Mundtot gemacht. Das Klebeband über den Lippen, die Hände gefesselt. Applaus, der nicht enden will. Susanne Hofer stellt die Sozialministerin am ÖGB-Bundeskongress im Juni 2018 bloß, ohne ein Wort zu sprechen. Die neue Vorsitzende der Gewerkschaftsjugend stürmt zu Beginn der Rede von Hartinger-Klein mit anderen AktivistInnen die Bühne, alle gefesselt, alle theatralisch mit Klebeband zum verstummen gebracht. Sie bleiben stehen und weichen nicht, bis die Rede zu Ende ist, nicht minder theatralischem Augenrollen der Ministerin zum Trotz.
Der Protest der Gewerkschaftsjugend richtet sich gegen die Abschaffung des Jugendvertrauensrats, wie von der Bundesregierung angekündigt. Der Jugendvertrauensrat wird von und unter den jungen Beschäftigten gewählt, also vorwiegend den Lehrlingen eines Betriebs, vertritt die Interessen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen gemeinsam mit dem Betriebsrat.
Weniger Mitbestimmung
Wird sich ein junger Mensch gegen eine Lehrausbildung entscheiden, weil es keinen Jugendvertrauensrat mehr gibt? Sicher nicht, und darum geht es auch nicht. Es geht um betriebliche Mitbestimmung auf Augenhöhe, von den ersten Schritten im Arbeitsleben an. Um Demokratie, die im Kleinen gelernt wird, darum, im persönlichen Arbeitsumfeld und in der eigenen Ausbildung mitgestalten zu können. Um die Qualität der Lehrausbildung, auf die Jugendvertrauensräte mit der Unterstützung ihrer Gewerkschaft Einfluss nehmen können. Damit letztendlich um das Image der Lehre. Das Image, das Jugendliche für eine Lehre begeistern soll.
Die Ministerin versichert zum Ende ihrer Rede mit einem zynischen Lächeln auf den Lippen: Der Jugendvertrauensrat wird abgeschafft. Ein kleiner Puzzlestein in der Thematik des Fachkräftemangels, aber beispielgebend dafür, wie die Bundesregierung gegen die Interessen von Beschäftigten und Auszubildenden handelt; mit dem Ergebnis: weniger Mitbestimmung für die Fachkräfte von morgen.
Einen Teil der Fachkräfte von heute hätte man gestern ausbilden müssen. Wenn sich über alle Branchen österreichweit seit 2010 die Anzahl der Lehrbetriebe um ein Viertel verringert, dann fehlen jetzt die dort nicht ausgebildeten jungen Menschen. Die Mittel für überbetriebliche Lehrlingsausbildung zu kürzen, wie es die Bundesregierung macht, wird diese Situation nicht verbessern.
Weniger Geld
Als der ÖGB-Bundeskongress zu Ende geht, verkündet die Bundesregierung zeitgleich, 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche einzuführen. Ein Detail dabei: weniger Ruhezeiten im Gastgewerbe, eine Reduktion von elf auf acht Stunden. In genau jener Branche, die sich über den Fachkräftemangel am lautesten beklagt.
Weniger Ruhezeiten im Gastgewerbe, eine Reduktion von elf auf acht Stunden. In genau jener Branche, die sich über den Fachkräftemangel am lautesten beklagt.
Das bedeutet im besten Fall sechs Stunden Schlaf. Familienleben? Kaum möglich. Wie lange schaffen Menschen das, wie viele Saisonen halten sie durch: ihr ganzes Arbeitsleben, auch noch mit über sechzig Jahren? Ein hartes Los, zumal Arbeitgeber jüngere Kräfte bevorzugen, weil sie günstiger sind.
Werden Beschäftigte in Gastronomie und Tourismus dafür zumindest angemessen hoch bezahlt? Nein, im Gegenteil. In Zukunft wird von Überstunden, die die durchgehend niedrigen Löhne und Gehälter aufgebessert haben, aufgrund anderer Durchrechnungszeiträume einiges wegfallen, oder es werden noch mehr Überstunden erst gar nicht bezahlt werden. Unter dem Strich bleibt: weniger Geld.
Weniger Rückhalt aus der Regierung
Im Gleichschritt dazu sollen die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose verschärft werden. Ist es für arbeitslose Köchinnen und Köche in Wien zumutbar, nach Tirol zu ziehen? Die Diskussion läuft. Lebensmittelpunkt der Familie? Uninteressant, wenn niemand auf der Skihütte Erbsensuppe kochen will. 2019 sind Köchinnen und Köche Mangelberufe. Das ermöglicht Betrieben, Beschäftigte im EU-Ausland anzuwerben.
Das ermöglicht Betrieben, Beschäftigte im EU-Ausland anzuwerben. Gäbe es den Fachkräftemangel in dieser Form nicht, Gastronomie und Tourismus müssten ihn erfinden.
Gäbe es den Fachkräftemangel in dieser Form nicht, Gastronomie und Tourismus müssten ihn erfinden. Endlich können Betriebe noch mehr noch günstigere Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland importieren, damit das Lohnniveau drücken und sich um die eigenen Arbeitsbedingungen oder die eigene Lehrausbildung keine Gedanken mehr machen.
Es wird in der aktuellen Situation diese Kräfte brauchen, aber wo bleibt der Fokus auf die Jugend, auf die arbeitslosen Menschen bei uns, bei Zehntausenden älteren Menschen ohne Job? Sie werden mit der Abschaffung der Notstandshilfe unter Druck gesetzt, als „Anreiz“. Wie zynisch. Weniger Rückhalt aus der Regierungspolitik für ArbeitnehmerInnen in Österreich ist kaum mehr vostellbar.
Umgekehrt müssten sich die Löhne und Gehälter erhöhen, Betriebe attraktive Arbeitszeitmodelle und andere, bessere Bedingungen bieten, mittel- und langfristig in Ausbildung und alternsgerechtes Arbeiten investieren. Der Unwille dazu ist der Punkt, wo der Markt völlig versagt.
Umgekehrt müssten sich die Löhne und Gehälter erhöhen, Betriebe attraktive Arbeitszeitmodelle und andere, bessere Bedingungen bieten, mittel- und langfristig in Ausbildung und alternsgerechtes Arbeiten investieren. Der Unwille dazu ist der Punkt, wo der Markt völlig versagt. Der Arbeitsmarkt wird deshalb weiter geöffnet werden, das geht für Betriebe einfacher, schneller und ist billiger. Als Gesellschaft wird uns das noch teuer kommen.