Deutlich wird das am Beispiel des Hotels InterContinental in Wien, kurz InterConti genannt. Eigentlich könnte der Standort des InterConti nicht besser sein. Es liegt direkt am Ring. Stadtpark und Sehenswürdigkeiten wie der Stephansdom oder die Staatsoper sind bequem zu Fuß erreichbar. 1.200 Quadratmeter Veranstaltungsfläche bieten Raum für internationale Meetings, Konferenzen und Kongresse, wie auf der Firmen-Homepage des Hotels nachzulesen ist.
Adieu Weihnachtsgeschäft!
„Die Kongresse haben für uns eine sehr große Bedeutung“, sagt Peter Styblo, seit sieben Jahren Betriebsratsvorsitzender im InterConti. „Aber in der Pandemie sind sie nicht wirklich planbar. Noch drei Tage vor dem Lockdown Ende November hat es geheißen, für nicht geimpfte Personen wird es keine Einschränkungen geben. Wir hätten einige Veranstaltungen im Haus gehabt, zum Beispiel ein Boxturnier im Ballsaal. Das fällt jetzt weg. Auch Weihnachtsfeiern werden großteils storniert. Das Weihnachtsgeschäft ist gelaufen.“
Ob sich daran mittelfristig wieder etwas ändert, darüber ist sich Styblo nicht sicher. „Wir hoffen natürlich auf eine Erholung. Am Anfang hatten wir noch Videokonferenzen in unseren Räumen, da waren wenigstens noch einige Konferenzteilnehmer im Haus. Allerdings haben viele Firmen inzwischen gemerkt, dass man solche Veranstaltungen auch am Rechner durchführen kann. Trotzdem ist es vor Ort doch etwas anderes. Man sieht die anderen Teilnehmer:innen, man sieht etwas von der Stadt.“
Verwundbarer Städtetourismus
Allgemein hat sich durch Corona eine große Verwundbarkeit des Städtetourismus gezeigt, die auch viele Kenner:innen der Branche vorher so nicht am Schirm gehabt haben dürften: „Wir werden ja nicht nur durch die formalen Lockdowns gefährdet. Das Gleiche gilt, wenn der Flughafen gesperrt ist. Und wenn Österreicher:innen nach Wien fahren, dann übernachten sie eher selten im Fünf-Sterne-Hotel“, sagt Styblo. „Die Gastronomie hat es da eine Spur besser, weil die auch von Einheimischen lebt. Was nur wenige Einheimische wissen, ist, dass es in den Hotels auch eine Gastronomie gibt. Die kann man besuchen, auch ohne im Hotel zu nächtigen. Da ist bei den meisten Menschen aber die Schwellenangst zu groß. Laufkundschaft haben wir kaum.“
Aleksandra Waldhauser vom Institut für empirische Sozialforschung (IFES) bestätigt diese Beobachtung. Sie ist Projektleiterin einer im April 2021 veröffentlichten Studie über Hotellerie-Beschäftigte in Wien. „Diese Studie machen wir regelmäßig im Auftrag der Arbeiterkammer“, erzählt sie. „Doch dieses Mal ist aufgrund der Pandemie eine Vergleichbarkeit mit den vorhergehenden Jahren kaum gegeben.“ Stärker als andere Formen des Tourismus sei der Städtetourismus vom internationalen Reiseverkehr abhängig. „Als wir die Studie im März und April 2021 gemacht haben, war auch gerade Lockdown und die Unsicherheit unter den Befragten deshalb besonders groß. Dennoch gab es Hoffnungen auf den Herbst. Man hat geglaubt, dann wird alles wieder gut. Das dürfte sich jetzt wieder zerschlagen haben.“ Insgesamt haben 634 Beschäftigte von Wiener Hotelleriebetrieben an der Online-Befragung teilgenommen, die der Studie zugrunde liegt. Hier müsse berücksichtigt werden, dass Arbeitskräfte aus dem Ausland aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse in der Studie sehr wahrscheinlich unterrepräsentiert seien, so Waldhauser.
Wir werden ja nicht nur durch die formalen Lockdowns gefährdet. Das Gleiche gilt, wenn der Flughafen gesperrt ist.
Peter Styblo, Betriebsratsvorsitzender InterContinental
Dennoch spiegeln die Zahlen das Ausmaß wider, in dem die Pandemie das Leben der Beschäftigten beeinflusst hat. So heißt es in einer Zusammenfassung über das Thema Kurzarbeit: „83 Prozent der Befragten sind im selben Beherbergungsbetrieb wie vor der Corona-Pandemie beschäftigt, davon befinden sich 96 Prozent in Kurzarbeit (das entspricht einem Anteil von 79 Prozent der Befragten). Mehr als ein Drittel befindet sich seit März 2020 mehr als 50 Wochen in Kurzarbeit (36 Prozent), rund ein Viertel 41 bis 50 Wochen (23 Prozent).“
Steigende Belastung
Was das konkret bedeutet, beschreibt Peter Styblo: „Die Belegschaft ist bei uns großteils stabil geblieben, auch weil wir untereinander ein gutes Klima haben. Aber es gab doch Rationalisierungen. Manche Kolleg:innen sind früher als geplant in Pension gegangen. Die Kurzarbeit hat Einschränkungen bedeutet. Wir sind eine Niedriglohnbranche. Jobs sind teilweise auf der Mangelliste, weil keiner unter den bestehenden Bedingungen arbeiten möchte. Mit der Kurzarbeit ist in vielen Bereichen das Trinkgeld weggefallen. Bei steigenden Lebenshaltungskosten ist das eine zusätzliche Belastung.“
Herrsche einmal kein Lockdown, könne es kurzzeitig zu Belastungsspitzen kommen, so Styblo, der aufgrund der Rationalisierungen im InterConti als Betriebsratsvorsitzender nicht mehr freigestellt ist. „Wir können solche Spitzen nicht mehr gut abdecken. Wir haben zwar nur knapp 40 Prozent des Geschäfts im Vergleich zur Vorkrisenzeit, aber wenn dann mal Vollbetrieb ist, bleibt es an wenigen Kräften hängen“, sagt er. „Hinzu kommt, dass es früher in Wien mehr Leasingfirmen gab, die im Notfall bei der Personalabdeckung geholfen haben. Jetzt gibt es nur noch eine solche Firma. Und die ist teuer geworden. Sie scheint am Wochenende mehr zu verlangen. Das ist in der Branche eine Besonderheit, denn normalerweise gibt es keine Wochenendzuschläge.“
Mit den sich stetig ändernden Corona-Maßnahmen werde es nicht einfacher, so Styblo. „Es geht durch die Medien, dass bald 2G plus für die Gastronomie kommt. Wie sollen wir das umsetzen?“ Dabei habe das Hotel viele Maßnahmen gesetzt: „Wir haben seit Beginn der Krise eine Firmenteststraße. Wir machen ‚Alles gurgelt‘ im Betrieb. Und wir haben uns mit Erfolg als Betrieb am Impfprogramm beteiligt. Auch für die Drittimpfung gibt es im Haus eine große Bereitschaft mitzumachen.“
Leben auf prekären Beinen
Für einen großen Teil der Hotellerie-Beschäftigten steht selbst ohne COVID-19 das tägliche Leben auf prekären Beinen. So gaben in der IFES-Studie 53 Prozent der teilnehmenden Empfangsbediensteten sowie 48 Prozent des teilnehmenden Küchen- und Servicepersonals an, „gerade so“ mit ihrem derzeitigen Einkommen auszukommen. Das bedeutet: Solange keine plötzlichen größeren Ausgaben anstehen, reichen die Löhne zum Überleben. 20 beziehungsweise 35 Prozent erklärten aber auch: „Es reicht nicht aus.“
Mit der Pandemie verschärfte sich die Situation deutlich. Auf die Frage, ob sich Corona auf ihre finanzielle Situation ausgewirkt habe, antworteten 64 Prozent der Studienteilnehmer:innen: „Ich musste Einsparungen machen.“ 56 Prozent gaben an, finanzielle Ressourcen angreifen zu müssen. 16 Prozent haben sich verschuldet, und neun Prozent konnten laut eigener Aussage Schulden oder Ratenzahlungen nicht mehr bedienen. Hier habe es eine Entwicklung gegeben, so Studienautorin Waldhauser: „Am Anfang der Krise ist die Zufriedenheit unter den Beschäftigten sogar gestiegen, weil sie froh waren, durch die Kurzarbeit noch einen Job zu haben. Doch mit dem Dahinschmelzen der Ersparnisse lässt dieser Effekt deutlich nach.“
Im InterConti Wien kommt hinzu, dass die dort Beschäftigten trotz des bis Pandemiebeginn anhaltenden Reisebooms in der Bundeshauptstadt schon seit Jahren einer unsicheren Zukunft entgegenblicken. „Das InterContinental Wien ist im Eigentum der Wert Invest GmbH“, sagt Peter Styblo. „Deren Eigentümer Michael Tojner hat schon vor Jahren den Abriss des Hotels angekündigt. Dann wären alle 150 Beschäftigten schlagartig ihren Job los. Bis heute wissen wir nicht, ob oder wann dieser Abriss kommt.“