EU: Wir erkämpfen!

Ein Kuchen in Form einer EU-Flagge. Zwei Gabeln, die miteinander kämpfen.
„Es ist auf EU-Ebene so wichtig, hartnäckig dranzubleiben und nicht nur die nächste Schlagzeile vor Augen zu haben.“ | © Markus Zahradnik
Mitreden, mitmischen, mitentscheiden. Wer in Brüssel zum Wohl der Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen etwas bewegen will, braucht einen langen Atem und jede Menge Vernetzungsarbeit.
Am 30. März dieses Jahres freute sich Evelyn Regner besonders: „Wir schließen die Lohnschere. Das ist tatsächlich ein historischer Tag, denn diese Richtlinie, die Transparenzrichtlinie, wird das persönliche Leben von Menschen ändern“, sagte die österreichische SPÖ-EU-Abgeordnete und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, im Plenum des EU-Parlaments. Regner begleitete den Text auf dem Weg von den ersten Debatten bis zur Verabschiedung im Europäischen Parlament. Einmal pro Jahr soll demnach künftig jede:r Arbeitnehmer:in das Recht haben, zu erfahren, wie viel er oder sie im Vergleich zu anderen Arbeitnehmer:innen im Unternehmen mit gleicher Tätigkeit verdient. Verboten werden sollen zudem Verschwiegenheitsklauseln – Beschäftigten darf es damit nicht mehr untersagt werden, mit Kolleg:innen über ihr Gehalt zu reden. Nicht mehr zulässig zudem wäre ein Einstellungsgesprächsklassiker: Bewerber:innen zur Höhe ihres zuletzt erhaltenen Lohnes zu befragen. „Da Frauen meist weniger verdienen als Männer in vergleichbaren Positionen, würden diese Einkommensunterschiede so zwischen den Geschlechtern immer weiter einzementiert.“

Die Menschen müssen merken,
dass sich durch die EU
das eigene Leben verbessert.

Evelyn Regner, SPÖ-EU-Abgeordnete
und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments

Warum finden sich in der obigen Beschreibung der Eckpunkte der neuen Richtlinie Soll- und nicht Ist-Formulierungen? Inzwischen hat der EU-Rat, der sich aus den Regierungschef:innen der einzelnen Mitgliedsstaaten zusammensetzt, die Richtlinie im April zwar ebenfalls bereits beschlossen. Aber nun beginnt erst die Mühe der Ebene – die Umsetzung in den EU-Ländern, wo die EU-Vorgaben dann jeweils in nationales Recht umgesetzt werden. „Es ist auf EU-Ebene so wichtig, hartnäckig dranzubleiben und nicht nur die nächste Schlagzeile vor Augen zu haben, sondern sich Mosaikstein für Mosaikstein für bessere Bedingungen in der Arbeitswelt einzusetzen“, betont Regner.

Mindestlohnrichtlinie erreicht!

Bereits vergangenen Oktober wurde die Mindestlohnrichtlinie vom EU-Rat beschlossen. Sie stellt einen Meilenstein in Sachen EU-Recht für Arbeitnehmer:innen dar, wie David Hafner, Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel, betont. Ziel ist hier, eine Kollektivvertragsabdeckung von 80 Prozent zu erreichen. Dort, wo diese nicht vorliegt, müssen die Länder konkrete Pläne vorlegen, wie sie dieses Ziel realistisch erreichen wollen. Österreich habe hier keinen Handlungsbedarf, da es bereits 98 Prozent Kollektivvertragsabdeckung gebe. „Wir werden hier auch als Best-Practice-Beispiel gesehen“, so Hafner. Dennoch profitieren auch Arbeitnehmer:innen in Österreich von dieser Richtlinie. „Wir sind ja nicht isoliert. Wenn Löhne um Österreich herum geringer sind, ist das auch ein Druck auf unsere Löhne.“

„Die Lockerung der Tagesarbeitszeit hätte noch weitreichender ausfallen können, hätte es nicht die EU-Arbeitszeitrichtlinie gegeben“, betont Sophia Reisecker.

Es gab allerdings in der jüngeren Vergangenheit auch schon einmal einen Moment, in dem Arbeitnehmer:innen in Österreich von einer EU-Richtlinie profitierten. Sophia Reisecker ist Leiterin der Abteilung Europa, Konzerne und internationale Beziehungen in der GPA, Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) und auch Verhandlerin im Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB). Sie erinnert an das Jahr 2018 und die Attacke der damaligen türkis-blauen Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz auf den Acht-Stunden-Tag. Mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ und Neos wurde schließlich im Nationalrat die mögliche Ausweitung der Tagesarbeitszeit auf bis zu zwölf und die der Wochenarbeitszeit auf bis zu 60 Stunden beschlossen. Was wenigen bewusst ist: „Die Lockerung hätte aber noch weit größer ausfallen können, hätte es nicht die EU-Arbeitszeitrichtlinie gegeben“, betont Reisecker. „Da sind wir als Arbeitnehmer:innen zum ersten Mal durch EU-Recht geschützt worden.“

Menschen bewegen

Was aber braucht es, um eine solche Richtlinie auf den Weg zu bringen? Vor allem Menschen, die Stimmung für solche Themen machen. Das sind auf der einen Seite EU-Parlamentarier:innen wie Evelyn Regner. Jede:r Abgeordnete setzt für sich Schwerpunkte und engagiert sich dann für diese als Mitglied in Ausschüssen, Komitees oder Delegationen. Darüber hinaus gibt es auch noch interfraktionelle Arbeitsgruppen, die sogenannten Intergroups. Regner ist zum Beispiel Mitglied der „Intergroup on Trade Unions“, der „gewerkschaftlichen Intergroup“, wie sie es nennt. Den Vorsitz haben hier die Niederländerin Agnes Jongerius (wie auch Regner gehört sie der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten an), der Deutsche Dennis Radtke (Fraktion Europäische Volksparteien – Christdemokraten) sowie der Däne Nikolaj Villumsen (Fraktion Die Linke) inne.

Es ist nicht egal, wie sich das
EU-Parlament zusammensetzt.
EU-Wahlen sollten deshalb nicht als Ventil für Frust
auf der nationalen Ebene fungieren. 

Judith Vorbach, AK-Europabüro

Regner als österreichische Vertreterin, die sich seit vielen Jahren für Arbeitnehmer:innen-Anliegen einsetzt, aber auch Jongerius und Radtke nennt Hafner als wichtige Ansprechpartner:innen in seinem Alltag als Leiter des ÖGB-Europabüros. „Das Europäische Parlament funktioniert anders als nationale Parlamente. Es gibt zwar die Fraktionen, aber oft spielen nationale Interessen herein und am wichtigsten ist, wer sind die inhaltlichen Ansprechpartner:innen. Radtke zum Beispiel ist zwar ein CDU-Vertreter, aber er kommt aus der Gewerkschaftsbewegung und war einer der Berichterstatter bei der Mindestlohnrichtlinie.“ Aber nicht nur in Richtung Parlament strecken Hafner und Judith Vorbach, die für die Arbeiterkammer in Brüssel im Sinn der Arbeitnehmer:innen Lobby-Arbeit leistet, ihre Hände aus.

Stimmenstark und hartnäckig

„Es geht darum, sich auf den verschiedensten Ebenen Verbündete zu suchen“, erklärt Hafner. Kontakte zu pflegen ist daher das A und O für alle, die versuchen, sich auf EU-Ebene für ein Thema starkzumachen. Rund 50.000 Personen sind in Brüssel als Lobbyist:innen eingetragen. Die Mehrheit von ihnen setzt sich für Wirtschaftsinteressen ein. „Hier versuchen wir gegenzusteuern und die Anliegen der Arbeitnehmer:innen zu repräsentieren“, so Hafner. Der soziale Standpunkt kann dabei umso nachhaltiger vertreten werden, umso lauter die Stimme ist, die ihn vertritt. Wichtig ist daher das Schmieden von Allianzen. Hafner und Vorbach suchen deshalb den Kontakt zur Kommission ebenso wie zu EU-Abgeordneten, aber auch zu NGOs. Vorbach nennt hier als die wichtigsten Organisationen Finance Watch, Friends of the Earth, Corporate Europa Observatory, ALTER EU – Europe’s Campaign for lobbying transparency, Solidar – Advancing Social Justice in Europe and Worldwide und BEUC – der Europäische Verbraucherverband. „Mit all diesen Organisationen finden sich immer wieder wichtige Anknüpfungspunkte.“

Sie betont hier vor allem, dass viele Materien am Ende Auswirkungen auf Arbeitnehmer:innen haben – von der Steuerpolitik bis zur Umweltpolitik. „Wir müssen uns daher in viele Diskurse einbringen, unsere Argumente vorbringen und auf die Bedeutung von Verteilungsgerechtigkeit hinweisen.“ Denn für alle, die sich für das Wohl von Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen einsetzen, ist klar: Um auf EU-Ebene etwas voranzubringen, braucht es viel Durchhaltevermögen, eine Menge Hartnäckigkeit und den Willen zur Zusammenarbeit. So wird dann auch eine Transparenzrichtlinie endlich zu geltendem Gesetz und die EU ein Stück arbeitnehmer:innenfreundlicher.

Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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