Geboren wurde Ferdinand Hanusch 1866 in Wigstadtl Oberdorf/Vitkov Horni Ves (Tschechien) Hanuschs Vater starb kurz nach seiner Geburt. Er wuchs mit seinen drei Brüdern bei seiner Mutter, einer Hausweberin, auf. Er schloss die fünfklassige Volksschule ab, jobbte dann Hilfsarbeiter und trampte auf der Suche nach Arbeit durch die Monarchie. In dieser Zeit wurde er mehrmals aufgegriffen und in Schubhaft nach Hause geschickt. Schließlich arbeitete er in seiner Heimatstadt in einer Seidenfabrik.
Ab 1891 engagierte sich Hanusch in der sozialdemokratischen Arbeiter:innenbewegung, 1897 wurde er Gewerkschafts- und Parteisekretär in Sternberg im heutigen Tschechien und 1900 Zentralsekretär der freigewerkschaftlichen Union der Textilarbeiter:innen in Wien. Ab 1903 war er auch Mitglied und zeitweise Vorsitzender der Reichskommission der Freien Gewerkschaften, 1907 wurde er als Sozialdemokrat Abgeordneter im Reichsrat, ein Jahr später trat er den Freimaurern bei. Als Mitglied der provisorischen Nationalversammlung wurde er mit der Republikgründung 1918 Leiter des Sozialressorts mit dem Titel eines Staatssekretärs, eine Funktion, die er bis Oktober 1920 ausübte. Unter seiner Verantwortung wurden die Grundlagen des österreichischen Sozialstaats geschaffen. Beispiele dafür sind Arbeitslosenversicherung, Achtstundentag, Arbeiterurlaub, Sozialversicherung für alle Arbeitnehmer:innen, die Einführung von Betriebsräten, die Errichtung von Arbeiterkammern oder die Rechtsverbindlichkeit von Kollektivverträgen.
1920 war Hanusch als Vizekanzler auch entscheidend am Beschluss der österreichischen Verfassung beteiligt. Nach dem Ausscheiden der Sozialdemokraten aus der Regierung war er ab 1920 Vorsitzender des sozialpolitischen Ausschusses des Nationalrats und ab 1921 Gründungsdirektor der Arbeiterkammer in Wien. Beide Funktionen übte er bis zu seinem Tod 1923 aus.
1. Station: AMS-Center
An einem Dienstagvormittag im Gespräch mit Menschen vor dem Arbeitsmarktservice Esteplatz im 3. Wiener Gemeindebezirk. Für Ella ist das Arbeitslosengeld unabdingbar: „Wenn man, wie ich den Job verliert, ist es wichtig, dass man sein Leben weiterleben und die Kinder ernähren kann.“ Sie hat Aussicht auf eine neue Stelle, muss aber mit weniger Geld als früher auskommen. Sorgen macht sich auch Karl, der gerade keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat und hofft, dass sich das bald ändert. Alexander, seit einem Monat arbeitslos, sagt: „Das Arbeitslosengeld ist wichtig, um die Zeit bis zu einer passenden Stelle zu überbrücken.“ Die Arbeitslosenversicherung gibt es in Österreich seit 1920. In der Kaiserzeit erhielten meist nur jene Unterstützung, die Gewerkschaftsmitglieder waren, doch das war damals nur eine Minderheit der Arbeiter:innen.
Wer keinen Job und keine Wohnung fand, konnte in Schubhaft genommen und in die Heimatgemeinde abgeschoben werden. Auch der Ferdinand Hanusch machte diese schmerzhafte Erfahrung dreimal. Geboren 1866 in Österreichisch-Schlesien, im heutigen Tschechien, entstammte er einer armen Hausweberfamilie und arbeitete in Textilfabriken, trampte aber auch ein paar Jahre durch die Monarchie. Sein Weg führte ihn auch nach Wien, wo er als Kegelbub, Speisenträger und Bretzelverkäufer im Prater arbeitete.
Später kehrte Hanusch als Textil-Fabriksarbeiter nach Tschechien zurück, bildete sich selbst weiter und engagierte sich in der Arbeiter:innenbewegung. Als Zentralsekretär der „Union der Textilarbeiter“ spielte er eine wichtige Rolle. Dort baute er unter anderem die Arbeitslosenunterstützung aus. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war die Arbeitslosigkeit in der neuen demokratischen Republik Österreich immens hoch: Die ausgemusterten Soldaten drängten auf den Arbeitsmarkt, ebenso Arbeiter:innen aus der Kriegsindustrie sowie 60.000 deutschsprachige Beamte, Arbeiter und Angestellte aus den Nachfolgestaaten. Im November 1918 übernahm Ferdinand Hanusch das Sozialressort.
Innerhalb kürzester Zeit gelang es ihm ein Arbeitslosenfürsorgegesetz auszuverhandeln. Er machte klar: „Auch im Interesse der Besitzenden führt kein Weg an einer Verpflichtung des Staates vorbei soziale Gerechtigkeit zu üben.“ Die ersten Gelder wurden bereits im November 1918 ausbezahlt, wodurch größere soziale Unruhen verhindert werden konnten. Bis aus der Fürsorge ein Rechtsanspruch wurde, vergingen eineinhalb Jahre. Der größte Kritikpunkt der Gegner:innen: Das ohnehin prekäre Staatsbudget würde zu sehr belastet. Doch Hanusch zeigte auf, dass das soziale Netz mehr bringt als es kostet.
2. Station Hanusch-Krankenhaus
Unser Weg führt uns zum Spital im 14. Wiener Bezirk, das seit 1945 nach Ferdinand Hanusch benannt ist. Es gehört der Krankenversicherung und trägt seinen Namen, weil unter seiner Verantwortung fast alle Arbeitnehmer:innen einen Rechtsanspruch auf Kranken- und Unfallversicherung bekamen. Auch eine wichtige Institution zur betrieblichen Mitbestimmung ist eng mit Hanusch verbunden. Als erstes Land der Welt schuf Österreich im Mai 1919 ein Betriebsrätegesetz. 2023 schaffte es das Hanusch-Krankenhaus unter die Top 200 Spitäler der Welt. „Damit das Personal eine hochwertige medizinische Versorgung und Pflege leisten kann, braucht es ein hohes Maß an betrieblicher Mitbestimmung“, sind Gerlinde Kandler und Bernhard Hommel überzeugt. Kandler vertritt als Vorsitzende des Angestelltenbetriebsrats die Interessen der rund 1600 Angestellten, Hommel als Chef des Arbeiterbetriebsrats die rund 175 ArbeiterInnen. „Ich setze mich dafür ein, dass die KollegInnen fair behandelt werden und sich rechtlich auskennen. Ich sehe mich als Sprachrohr.“, erklärt Kandler.
Wenn jeder nur für sich selbst kämpfen würde, würde weniger erreicht werden. Aktuell setzten sich Kandler und Hommel dafür ein, dass die Arbeitssituation attraktiver zu gestalten. Einiges haben sie erreicht: So wurde im Angestellten-KV für die Gesundheitsberufe der Krankenhäuser der Sozialversicherung geregelt, dass 6,25 Prozent der Wochenarbeitszeit in Freizeit konsumiert werden können, de facto 2,5 Stunden weniger Arbeit. Auch die Umziehzeiten zählen nun zur Arbeitszeit. „Wir arbeiten an einem neuen Gehaltsschema für die Gesundheitsberufe mit höheren Einstiegsgehältern“, sagt Kandler. „Auch bei Arbeiter:innen werden die Anforderungen mehr. Das Lohnschema aufzuwerten ist wichtig.“, betont Hommel. Nicht nur in diesem Punkt ziehen die Betriebsrät:innen an einem Strang. Mit den Vorsitzenden des Arbeiter- und Angestelltenbetriebsrates gibt es monatliche Jour-Fixe-Termine mit dem Fachbereichsleiter, um nach Lösungen zu suchen. Der Fachbereichsleiter für Gesundheitseinrichtungen ist Erol Holawatsch.
Er hat auf Wunsch der beiden Betriebsrät:innen auch am Gespräch teilgenommen. Holawatsch gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass es ohne Sozialpartnerschaft viele soziale Errungenschaften nicht gegeben hätte. Man sähe, was in anderen Ländern, passiert, wenn sich die Fronten verhärten. Zu Beginn der Ersten Republik wurden die wichtigsten sozialstaatlichen Gesetze in sozialpartnerschaftlicher Abstimmung geschaffen, wie wir heute sagen dürfen. Für Hanusch stand die Suche nach gemeinsamen Lösungen im Zentrum. Er verwechselte nie Gesprächsfähigkeit und Kompromissbereitschaft mit Nachgiebigkeit. Besonders während der Corona-Pandemie sei dieser „Hanusch-Geist“ spürbar gewesen, meint Gerlinde Kandler. „Wir haben alle zusammengehalten und konnten vieles schnell umsetzen.“ Kandler und Hommel sind auch wieder in die nächsten KV-Verhandlungen ihrer Gewerkschaften einbezogen. Schon im Gesetz von 1919 ist die enge Vernetzung von Gewerkschaft und Betriebsrat fixiert.
Anders als in Deutschland haben Betriebsräte die Aufgabe auf die Einhaltung der Kollektivverträge zu achten. Gerlinde Kandler ist außerdem eine von 180 gewählten Wiener Kammerrät:innen. Sie ist im Ausschuss „Soziale Sicherheit“ der Arbeiterkammer-Vollversammlung tätig. „Ich finde es sehr wichtig, dass wir zu den Gesetzen Stellung nehmen können“, betont sie. Auch die Gründung der AK als überbetrieblicher gesetzlicher Interessensvertretung fiel in die Hanusch-Ära. Das AK-Gesetz von 1920 bedeutete für Arbeitnehmer:innen die politische und rechtliche Gleichstellung im Staat. Hanusch organisierte als Gründungsdirektor noch selbst die ersten AK-Wahlen.
3. Station Haus des ÖGB
Unsere nächste Station ist die Zentrale des Österreichischen Gewerkschaftsbundes in Wien, auch die Zentrale der Produktionsgewerkschaft PRO-GE. Die PRO-GE ging aus einer großen Zahl von Gewerkschaften aus dem Produktionsbereich hervor, auch Hanuschs Union der Textilarbeiter gehörte dazu, genauso wie die Organisationen der Metallarbeiter:innen. Der PRO-GE-Vorsitzende Reinhold Binder, der uns in seinem Büro begrüßt, ist Chefverhandler für die Arbeiter:innen beim Metaller KV. Auch die seit 1920 geltende Rechtsverbindlichkeit von Kollektivverträgen gilt seit der Hanusch-Ära. Für die Herbstlohnrunde 2023 erwartet Binder harte Auseinandersetzungen mit den Arbeitgeber:innen, besonders wegen der enorm hohen Energie und Nahrungsmittelpreise. „Wir müssen schauen, dass die Arbeitnehmer:innen das Einkommen haben, um sich das Leben leisten zu können. Dafür werden wir sorgen“, betont Binder. Der Mindestlohn müsse in allen Kollektivverträgen auf 2.000 Euro steigen, wie es der ÖGB fordert.
Für viele sei dies bereits gelungen, für viele sei es bald erreichbar. Außerdem sollen die Arbeitszeiten mit Erholungsphasen und verkraftbarer Belastung erreicht werden. Die Einbeziehung der Betriebsrät:innen in die KV-Verhandlungen sei ein Erfolgsrezept. „Der Vorteil ist, dass die unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Branchen besser berücksichtigt werden können.“ Binder betont wie die Betriebsrät:innen im Hanusch-Krankenhaus die Bedeutung der engen Verbindung zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat. Für den PROGE-Vorsitzenden geht es darum, einerseits verbindliche Vereinbarungen für die alle Betriebe durch den KV zu schaffen und andererseits den Betriebsrät:innen ausreichend Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der Betriebsvereinbarungen zu ermöglichen. Die Vernetzung mit der überbetrieblichen Ebene zeigt sich auch folgendermaßen: Wenn Arbeitgeber:innen versuchen, eine Betriebsratswahl zu verhindern, können Gewerkschafter:innen die Wahl „von außen“ organisieren.
4. Station Parlament
Im Parlament war Ferdinand Hanusch viele Jahre Abgeordneter. Nachdem die Sozialdemokratie im Herbst 1920 in Opposition ging, war er Vorsitzender des Sozialausschusses im Nationalrat. Auch in dieser Funktion kämpfte er für den Ausbau des Sozialstaates, doch das wurde immer schwieriger: Die rechtskonservativen Regierungen stellten sich oft quer – nachdem die Revolutionsangst der Nachkriegszeit verflogen war. So sprach der christlich-soziale Bundeskanzler Ignaz Seipel davon, dass man den „revolutionären Schutt wegräumen“ müsse. Damit meinte er vor allem den demokratischen Sozialstaat. Hanusch kämpfte etwa für die Arbeiterpension, die aber erst in der Zweiten Republik Wirklichkeit wurde.
Der sozialdemokratische Abgeordnete Josef Muchitsch, Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz und der sozialdemokratischen Gewerkschafter:innen, ist Hanuschs aktueller Nachfolger als Vorsitzender des „Ausschusses für Soziales und Arbeit“. „Ich bin stolz, dass ich von allen Parteien anerkannt worden bin. Das ist nicht selbstverständlich“, sagt Muchitsch. Die Gewerkschaft sei für die Sozialpolitik unverzichtbar, weil sie durch den direkten Kontakt mit den Arbeitnehmer:innen wisse, „wo der Schuh drückt“. Als Opposition konnten sie viele Anträge nicht durchbringen, verhinderten aber Verschlechterungen. Und es gab sogar Erfolge: Dazu zählt die Entgeltfortzahlung mit Rechtsanspruch und Kündigungs- und Entlassungsschutz für Eltern, die ihre Kinder zu einer Reha begleiten dürfen und die 6. Urlaubswoche für Pflegekräfte ab dem 43. Lebensjahr.
„Es hätte keine Verbesserungen gegeben, wenn wir GewerkschafterInnen im Parlament sie nicht vehement gefordert hätten.“ Ganz zufrieden ist Muchitsch nicht, es sei aber ein erster Schritt. Im KV für die Bauarbeiter:innen ist die 6. Urlaubswoche nach 20 Arbeitsjahren verankert. Andere Branchen könnten der Regelung am Bau folgen. Der Ball für die Arbeitgeber:innen ist aufgelegt. Arbeiter:innen haben seit 1919 Anspruch auf bezahlten Urlaub. Wie heute die sechste Urlaubswoche, war der Arbeiterurlaub Teil eines Pakets zur Arbeitszeitverkürzung. Nach 1918 wurde der Achtstundentag zur normalen täglichen Arbeitsdauer für fast alle Beschäftigten. Seit Beginn der von der Arbeiter:innenbewegung geforderten Arbeitszeitverkürzung sollten Gesundheit und Arbeitskraft verbessert und die nötige Freizeit für Erholung, Bildung sowie für politisches Engagement geschaffen werden. Erneut fordert die Gewerkschaftsbewegung heute eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Muchitsch: „Das ist die Zukunft.“
Aufmerksamen Beobachter:innen ist aufgefallen, dass ein Abbild von Ferdinand Hanusch sich neben dem Parlament befindet. Hanusch ist neben dem Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) Viktor Adler und Organisator der 1. Wahlrechtskampagne sowie dem Wiener Bürgermeister Jakob Reumann, ebenfalls ein Gewerkschafter, als Bronzebüste am Republiksdenkmal verewigt. Eingeweiht wurde das Denkmal am 12. November 1928, anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Ausrufung der Ersten Republik. Die SDAP finanzierte das Denkmal, andere Parteien feindeten es an. Vor allem die, die dem demokratischen Sozialstaat kritisch gegenüberstanden. Das austrofaschistische Regime von Engelbert Dollfuß verhüllte das Denkmal zunächst und trug es dann ab. Während die beiden anderen Köpfe im Original erhalten blieben, wurde Hanusch Abbild zerstört und musste wieder neu geschaffen werden. Das Republiksdenkmal wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als eines der ersten Symbole für die Rückkehr zur Demokratie wieder aufgebaut.
5. AK-Bibliothek und Ferdinand Hanusch literarisches Schaffen
Die letzte Station unserer Tour führt uns in die AK-Bibliothek, wo die meisten von Hanusch verfassten Publikationen zu finden sind. Wir treffen die Historikerin Brigitte Pellar, die viel zu berichten hat. Hanusch war sicher kein großer Dichter, aber ein begabter Schriftsteller. „Seine besten Romane und Erzählungen sind auch heute durchaus gut lesbar“, sagt Pellar. Hanusch verarbeitete überwiegend selbst Erlebtes. Autobiographisch sind die zwei Bänden des „Lazarus“. Die Selbstbezeichnung verweist auf den „armen Lazarus“ der Bibel, aber ebenso auf Karl Marx, der die „industrielle Reservearmee“ des Heeres der arbeitslosen Armen als „Lazarusschicht der Arbeiterklasse“ bezeichnete. Hanusch beschreibt darin seine Kindheit und sein Leben bis zum Tod seiner ersten Frau.
Der Entwicklungsroman ist ein Zeitdokument, das durchaus mehr Beachtung etwa auch von Seiten der Sozialhistoriker:innen verdienen würde. Seine kritische Schilderung der Industrialisierung in den ländlichen Gebieten hat auch viel Aktuelles an sich – denn sie auch weitblickende Kritik an den Folgen der Industrialisierung für menschliches Zusammenleben und Umwelt, ohne dabei je auch nur im Entferntesten ein „Zurück in die Vergangenheit“ zu propagieren.
In seiner Erzählung „Die Leibeigenen“ heißt es etwa:
Die gelbe Kuppel der alten Dorfkirche glänzte heute gerade noch so in der Sonne wie zur Zeit, als er das erste Mal auf diesem Platze stand, und der Lärm der übermütigen spielenden Kinderschar drang heute gerade so an sein Ohr wie damals. Und doch war in diesem Dorfe etwas, das vor achtunddreißig Jahren nicht war: Ein großes Fabriksgebäude ragte über all die kleinen Hütten wie ein gewaltiger Riese empor und aus zwei großen, roten Schloten quoll eine schwarze Rauchmasse, die wie ein unheimlicher Schatten sich über das Tal breitete und die Luft verpestete.
Kritik an den Mechanismen des Kapitalismus verbindet Hanusch mit Kritik am Militarismus. Er verarbeitete das literarisch in seinem letzten Werk, dem Gerichtsdrama „Der Invalide“. Es erschien erst ein Jahr nach seinem Tod. Vor Gericht steht darin ein Kriegsinvalide, der seinen ehemaligen Hauptmann auf der Straße mit seiner Krücke niedergeschlagen hat, nachdem dieser sich über ihn als menschliches Wrack lustig gemacht hat.
Auf den Vorwurf des Richters, dass der Schlag mit der Krücke auch tödliche Folgen hätte haben können, prangert der Kriegsinvalide den Krieg als eine Erziehung zu Mord an:
Hat man uns nicht durch volle vier Jahre das Morden gelehrt? War das Morden nicht die größte patriotische Pflicht? Hat nicht der, der am meisten gemordet hat, die höchsten Auszeichnungen bekommen?
Ferdinand Hanusch wurde bei seinen schriftstellerischen Arbeiten besonders von Gerhard Hauptmann und dessen Drama „Die Weber“ angeregt. Hauptmann stammte aus Schlesien, wo das Trauma des Weberaufstands von 1844 noch immer allgegenwärtig war. Hanusch schrieb seine Theaterstücke, um Menschen wachzurütteln und sie aufzufordern, ihre Lage nicht einfach hinzunehmen. Sein bekanntestes Stück ist „Der Bauernprophet“. Es erzählt die Geschichte des Goisener Gastwirts Konrad Deubler, Sohn eines Bergarbeiters, der wie Hanusch Wissen und Kompetenzen nur in Selbstbildung entwickeln konnte. „Die Uraufführung fand in der Volksbühne Favoriten statt, im großen Saal des Favoritner Arbeiterheims, einem der schönsten Jugendstilbauten Wiens“, erzählt Brigitte Pellar.
Bildung als Grundlage dafür das Recht auf Mitbestimmung in Anspruch nehmen zu können, war Hanusch besonders wichtig. Eine der ersten Maßnahmen beim Aufbau der AK war die Einrichtung von Kursen, um Lehrende für die Schulung der erstmals gewählten Betriebsräte auszubilden. Die „Instruktor:innen“ sollten Gewerkschafter:innen sein. Zusammen mit der Wiener Volksbildung wurden für die Zielgruppe Betriebsräte, aber auch für alle offene AK-Stiftungskurse eingerichtet. „Ziel war eine Art Demokratieschule, die Chancen und Rahmenbedingungen, die die demokratische Republik bot, aber auch die Mechanismen der kapitalistischen Wirtschaft vermittelte“, sagt Pellar.
Zu den Lehrenden zählte Hans Kelsen, der Vater der österreichischen Verfassung. Alle Voraussetzungen zu schaffen, damit die die arbeitenden Menschen, ihre Mitbestimmungsrechte auch in Anspruch nehmen können, ist das besondere Anliegen der überbetriebliche Mitbestimmung durch die AK. Der glänzende Organisator Hanusch schaffte es innerhalb eines Jahres, dafür zu sorgen, dass die ersten AK-Wahlen in den Bundesländern nach demokratischen Spielregeln abgehalten werden konnten. Hier sei angemerkt: Auch heute noch kann die AK auf keine externen Ressourcen zurückgreifen. Das garantiert die Unabhängigkeit in der Interessenvertretung, die Hanusch so wichtig war.
& mehr zu Ferdinand Hanusch:
Der ÖGB zeichnet in seinem Artikel die beeindruckende Geschichte von Ferdinand Hanusch nach: Vom Weberbub zum Vater des Sozialstaates
& Podcast:
Nachgehört / Vorgedacht (oegb.at): Ferdinand Hanusch: Vater des Sozialstaats.