Finnland und der Rechts-Bruch

Illustration zum Rechtsruck in Finnland.
Streichung von Kinderbeihilfen, Kürzung des Arbeitslosengeldes und Angriffe gegen Migrant:innen, Arbeitnehmer:innen und die Sozialpartnerschaft: Die neue rechte Regierung in Finnland zeigt, wie schnell der Wohlfahrtsstaat zerstückelt werden kann.

Seit April 2023 ist in Finnland eine neue rechte Regierung an der Macht. „Die Angriffe der Regierung gegen den Wohlfahrtsstaat sind außergewöhnlich“, sagt Pekka Ristelä, der das internationale Büro des finnischen Gewerkschaftsbundes SAK leitet. Die Gewerkschaften werden nicht angehört. Der seit Jahrzehnten in dem nordischen Land bestehende Pfad der Sozialpartnerschaft sei auf drastische Weise verlassen worden. Auch der Widerstand der finnischen Gewerkschaftsbewegung dagegen sei ungewöhnlich. „Für Beispiele derartiger Kampfmaßnahmen müsste man bis in die 1950er-Jahre zurückgehen.“

Finnland: Rechts überholt

Ristelä spielt damit auf jene gewerkschaftlichen Kämpfe an, mit denen finnische Arbeitnehmer:innen ursprünglich den Sozialstaat errangen, der nun von der Regierung radikal infrage gestellt wird. Die geplanten Veränderungen gehen auf einen Wandel in der langfristigen Denkrichtung bei den Industrie-Unternehmen zurück, wie Ristelä erklärt. „Selbst in den 1990er-Jahren, als in anderen Ländern viele neoliberale Reformen durchgeführt wurden, gab es unter den finnischen Arbeitgeber:innen einen positiven Konsens in Bezug auf die finnische Sozialpartnerschaft.“

Doch damit sei nun Schluss. „In den vergangenen Jahren verbreitete sich zunehmend die Ansicht, das sozialpartnerschaftliche System sei zu unflexibel. Unternehmen sollen rechtlich mehr Verhandlungsspielraum kriegen.“ Konkret zeigt sich dies unter anderem am Beispiel von Betriebsvereinbarungen. Diese könnten bald ohne Zustimmung der Gewerkschaften zwischen einzelnen Unternehmen und Belegschaften ausgehandelt werden. Branchenübergreifende Tarifverträge würden dadurch empfindlich geschwächt.

Sozialpartnerschaft in Finnland

Ristelä meint damit die Tradition des Drei-Parteien-Dialogs, der einen zentralen Pfeiler der finnischen Sozialpartnerschaft bildet. Dieser Dialog findet anlassbezogen zwischen Gewerkschaften, Arbeitgeber:innen und der Regierung statt. In den Treffen wird nicht nur über die Löhne in den verschiedenen Branchen verhandelt, sondern auch neue Gesetzesvorschläge kommen hier zur Debatte auf den Tisch. In der Vorbereitung ihrer geplanten neuen Gesetze hat die neue finnische Regierung den Drei-Parteien-Dialog links liegen gelassen, also ignoriert. Den Sozialpartner:innen wurden lediglich die schon fast fertigen Reformpläne der Regierung zur Ansicht vorgelegt. Ergebnisoffene Verhandlungen darüber gab es keine. Allein dies ist für die finnischen Gewerkschaften schon ein Affront und Grund zur Beunruhigung.

Angebahnt haben sich die Angriffe der neuen finnischen Regierung bereits seit Jahren. Schon im Jahr 2015 organisierten finnische Gewerkschaften deshalb eine massive Streikwelle, um gegen den Sozialabbau der damaligen Regierung zu protestieren. So streikten am 18. September 300.000 Arbeiter:innen und Angestellte in ganz Finnland. In Helsinki beteiligten sich 30.000 Menschen. Auch damals wollte die aus konservativen und rechtspopulistischen Kräften bestehende Regierung, Arbeitnehmer:innen steuerlich stärker be-, und gleichzeitig Unternehmen entlasten. Eine klassische Umverteilung von oben nach unten, deren noch drastischere Neuauflage nun droht.

Skandalbehaftete neue Regierung

Und sonst? Da ist die neue Regierung bereits skandalbehaftet. Neben der Nationalen Sammlungspartei, der Schwedischen Volkspartei und den Christdemokraten sind an ihr auch die Rechtspopulist:innen der Finnenpartei beteiligt. Die ist in etwa mit der FPÖ in Österreich vergleichbar. Bei den Wahlen erhielt sie 20,06 Prozent der abgegebenen Stimmen. Damit lag die Partei auf dem zweiten Platz, nur sehr knapp hinter der Nationalen Sammlungspartei (20,82 Prozent).

Das offen rechtsextreme Gedankengut der Finnenpartei macht sich bereits bemerkbar. So kam es nur zwei Wochen nach Regierungsantritt zu einer ersten Krise, weil Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila von der Finnenpartei offen Sympathien für Adolf Hitler bekundete. Nach einem Misstrauensvotum im finnischen Parlament musste er zurücktreten. Junnila mag ein drastisches Beispiel sein, doch von allen Regierungsmitgliedern der Finnenpartei sind rassistische und teils frauenfeindliche Aussagen belegt.

Abbau der Sozialleistungen

Wie auch in Österreich gehen die Angriffe auf den Wohlfahrtsstaat mit rückwärtsgewandten Ansichten einher. Kein Wunder, sind doch vor allem arme Menschen, Erwerbslose und Frauen von den sogenannten Reformen betroffen. Unter anderem werden Kinderbeihilfen aus der Unterstützung für Erwerbslose gestrichen, während man gleichzeitig die Wartefrist bis zum Anspruch auf Erwerbslosenunterstützung verlängert. Nach zwei Monaten Erwerbslosigkeit soll das Arbeitslosengeld zukünftig um 20 Prozent gekürzt werden. Zudem müssen Erwerbslose ihren gesamten Resturlaub aufbrauchen, bevor sie um Beihilfen ansuchen können. Beihilfen für ältere erwerbslose Menschen werden genauso angegriffen wie Wohnbeihilfen oder Beihilfen für die Weiterbildung von Erwachsenen. Ebenso stehen Transferleistungen im Visier der Regierung, einkommensbezogene Leistungen werden gekürzt. Menschen ohne finnischen Pass müssen zukünftig nach dreimonatiger Erwerbslosigkeit das Land verlassen.

Am Arbeitsplatz sieht die Regierung Lockerungen beim Kündigungsschutz vor. Kranke bekommen für ihren ersten Krankheitstag kein Gehalt mehr ausgezahlt. Die Hürden für befristete Arbeitsverhältnisse werden gesenkt. Bislang mussten Betriebe für Befristungen immer besondere Gründe angeben, nun entfällt diese Verpflichtung, wenn die Befristung kürzer andauert als zwölf Monate. Die bislang bestehende Wiedereinstellungspflicht wird für Betriebe mit weniger als 50 Mitarbeiter:innen abgeschafft. „Heuern und feuern“ wird dadurch vereinfacht, die Solidarität von Kolleg:innen untereinander geschwächt.

Strafzahlungen für Gewerkschaften

Um Arbeits- und Sozialstandards derart zu schwächen, braucht es auch Einschränkungen gewerkschaftlicher Handlungsfähigkeit, wie Pekka Ristelä erklärt: „Die eine Säule der Regierungsreformen besteht in den Angriffen auf den Sozialstaat. Die zweite Säule beinhaltet weitreichende Änderungen in der Art, wie Kollektivverträge ausgehandelt werden, sowie Begrenzungen beim Streikrecht.“ Eine Reihe dieser Einschränkungen ist bereits im Herbst 2023 in Kraft getreten, wohl um den gewerkschaftlichen Widerstand gegen die geplanten Sozialreformen bereits präventiv zu schwächen. Geplant ist zudem eine Beschränkung sogenannter politischer Streiks auf eine zulässige Höchstdauer von nur einem Tag. Das Recht auf Solidaritätsstreiks zur Unterstützung streikender Kolleg:innen in anderen Branchen wird ebenfalls eingeschränkt. Für die Teilnahme an „illegalen“ Streiks drohen Einzelpersonen Geldstrafen in Höhe von 200 Euro. Einzelgewerkschaften können für die Durchführung „illegaler“ Streiks mit Strafen von bis zu 150.000 Euro belangt werden.

Pekka Ristelä sieht hier einen potenziellen Bruch international geltender Konventionen. „Als Gewerkschaftsbund haben wir bereits die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) bei der UNO über die Vorgänge in Finnland, insbesondere die Einschränkungen beim Streikrecht, was Solidaritätsstreiks und politische Streiks angeht, informiert.“ Um den Widerstand gegen die unsoziale Politik zu stärken, braucht es jetzt vor allem internationale gewerkschaftliche Aufmerksamkeit. „Wir haben viele Unterstützungserklärungen von europäischen Gewerkschaften erhalten, auch aus Österreich. Das freut uns!“, sagt Ristelä, der sich auf einen langen Kampf einstellt.

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