EU: Führt der rechte Kurs zu mehr Frauenarmut?

Eine alte Frau schaut verzweifelt auf eine kleine Anzahl an Münzen. Symbolbild für Frauenarmut.
Monat für Monat knapp bei Kasse: Frauenarmut wird EU-weit zu einem immer größeren Problem. | © Adobestock/CameraCraft
Das EU-Parlament ist nach rechts gerückt. Doch was macht es mit der finanziellen Unabhängigkeit von Frauen, wenn die Rechten mehr Sitze erlangen? Eine Analyse.
Ungarn weigert sich die Istanbul-Kovention zu ratifizieren. In Italien erlangen Abtreibungsgegner:innen Zutritt zu Abtreibungskliniken. Unter der schwarz-blauen Regierung in Österreich wurde den Frauenberatungsstellen das Geld gekürzt. Immer öfter machen rechte Regierungen feministische Errungenschaften zunichte.

Auch im EU-Parlament sind die Rechten mittlerweile angekommen: In gleich sieben EU-Ländern (Österreich, Deutschland, Italien, Frankreich, Belgien, Ungarn, Tschechien) haben rechte Parteien gewonnen. Mit den „Patrioten für Europa“, „Europa der Souveränen Nationen“ und den „Europäische Konservative und Reformer“ gibt es nun zwei Rechtsaußen- und eine rechtskonservative Fraktion. Doch inwieweit können die Rechten ihre antifeministische Politik ins EU-Parlament tragen? Müssen Frauen gar um ihre finanzielle Selbstbestimmung fürchten?

Armut ist weiblich

Fakt ist: Wer sich um Kinder und Haushalt kümmert, hängt nach wie vor vom Geschlecht ab. Laut Eurostat ist die Teilzeitquote bei Frauen in der EU dreimal so hoch wie bei Männern, in Österreich arbeitet jede zweite Frau Teilzeit. Wirtschaftliche Abhängigkeit vom Partner, schlechte Pensionen und Altersarmut sind vorprogrammiert. Sogenannte „Frauenberufe“, wie die Pflege, sind besonders schlecht bezahlt, sodass 2023 25 Millionen Frauen in Europa armutsgefährdet waren.

Alleinerziehende Mütter haben es besonders schwer. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, die Teuerung in vielen EU-Ländern und ein Lohngefälle von 13 Prozent verschärfen ihre finanziellen Probleme. Das zeigt sich auch in Österreich: Laut SILC-Bericht galt 2023 jede dritte erwerbstätige Alleinerzieherin in Österreich als armutsgefährdet. Frauen aus ethnischen Minderheiten, Migrantinnen und Transfrauen sind noch schlechter gestellt.

Rechte Regierungen propagieren
ein verstaubtes Bild von Familie:
der Mann als Ernährer, die Frau als Mutter.

Die Situation verschärft sich, wenn rechte Regierungen an die Macht kommen. Dorit Geva, Expertin für Gender und Rechtsradikalismus an der Universität Wien, verweist hier auf die regierende Fidész-Partei in Ungarn. Während Mittelschichtfamilien von den Maßnahmen profitieren, bleiben alle, die nicht zur arbeitenden Mittelschicht gehören oder eine Migrationsgeschichte haben, auf der Strecke. Dies entspricht dem rechten Mantra: Sozialstaatliche Unterstützung muss man sich verdienen.

Was die EU bisher gegen Frauenarmut getan hat

Gute Standards aus Brüssel sind daher notwendiger denn je. Das meint auch Evelyn Regner, EU-Abgeordnete der SPÖ: „Je mehr Regeln wir auf EU-Ebene festlegen, desto besser sind die Rechte der Frauen in den Mitgliedsstaaten. Egal, wer gerade an der Macht ist.“ Und die Bilanz der letzten Jahre kann sich sehen lassen: Die EU-Lohntransparenzrichtlinie hat das Thema ungleiche Bezahlung sichtbar gemacht, die Quotenregelung bringt mehr Frauen in Aufsichtsräte und der Klimasozialfonds greift alleinerziehenden Müttern unter die Arme, wenn die Energierechnung das Haushaltsbudget zu sprengen droht.

Gleichstellungspolitik auf dem Abstellgleis

Doch wie es weitergeht, ist ungewiss. Der Rechtsruck im EU-Parlament könnte die Gleichstellungspolitik massiv ausbremsen und damit das Risiko für Frauenarmut erhöhen.

Vermutung 1: Inhaltlicher Rechtsruck

Laut Geva könnten die Konservativen (EVP) inhaltlich nach rechts rücken. „Wir beobachten eine zunehmende Verschmelzung und verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Konservativen der Mitte und der rechtsstehenden EKR“, erklärt sie. „Ihre gemeinsame Basis ist der Konservatismus, der oft auf Kosten von Frauen und sexuellen Minderheiten geht.“

Vermutung 2: Lähmung und Blockade

Zudem wird es schwieriger, einen Konsens zu Gleichstellungsfragen zu finden. Das habe sich bereits 2013 bei einem Vorstoß der EU-Abgeordneten Edite Estrela zu sexuellen und reproduktiven Rechten gezeigt. Rechte Abgeordnete hatten in Windeseile eine erfolgreiche Polarisierungskampagne aus dem Boden gestampft und erstickten jede Diskussion im Keim. „Allein das Wort ‚Gender‘ ist mittlerweile dämonisiert. Es wird schwer werden, die Abgeordneten überhaupt dazu zu bringen, sich mit Vorschlägen zu Gleichstellungspolitik auseinanderzusetzen“, sagt Geva. Der EU-Abgeordnete Georg Mayer (FPÖ) sagte in einem Interview mit A&W, dass er sich nicht mit Frauenrechten beschäftige und dies auch nicht als ein Thema für die EU sehe.

Wichtigeres als Gleichstellungspolitik

Dass Gleichstellungspolitik innerhalb des EU-Parlaments auf der Strecke bleibt, ist nicht unbedingt neu. Regner erzählt: „Oft werden ‚Frauenthemen‘ im politischen EU-Alltag hintenangestellt, weil es gerade ‚Wichtigeres‘ auf der Agenda gibt“. Die EVP wollte beispielsweise die Verhandlungen zur Lohntransparenz hinauszögern, unter dem Vorwand des Kriegs in der Ukraine.  Wenn das EU-Parlament weiter nach rechts rückt, könnten solche Scheinargumente noch häufiger vorkommen. 

Gleichstellung, aber nicht für alle

In Sachen Gleichstellung ist also demnächst wenig zu erwarten. Am ehesten, so Geva, könnte sich bei Themen wie Mutterschaft, Familienpolitik oder Kinderrechten etwas bewegen. Echte Frauenpolitik ist das natürlich nicht. Regner kennt das Problem: „‘Frauenpolitik‘ wird mit Familienpolitik gleichgesetzt. Dabei wird dann eben nur ein bestimmtes Familienmodell propagiert. Verheiratete, heterosexuelle Eltern und ihre ehelichen Kinder. Und eigentlich auch nur Weiße“. Das meint auch Geva: „Große Durchbrüche für Frauen mit Migrationshintergrund, gleichgeschlechtlichen Partnerinnen oder Transfrauen wird es nicht geben.“ Frauenarmut wird also ein Thema bleiben und sich für bestimme Gruppen sogar noch verschärfen.

Letztlich schadet sich das EU-Parlament auch selbst, wenn die Gleichstellungspolitik weiter zurückgedrängt wird. Laut einer EU-Studie haben bei den letzten Europawahlen immer noch mehr Frauen (53 Prozent) als Männer (47 Prozent) nicht gewählt, obwohl mehr Frauen als Männer in der EU leben. Wenn Frauen sich von der EU-Politik nicht angesprochen fühlen, wird sich auch ihre Wahlbeteiligung nicht erhöhen.

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Über den/die Autor:in

Eva Rottensteiner und Greta Stampfer

Eva Rottensteiner ist freie Journalistin und studiert Politikwissenschaft und Gender Studies. Sie engagiert sich im Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen.

Greta Stampfer hat Zeitgeschichte und Medien studiert und arbeitet seit 2014 als freie Journalistin. Seit 2023 ist sie Head of Digital der Arbeit&Wirtschaft.

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