Fiskalregeln: Griechenland, sind wir das alle?

Bild von einem blauen Kuchen mit gelben Sternen, der die EU-Flagge darstellen soll. Hände legen 1-Euro-Münzen auf die Sterne. Symbolbild für die Fiskalregeln.
Mit den neuen Fiskalregeln droht ein hartes Sparprogramm an falscher Stelle. | © Markus Zahradnik
Derzeit sind die Fiskalregeln der EU ausgesetzt. Bevor sie wieder angewandt werden, müssen sie an Pandemie, Inflation, Krieg und Klimakatastrophe angepasst werden.
Eine globale Pandemie stellte den Sozialstaat auf die Probe. Die Klimakatastrophe verlangt nach drastischen Maßnahmen, um gegenzusteuern. Ein Krieg in Europa, Preisspekulationen und steigende Unternehmensprofite haben die Inflation angetrieben. Zinserhöhungen verteuern Kredite. Es gibt wahrlich bessere Zeiten, um zu sparen. Entsprechend sind die Fiskalregeln der Europäischen Union derzeit ausgesetzt. Im kommenden Jahr sollen sie wieder gelten – bis dahin müssen sie reformiert werden.

Krise, Troika, Griechenland

Seit es die Fiskalregeln gibt, streiten die Nationalstaaten darüber. Mit Beginn der Währungsunion legte die EU gewisse Regeln fest. Die Staatsschuldenquote solle sich bei 60 Prozent einpendeln und die Neuverschuldung dürfe drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen. Dieser bürokratische Ansatz führte zu Problemen, die niemand einkalkuliert hatte. Bei kurzfristigen Wirtschaftsabschwüngen kippten Staaten plötzlich die Fiskalregeln, mussten sparen und durften investieren, was den Abschwung verschärfte.

Als die Finanzkrise ab 2008 die Budgetpolitik auf den Kopf stellte, erfüllte kein Land die Vorgaben, und es kam zu Lockerungen. Die allerdings nicht lange hielten. Die Eurokrise, für die Griechenland als Symbol gilt, spaltete die EU. Unter anderem Österreich forderte rigorose Sparprogramme ein – die Austerität. Ironisch ist, dass in der Pandemie die Regierung dieser Idee selbst nicht traute. Österreich stellte in der Coronapandemie Hilfen in Höhe von 46 Milliarden Euro zur Verfügung und hat für die Jahre 2022 bis 2026 noch einmal 41 Milliarden Euro an Hilfszahlungen budgetiert. Pro Kopf nahm in der EU nur Luxemburg mehr Steuergeld für Hilfszahlungen in die Hand.

So wie Österreich geht es vielen Ländern Europas. „Aufgrund der höheren Zinsen und den Folgelasten der Corona- und Energiekrise würden sehr viele Staaten in ein exzessives Defizitverfahren rutschen, würde das Stabilitätsverfahren wieder mit den alten Regeln in Kraft treten“, erklärt Dominika Biegon. Sie ist Referatsleiterin für europäische und internationale Wirtschaftspolitik beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Also muss eine Reform der Fiskalregeln her. Grundsätzlich geht es darum, von der strengen Mechanik wegzukommen. Schuldenabbau und Investitionspolitik sollen langfristig und individuell vorangetrieben werden. Eine Sanktionsmechanik, die beim Überschreiten bestimmter Eckwerte eintritt, soll es nicht mehr geben. „Was die Kommission mit ihrem Vorschlag macht, ist ein richtiger Ansatz. Nämlich länderspezifische Regelungen zuzulassen. Das ist wichtig für die Zukunft der EU-Fiskalregeln“, bewertet Biegon die Stoßrichtung.

In den Wandel investieren

Europa hat sich dem Green Deal verschrieben. Dieser ganzheitliche Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit sei „Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment“, erklärte Ursula von der Leyen, die Kommissionspräsidentin, 2019. Eine Troika, die einem Land radikale Rentenkürzungen, Lohneinsparungen im öffentlichen Dienst und eine Schwächung der Tarifbindung diktiert, würde dieses Ziel gefährden.

Doch die neuen Fiskalregeln haben auch ihre Schattenseiten. Denn der Ermessensspielraum bei der individuellen Fiskalpolitik stärkt vor allem eine Seite, wie Biegon betont. „Die bilateralen Verhandlungen eröffnen der Kommission einen enormen Machtzuwachs. Weil sie gleichzeitig mit den Mitgliedsstaaten über den Schuldenabbau verhandelt und die Strukturreform-Auflagen festlegt.“ Eine Lösung für das Problem ist noch nicht in Sicht. „Prinzipiell muss es darum gehen, der EU-Kommission Schranken zu setzen bei den Strukturreform-Auflagen, die sie verlangen kann, um den Schuldenabbaupfad zu verlängern“, so Biegon.

An dieser Stelle wird es kompliziert. Denn längst nicht alle Länder sind von dieser individuellen Ausgestaltung begeistert. Das deutsche Bundesfinanzministerium unter Führung von Christian Lindner (FDP) mahnte an, dass Fiskalregeln keine Verhandlungssache werden dürften. Und auch in Österreich löst eine Aufweichung der Fiskalregeln keine Begeisterungsstürme aus. „Der Sinn der Krisenlösung war, denen zu helfen, die sich schlechter selbst helfen können. Dieser solidarische Gedanke steckt in Ansätzen auch in der Reform. Österreich ist aber weiterhin der große Bremser in Brüssel“, klagt Georg Feigl. Er ist stellvertretender Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik in der Arbeiterkammer Wien.

Der Sinn der Krisenlösung war, denen zu helfen,
die sich schlechter selbst helfen können. 

Georg Feigl, AK Wien

Das Problem ist, dass Österreich selbst keinen konstruktiven Debattenbeitrag leiste, so Feigl. Im Europäischen Rat habe die Regierung die Vorschläge der Kommission mitgetragen. „Es gibt anscheinend keine großen inhaltlichen Einwände, sondern es geht um Symbolpolitik im Inland.“ Das bedeutet, dass die ÖVP zwar gerne prominent Sparpolitik einfordert, anschließend aber die entsprechenden Maßnahmen selbst nicht umsetzt. Wie die Investitionen in der Coronapandemie zeigen.

Fiskalregeln als Sündenbock

Tatsächlich profitiert die ÖVP von strengen Fiskalregeln. Sie können als Ausrede dazu verwendet werden, Kürzungen im Sozialstaat voranzutreiben oder Investitionen zu stoppen. „Die ÖVP hat sich nie dadurch ausgezeichnet, dass sie einen raschen sozialökologischen Umbau der Wirtschaft will. Sie tut sich aber leichter, entsprechende Forderungen mit Verweis auf die strengen Fiskalregeln abzuschmettern. Das ist dann keine Symbolpolitik mehr, das ist Interessenpolitik“, ordnet Feigl die Position der Regierung ein.

An den neuen Fiskalregeln führt jedoch auch für die ÖVP kein Weg vorbei, meint Feigl. „Im Regierungsprogramm gibt es eine Kompromissformel, die besagt, dass versucht wird, die Staatsschuldenquote Richtung 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zu senken, wobei die zukunfts- und klimapolitischen Investitionen nicht beeinträchtigt werden dürfen. Diese Kompromissformel gilt auch als Basis für die europapolitischen Verhandlungen.“

Die aktuellen Prognosen für den österreichischen Haushalt stimmen im Hinblick auf die Fiskalregeln zuversichtlich. „Österreich hat aktuell kein großes Problem. Das hat Österreich erst, wenn wir versuchen, die Klimaziele einzuhalten“, rechnet Feigl vor. Und auch die Lösung der Teuerungskrise kommt noch auf die Regierung zu. Die Einmalzahlungen haben das Problem nur in die Zukunft verschoben.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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