erhöhung des Fördersatzes war dringend nötig. Seit deren Einführung 2008 hat die Regierung sie nicht mehr angepasst. Doch eine Reform, die vom Ministerium in diesem Zusammenhang mehrfach beschworen wird, ist das nicht. Dafür muss mehr getan werden. So fordert Schalek beispielhaft drei Dinge. Erstens müsste die Qualität der Betreuung angehoben werden. Das könnte erreicht werden, indem Betreuung und Pflege verschränkt würden. So könnte einmal pro Woche ein:e diplomierte:r Pfleger:in bei der betreuenden Person vorbeischauen. Dabei geht es auch um den Gesundheitszustand und die Situation der Betreuer:in.
Das zweite wäre die Einrichtung einer Beschwerdestelle. Aktuell wäre die Bezirksverwaltungsbehörde dafür zuständig, wenn in dem Verhältnis zwischen Betreuer:in, Familie, Agentur und zu pflegender Person etwas nicht passt. Doch Schalek ist kein Fall bekannt, in dem das auch passiert wäre. Das liegt daran, dass die betroffenen Menschen schlicht nicht wissen, an wen sie sich wenden können. Aber auch daran, dass die Behörde für entsprechende Beschwerden gar keine Ressourcen hätte. Es brauche eine Anlaufstelle, die Probleme klären und Sanktionen verhängen kann. Für all das müsste jedoch ein Rahmengesetz formuliert werden. Das ist zwar aufwendig, aber eben eine der Kernaufgaben einer Regierung und Ziel einer echten Reform.
Steigende Nachfrage und sinkende Angebote in der 24-Stunden-Betreuung
Werden die bestehenden Probleme nicht gelöst, verschärfen sie sich mit der Zeit. An zwei Zahlen ist das besonders leicht zu erkennen. Zum einen nehmen nur fünf bis sechs Prozent aller Menschen, die Pflegegeld beziehen, auch eine Personenbetreuung in Anspruch. Das bedeutet, dass über neunzig Prozent der Bezieher:innen ihren Pflegebedarf anderweitig decken. Beispielsweise durch betreuende Familienmitglieder. Der Bedarf ist also sehr viel größer als er sich aktuell darstellt.
Eine Möglichkeit, mehr Menschen zu betreuen, wären mobile Dienste. Doch genau hier gibt es eine zweite alarmierende Zahl. Seit Jahren leisten diese Dienste sehr konstant 16 Millionen Arbeitsstunden. Weil aber die Zahl der zu betreuenden Personen kontinuierlich wächst, wird pro Person weniger Zeit aufgewendet. Es fehlt schlicht an Personal, um das Angebot in dem Maße auszubauen, wie es nötig wäre. Auch dieses Problem dürfte sich in Zukunft verschärfen. Denn dass die Arbeitskräfte aus Süd- und Osteuropa auch weiterhin in Österreich arbeiten, ist keine ausgemachte Sache. Schon in der Coronapandemie sei es aufgrund von Reisebeschränkungen zu massiven Verschiebungen gekommen.
Eine 24-Stunden-Betreuung zu organisieren, ist oft eine Herausforderung. Vor allem, wenn es um die Suche von verlässlichen und transparenten Anbietern geht, die sich auch an gesetzlichen Vorgabe halten. "vidaflex" hat deshalb eine neue Plattform gestartet.https://t.co/cW8PZ6d3IB
— ÖGB (@oegb_at) January 26, 2023
Kritik an Erhöhung der Förderung für die 24-Stunden-Betreuung
Auch die Malteser Care GmbH übt Kritik an der jüngsten Maßnahme des BMSGPK. „Wenn ein Mensch im Pflegeheim betreut wird, bezahlt der Staat je nach Bundesland bis zu 9.000 Euro im Monat“, setzt Evelyn Brezina den Fördersatz von 640 bis 1.280 Euro ins Verhältnis. Sie selbst hat die Glasknochenkrankenheit, ist arbeitsunfähig und bekommt die Mindestpension. „Alleine Heizung und Strom kosten mich durch die Teuerung 130 Euro mehr pro Monat“, rechnet Brezina vor. Sie wüsste nicht, wie sie zwei Pfleger:innen mehr Honorar bezahlen könnte.
„Mit 640 Euro monatlich ist niemandem geholfen. Die Förderung muss jetzt endlich verdoppelt werden“, fordert Helmut Lutz, Geschäftsführer von Malteser Care. Er prophezeit: „Österreich steht am Anfang des Jahres 2023 am Beginn einer Pflegekatastrophe. Dagegen muss dringend etwas unternommen werden.“